Die SPD hat sich in die Regierung geschleppt. Nun fehlt nur noch das Personal. Unser Autor nennt vier Gründe, warum niemand anders als Sigmar Gabriel Außenminister sein darf.

Im Sinne der Staatsräson muss, so stellte Machiavelli im 15. Jahrhundert fest, der Herrscher bereit sein, gegen die Moral zu verstoßen, um die Notwendigkeiten des Staates zu erfüllen. Da es im Moment, wer will das bestreiten, zu den dringenden Notwendigkeiten unseres Landes gehört, dass Sigmar Gabriel Außenminister bleibt, der beste Außenminister seit Frank-Walter Steinmeier, war es, nicht nur im Sinne der politischen Philosophie, natürlich richtig, dass Gabriel seine Tochter benutzte, um Martin Schulz zu schaden, seinem Widersacher („dem Mann mit den Haaren im Gesicht“ oder wie Menschen sagen würden, die nicht gerade versuchen, einem Kind Gemeinheiten in den Mund zu legen: Bart). Ich will im folgenden vier Punkte nennen, warum Sigmar Gabriel als Außenminister unersetzlich ist.

Beste Beziehungen zur Hamas

Noch nie, und das ist vor allem Gabriel zu verdanken, waren unsere Beziehungen zur radikalislamischen Hamas besser als heute. Gabriel hat Israel nicht nur einmal als Apartheidsstaat bezeichnet, vor Jahren nach einer Hebron-Reise. Sondern auch ein zweites Mal, als er in Berlin muslimische Vertreter traf. Er traf sie übrigens, und das ist jene feine Ironie, zu der nur Sigmar Gabriel fähig ist, in den Räumen der KiGa, der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus. Die Hamas twitterte sogleich ein Bild des deutschen Außenministers und zitierte seinen Satz von der Apartheid. Unser Außenminister schenkte ihnen Freude, wahrscheinlich tanzten sie, Gott und Gabriel preisend, tagelang im Kreis (obwohl tanzen? Ist wahrscheinlich nicht erlaubt. Vielleicht ballerten sie einfach ein bisschen in die Luft).

Nicht umsonst ist Gabriel, wie es einige Journalisten in diesen Tagen empört der SPD entgegen rufen, der beliebteste Politiker Deutschlands! Er beherrscht den Volkssport der Israelkritik wie kein zweiter. Statt Benjamin Netanjahu zu treffen, den gewählten Premier Israels, trifft er lieber die latent obskure NGO „Breaking the Silence“, die schon in ihrem Namen Israelkritik trägt, nämlich die implizite Behauptung eines israelischen Schweigekartells. „Breaking the Silence“ heißt: Niemand spricht über das, was wir kritisieren – die israelische Armee. Aber wir haben den Mut, den Mund aufzumachen. Da lässt sich Gabriel ein Treffen nicht nehmen, denn auch er bricht das Schweigen, er ist Sigmar der Drachentöter: unerschrocken und kühn.

Russland verstehen

Damit kommen wir zum zweiten Punkt, zu Russland. Drachentöter Sigmar erhebt sein Schwert gegen alles, das ihn und Deutschland (oft deckungsgleich) aufzuhalten versucht, auch gegen unerfreuliche Sanktionen. Obwohl es im Volkssport „Russland verstehen“ viel Konkurrenz gibt (teilweise sehr überraschende zuletzt: Christian Lindner, Hashtag Neudenken), kann in dieser Disziplin niemand seine Leistung so auf den Punkt abrufen wie Sigmar Gabriel. Er geht die Extra-Meter. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz stellte er seinem russischen Amtskollegen Lawrow eine Lockerung der Sanktionen in Aussicht, obwohl er wisse, dass die „ofizielle Position eine andere“ sei. Die offizielle Position lautet, zur Erinnerung: Man sollte nicht einfach so in ein Nachbarland einmarschieren und wenn man es doch tut, dann wird man bestraft.

