Der neue brasilianische Präsident spaltet das Riesenland. Die einen sehen ihn als Faschisten, andere als Heilsbringer. Im Süden, wo sich vor dem Zweiten Weltkrieg Deutsche ansiedelten, findet er viele Anhänger.

In Pomerode, 33 000 Einwohner, im südlichen Bundesstaat Santa Catarina, sind 96 Prozent der Einwohner deutschstämmig. Viele Blonde und Hellhäutige laufen durch die tropische Sonne. Denn im 19. Jahrhundert kamen die ersten Siedler aus Pommern (heute Polen), die sich in Brasilien ein Ende ihrer Armut erhofften.

In der bergigen Gegend sieht es aus wie in einem bayerischen Alpendorf. Ein Dorfanger, Fachwerkhäuser, Kühe, deutsche Namen an den Geschäften und auf den Straßenschildern.

Schroeder, Manske, Karsten, Duwe. Wenn da die Palmen, die exotischen Blumen und die Hitze nicht wären, könnte das ein deutsches Örtchen sein. Und tatsächlich ist der Werbespruch „Unser kleines Deutschland“. Es gibt enge wirtschaftliche Verbindungen, besonders ins deutsche Vorpommern. Ein „Torgelow-Platz“ erinnert an die deutsche Stadt.

Pomerode ist eine Bolsonaro-Hochburg. 75 Prozent der Einwohner wählten den neuen Präsidenten, sagt Alidor Struck (87), der ein vom pommerschen Platt beeinflusstes Deutsch mit rollendem „r“ spricht, das sich norddeutsch anhört. Er ist gerade im „Restaurante Frau Dickmann“ zum Mittag eingekehrt, einem riesigen Bauernhaus direkt neben dem Fußballstadion „Hermann Koch“.

Drinnen hat es den Anschein einer deutschen Betriebskantine, mittelalte Männer in Sparkassen-Hemden, andere in Arbeitskleidung von der deutschen Weiku-PVC-Fabrik gegenüber.

„Bolsonaro macht uns Hoffnung. Schlechter kann’s wohl nicht mehr werden“, sagt Struck. In einem großen Saal neben dem Essraum hängen gestickte Decken mit den Namen der Schützenkönige von Pomerode. Alidor war 1972 König. In einer Ecke des Raums steht eine Platte von Bandinha Verde Vale (Band aus dem grünen Tal). Der Titel des Songs ist auf Deutsch: „Wir bleiben beim Bier“.

Schlosser Lionel Silse (28) spricht nicht ganz so gutes Deutsch wie der alte Alidor, kann sich aber gut verständigen. „Zu Hause reden wir Deutsch, sonst vergisst man es“, sagt er. Über Bolsonaro meint er, dass der zwar radikal sei, aber das brauche Brasilien gerade: „Alle machen, was sie wollen. Die Arbeitslosen haben den nicht gern, weil er denen vieles abgeschnitten hat.“

Restaurant-Chef Marcus Dickmann (35), blond, blaue Augen, findet, es habe sich schon etwas geändert, seit der Law-and-Order-Mann an der Macht ist. Es seien immer wieder Leute aus São Paulo gekommen und hätten Bürger ausgeraubt: „Seit er da ist, kommen die nicht mehr, es ist mehr Polizei auf der Straße.“

Aus Pommern in den Dschungel

Fredi Behling (55), weißer Vollbart, eisernes Kreuz auf den Unterarm tätowiert, spricht ein gutes, etwas eigenartiges Deutsch, er wohnt in einem schönen Haus an der Hauptstraße. „Die letzten 20 Jahre konnte Brasilien nicht mehr in einer guten Richtung wachsen“, sagt er. „Da musste was passieren, man braucht jetzt mal einen, der das Glied mal aushakt. Die größte Angst war hier, dass es so weit kommt wie in Venezuela.“

Bolsonaro sei zwar vielleicht nicht der allerbeste Mensch. „Aber wenn es der Pflanze schlecht geht, muss man auch mal giftige Pflanzenschutzmittel benutzen.“ Was sagt er über Bolsonaros erniedrigende Sprüche über Homosexuelle, Schwarze und Frauen?

Behling: „Da wird viel übertrieben von den Medien. Und viele sagen in Brasilien nicht mehr die Wahrheit, was sie wirklich denken, das ist auch nicht gut.“

Behlings Schwiegervater Roland Ehlert (85) spricht neben Hochdeutsch, das er in der Schule lernte, und Portugiesisch auch noch das alte Platt seiner Eltern. Es hört sich ein bisschen an wie niedersächsisches Platt. „Joa, min leive lüde doar in Dütschland. On ick will yi oach herzlich grüße“, sagt er. Sein Urgroßvater wanderte einst gemeinsam mit seinem Großvater ein.

