Was sich so in meinem Notizbuch angesammelt hat – 7. Januar 2019

Eine Freundin macht mich darauf aufmerksam, dass meine im vergangenen Blogeintrag getroffene Unterscheidung zwischen einer Lobby und einer NGO unvollständig ist. Der Unterschied zwischen beiden besteht in der Tat nicht nur darin, dass letztere Anliegen verfolgt, denen Journalisten zustimmen, sondern dass sie darüber hinaus auch kräftig vom Staat subventioniert wird.

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Die einzige Bevölkerungsgruppe, der man heute allein aufgrund ihrer äußeren Persönlichkeitsmerkmale kollektiv, pauschal und ohne weitere Begründung Kompetenz und Grundrechte absprechen darf, sind alte weiße Männer. Mit welchen Recht eigentlich?

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Meine zwölfjährige Nichte geriet am zweiten Weihnachtsfeiertag kurzzeitig in eine schwere Lebenskrise, weil es ihr nicht auf Anhieb gelang, ihr Mobiltelefon per Bluetooth mit ihrer neuen elektrischen Zahnbürste zu verbinden. Am selben Tag bekam meine Schwiegermutter ein Buch mit dem Titel „Die Kunst, einfach zu leben“ geschenkt. Das Buch ist ziemlich dünn. Ich hätte da einen Vorschlag für ein zusätzliches Kapitel.

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Bereits vor fast zwei Jahrhunderten wies Alexis de Tocqueville darauf hin, dass die Demokratie nicht nur durch Angriffe ihrer Gegner gefährdet wird, sondern dass die vielleicht größte Gefahr in ihr selbst steckt, nämlich im Bestreben der Bürger, die anstrengende, lästige und mit Risiken verbundene Selbstverantwortung dem Staat zu übertragen, der verspricht, ihnen die Last abzunehmen, in dem Bewusstsein, dass ihm damit immer mehr Macht zuwächst, bis er schließlich „alle Vorgänge und alle Menschen“ verwalte. Am Ende dieses Prozesses sähen die Regierenden ihre Aufgabe darin, den Bürger „zu leiten und zu beraten und notfalls gegen seinen Willen glücklich zu machen“. Von einem solchen Gouvernantenstaat sind wir nicht mehr weit entfernt: Kurz vor Weihnachten konnte man von den Plänen der Ministerin für Ernährung und Landwirtschaft erfahren, den Limonadenherstellern vorzuschreiben, wie viel Zucker sie in ihre Getränke, den Pizzabäckern, wie viel Salz sie in den Teig mischen dürfen. Damit sind wir nur noch einen Wimpernschlag von staatlich festgelegten Speiseplänen für die Bürger entfernt. Es ist nicht überraschend, dass die Ministerin solche Ziele verfolgt. Erschütternd ist aber, dass sich anscheinend niemand über diese Anmaßung aufregt, geschweige denn sich solcher Übergriffe des Staates zu erwehren versucht.

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Positiv ist immerhin zu vermerken, dass die Phrase vom „mündigen Bürger“ aus den Sonntagsreden verschwunden ist. Sie war immer verlogen, aber in einer Zeit, in der Politiker glauben, sie hätten das Recht, den Bürgern vorzuschreiben, was sie essen dürfen, ist sie so offensichtlich lächerlich geworden, dass man es anscheinend vorzieht, auf sie zu verzichten.

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Große Empörung herrscht im Blätterwald darüber, dass der Journalist Claas Relotius den „Spiegel“ mit erfundenen Geschichten hereingelegt hat. Dabei ist die Tatsache, dass ein einzelner Betrüger falsche Nachrichten verbreitet, eigentlich kein Grund zur besonderen Aufregung. So etwas hat es immer gegeben – von Egon Erwin Kisch über Konrad Kujau bis zu Michael Born – und es wird auch in Zukunft solche Fälle geben. Der eigentliche Skandal liegt in der Tatsache, dass die im ganzen eigenen Haus weltberühmte Prüfabteilung des „Spiegel“ sich mit derart plumpen Fälschungen hereinlegen ließ. Warum? Offensichtlich weil die Geschichten von Relotius die Vorurteile der Redaktion bestätigten, diese es deswegen nicht für möglich hielt, dass sie falsch sein könnten und damit auch nicht für nötig, sie zu prüfen. Hieraus lässt sich eine Kernforderung für die dringend notwendige, ja längst überfällige öffentliche Diskussion über journalistische Ethik ableiten: Eine Nachricht, die dazu geeignet ist, die Reputation eines Menschen oder einer Institution zu beschädigen, muss vor der Publikation um so gründlicher auf ihren Wahrheitsgehalt hin geprüft werden, je mehr sie spontan einleuchtet.

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Ein Bekannter, ein sehr gebildeter und lebenserfahrener Mann, besitzt Wohnimmobilien, die er professionell verwalten lässt. Er erzählte mir, er habe seinem Verwalter gesagt, dieser habe ganz freie Hand bei der Auswahl der Mieter. Nur, wenn ein Bewerber einer von drei Bevölkerungsgruppen angehöre, verlange er zum Zweck einer besonders gründlichen Prüfung der Person konsultiert zu werden: Erstens Juristen, zweitens Lehrer, drittens Frauen mit Doppelnamen.

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Auf den Internetseiten der meisten großen Tageszeitungen und politischen Magazine findet sich eine eigene Rubrik mit der Überschrift „Satire“. Das ist ein sehr hilfreicher Warnhinweis. Er bedeutet: „Vorsicht humorfreie Zone“.

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„Man muss bei allen historischen Anekdoten dreißig Prozent auf die im Laufe der Zeit zunehmenden Beigaben der ausschmückenden Phantasie anrechnen, fünfundzwanzig Prozent auf den natürlichen Wunsch des Erzählers, sich in günstiger Beleuchtung zu zeigen, und zwanzig auf das ebenso natürliche Bestreben, dem Bilde eines Freundes einige komische oder ungefällige Züge zu verleihen. Was übrig ist, braucht nicht unbedingt erfunden zu sein.“ Dies schrieb vor rund hundert Jahren Theodor Wolff über die Glaubwürdigkeit einer Erzählung des früheren Reichskanzlers Bernhard von Bülow über ein Gespräch mit seinem Nachfolger Theobald von Bethmann Hollweg. Es hat nichts an Aktualität verloren.

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Eine Beobachtung bei Familienfeiern und anderen Zusammenkünften, bei denen die Redezeit nicht rigoros geregelt wird: Meist übersteigt die Zahl derjenigen, die gleichzeitig reden, die derer, die noch zuhören könnten. Letztere schweigen aber nur deswegen, weil sie auf eine Lücke in den Monologen der anderen lauern, in die sie hineingrätschen und dann ihrerseits mit einem Vortrag beginnen können. Das ist vielleicht eines der größten Übel der Zeit: Alle reden, aber niemand hört zu.