Äquidistanz

Aber es wäre unfair, Gabriel Parteilichkeit vorzuwerfen. Sein Prinzip heißt Fairness, das ist Punkt drei. Er behandelt alle gleich. Drei Jahren nach dem Abkommen von Minsk ruft sein Ministerium beispielsweise „beide Seiten“ auf, sich zu bewegen. Also die Ukraine, gegen die Putin Krieg führt. Und Russland. Das ist Gabriels pädagogischer Pragmatismus: Wenn der aggressive Junge aus der 9a den Klavier-Lauch vermöbelt, dann würde es den Angreifer natürlich noch wütender machen, wenn man ihn auffordern würde, das zu unterlassen. Was heißt es also, dass sich beide Seite bewegen sollen, Russland und die Ukraine? Und wohin sollen sie sich bewegen? Wahrscheinlich Richtung Westen. Die einen ziehen sich zurück, die anderen rücken nach. So ist für alle Platz.

Man kann diese Fairness auch Äquidistanz nennen: Die deutsche Außenpolitik hält, wenn es irgendwo knallt, von allen Seiten gleich viel Abstand. Mit dem Gestus des ehrlichen, vernünftigen, immer alles schlichtenden Maklers.

So war das auch, als es im letzten Jahr auf dem Tempelberg in Jerusalem knallte. Gabriel ließ sich nicht verleiten, Partei zu ergreifen für einen engen Verbündeten und Freund, der regelmäßig mit Waffen angegriffen wird, die teilweise in den staubigen Mauern des Tempelbergs versteckt wurden. Nein, das Außenministerium rief „alle Seiten“ zur Mäßigung auf. Nämlich Israel, das zur Verteidigung und zum Aufspüren jener Waffen Metalldetektoren aufgestellt hatte. Und den aufgebrachten Mob, der Metalldetektoren als Verletzung seiner religiösen Gefühle empfand. (Diese Metalldetektoren haben, anders zum Beispiel als die Metalldetektoren im heiligen Mekka, in ihrem Menü eine Funktion „Verletzung der religiösen Gefühle“ – High-Tech aus Israel!)

Alles okay im Iran

Also nun Punkt vier, Iran. Man bekommt es nicht so richtig mit, wahrscheinlich waren wir halt ein bisschen abgelenkt durch unsere schmerzvolle, weltbewegende, Monate dauernde Regierungsbildung. Aber im Iran regt sich gerade Widerstand gegen das Mullah-Regime. Frauen legen öffentlich und demonstrativ ihr Kopftuch ab, trotz der permanenten Gefahr, festgenommen oder eingesperrt zu werden. Aber auch hier lässt sich der beste Außenminister seit Frank-Walter Steinmeier nicht von Sentimentalität irritieren. Er verzichtet darauf, sich öffentlich mit der iranischen Freiheitssuche zu solidarisieren.

Schließlich hatte man sich gerade darauf verständigt, dass die Regierung im Iran „gemäßigt“ und dort soweit alles okay ist, also zumindest so okay, dass für uns keine direkte Gefahr mehr besteht (Atomabkommen). So okay, dass die deutsche Wirtschaft dort gute Geschäfte machen kann. So okay, dass die EU-Chefdiplomatin Federica Mogherini unbeschwert Kopftuch-Selfies machen kann im iranischen Parlament. Na klar wird man da kurz schwermütig, wenn man die Bilder sieht von niedergeprügelten Demonstranten. Na klar schreckt man kurz auf, wenn Netanjahu bei der Münchner Sicherheitskonferenz ein verkohltes Bauteil einer iranischen Drohne präsentiert, die sich auf dem Weg nach Israel befand, also dort, wo sie eigentlich eher nicht hingehört.

Aber Sigmar Gabriel, der beste Außenminister seit Frank-Walter Steinmeier, lässt sich nicht von seinen Gefühlen wegtragen. Natürlich tat es ihm weh, seine fünfjährige Tochter für eine politische Auseinandersetzung einsetzen zu müssen. Aber die Staatsräson, die unbedingte Notwendigkeit, dass Sigmar Gabriel Außenminister der Bundesrepublik Deutschland bleibt, verlangte es.

Also stellte er seine Gefühle zurück.