Dann schwenkt Ehlert ins Hochdeutsch: „Unsere Vorfahren in Pommern hatten es schwer. Eiskalte Winter, wenig Brennholz, wenig Essen, kein Land. Hier war es auch schwer mit den Schlangen und dem Dschungel. Aber die hier waren, schrieben dann nach Hause: ,Kommt alle!‘ Sie wollten Gesellschaft.“

„Hitler ist ein Feuerwerk, das kann nicht lange halten“

Wie war es eigentlich in Pomerode während der Nazizeit? „Es gab eine kleine Gruppe Hitlerjugend. Aber als Brasilien an der Seiten der Alliierten in den Zweiten Weltkrieg eintrat, wurde die mit Knüppeln aufgelöst“, sagt der alte Ehlert. „Mein Vater sagte immer: Der Hitler ist ein Feuerwerk, das kann nicht lange halten.“

Ehlert war früher Kleinbauer: Milchvieh, Schweine. Jetzt vermietet er Zimmer an Touristen in einem von seinem Großvater 1897 in pommerscher Manier erbauten Fachwerkhaus. Nur ist das Holz der Balken und Dielen nicht aus Fichte, Eiche oder Buche, sondern tiefdunkles Tropenholz.

Er hat in Brasilien Zeiten der Militärdiktatur und der Demokratie erlebt. So richtig gut sei es nie gewesen. Beim Gespräch im Wohnzimmer der Bauernkate erklärt er, was sich seiner Ansicht nach schon im politischen Gebaren des neuen Präsidenten geändert hat.

Ehlert: „Bolsonaro hat sich allerhand Leute aus dem Militär ausgesucht, dass manche befürchten, dass es wieder militärisch wird. Aber ich glaube, mittlerweile hat er gemerkt, dass es nicht so einfach geht, dass etwa alle einfach nur gehorchen müssen, dass es nicht so rums, bums geht. Er hat gemerkt, dass man sprechen muss, zuhören, politisch sein.“

Nun hat Ehlert Hoffnung, dass sich das Land mit dem von ihm gewählten Präsidenten zum Besseren wendet.

Wacholderschnaps aus Zuckerrohr

Im Restaurant Schroeder sitzt ein alter Mann an der Theke und trinkt einen Cafezinho, einen kleinen Kaffee. Er war wie die meisten hier noch nie in Deutschland. Auf einem Regal hinter der Theke steht eine Flasche „Von Blumenau Wacholder“-Schnaps auf Zuckerrohrbasis.

„Wir hoffen, dass Bolsonaro alles richtig machen wird. Dass die Leute Arbeit haben, die Schulen besser werden, es mehr Sicherheit gibt. Allerdings hatten die anderen auch viel versprochen und das Gegenteil gemacht. Jetzt muss es klappen“, sagt er.

Ein glatzköpfiger Bolsonaro-Anhänger, der mit einer Gruppe blonder Männer an einem runden Tisch im Hintergrund sitzt, ruft ihm auf Portugiesisch zu: „Sag dem nichts, die schreiben das Gegenteil!“

Den „Fake News“-, „Lügenpresse“-Vorwurf gibt es hier also auch. Dann fragt der alte Mann noch, wie es sei mit den Flüchtlingen in Deutschland. „Zu uns kommen die Leute aus dem Norden Brasiliens und aus Venezuela, die arbeiten für die Hälfte, unsere Kinder müssen darunter leiden.“

Tresenkraft Mauro Duwe (51): „Bolsonaro ist gut. Man muss was ändern“

Tresenkraft Mauro Duwe (51): „Bolsonaro ist gut. Man muss was ändern“ (Foto: Til Biermann)

Am Flughafen Navegantes, auf dem Weg zurück nach Rio de Janeiro, erzählt dann ein geschäftsreisender Buchhalter aus der ebenfalls stark deutsch geprägten Stadt Blumenau, 30 Kilometer von Pomerode entfernt, was seine Hoffnung mit dem von ihm gewählten Präsidenten ist.

„Er ändert die Sozialgesetze und will Staatsfirmen privatisieren, das ist gut für die Wirtschaft. Er will härtere Strafen für Kriminelle und unsere Soldaten dürfen jetzt auf Banditen schießen, ohne dass auf sie geschossen wird, das ist gut für die Sicherheit. Nur redet er manchmal zu viel, das ist nicht so gut.“

 

Die ganze Reportage über Brasilien unter Bolsonaro mit Besuchen bei Gangstern in Favelas und bei der Mittelschicht im Barra da Tijuca können Sie hier lesen.