Deutschland steht vor dem gewaltigen Umbruch in ein postfossiles Zeitalter. Das erfordert viele gemeinsame Anstrengungen. Doch danach sieht es im Moment nicht aus.

Prometheus, der Gott des Feuers, hat im Moment keinen guten Ruf. Dabei hat er uns lange die Wohnungen gewärmt, hat uns flugs von A nach B gebracht und die Schreibtische und digitalen Fenster erleuchtet. Ja, er hat es geschafft, dass ein Arbeiter heute besser lebt als ein König vor 150 Jahren. Wem sollte das nicht gefallen?

Allen hat es gefallen, wer in den Genuss des komfortablen zivilisatorischen Fortschritts kam und kommt, nicht nur Kapitalisten, sondern auch Sozialisten. Wer zum Beispiel Ernst Bloch mit seinem „Prinzip Hoffnung“ liest, wird in der propagierten Entfesselung der Maschinenwelt und der Naturwissenschaft eine Linke erkennen, die mit ihrer Euphorie die Kapitalisten in jeder Hinsicht noch übertreffen will.

Der Philosoph Günther Anders – das war der Ex der frühen Hannah Arendt – wusste aber schon vor achtzig Jahren: „Prometheus hat gewissermaßen zu triumphal gesiegt.“ Denn ob der kolossalen Förderung und Verbrennung von Kohle, Gas und Öl gehen natürliche Springquellen unwiederbringlich verloren, und die Atmosphäre erhitzt sich bedrohlich. Wir nennen das Klimawandel und ökologische Krise.

Obwohl dieses Problem global ist, spielt es nirgends eine größere politische Rolle als in Deutschland. Rufen wir hier nicht die üblichen, wenn auch nicht unbedingt falschen Erklärungsmuster von postromantischem Idealismus und „German Angst“ auf – aber die Geschichte ökologischen Denkens ist vor allem eine deutsche Geschichte. Und das hat auch mit der Partei Die Grünen zu tun. Und ihrem Erfolg.

Erfolg? Erlebt sie nicht gerade einen großen Misserfolg? Ein zentraler Baustein der geplanten ökologischen Transformation, das sogenannte „Heizungsgesetz“, ist höchst umstritten und möchte jetzt wohl vom Koalitionspartner FDP mit „100 Fragen“ sturmreif geschossen werden.

VERZWEIFELTE SZENEN

Wären die Auseinandersetzungen um die deutsche Klimapolitik in den letzten Wochen ein Gemälde, es käme denen von Francis Bacon sehr nahe: viele offene Münder, schmerzverzerrte Körper, grelle Todesallegorien, schwärende Kadaver. Besonders skurril war der Versuch eines bekannten Tegernseer Kolumnisten, die Wärmepumpe als Zerstörer bürgerlicher Kultur in Deutschland zu definieren. Es müssen sich also verzweifelte Szenen in den rund 1,4 Millionen Eigenheimen abgespielt haben, die sich in den letzten Jahren schon Wärmepumpen einbauen ließen. Wahrscheinlich wurden die Gartenzwerge depressiv, die Stiefmütterchen verwelkten, und der Wein im Keller ist schlagartig umgekippt.

Es ist natürlich keine so gute Idee des Wirtschaftsministeriums, sich beim Heizungsgesetz auf die Wärmepumpe zu versteifen und die Umstellung an sehr enge Fristen zu binden. Die Technik ist zwar ausgereift, gute Modelle sind auch leise, bei Neubauten ist sie leicht zu installieren. Aber im Bestand sieht die Sache anders aus, da geht es gewaltig ins Geld, und es stehen auch in den nächsten Jahren nicht die Handwerker zur Verfügung, alle diese Herausforderungen zu meistern. Selbst das Fraunhofer Institut geht davon aus, dass längst nicht so viele Gebäude wie gewünscht derart beheizt werden können. Nur sind die Alternativen wegen der langen Untätigkeit der Merkel-Regierung und der korrumpierenden Auslieferung an Putins fossile Energieträger auch kaum vorhanden – das Nichtstun zu verlängern wäre sicher die schlechteste aller Alternativen. Irgendwann muss man nämlich den Zug zur Klimaneutralität auf die Schienen setzen.

Doch darin könnte auch ein Grund für das Überperformen des Wirtschaftsministers liegen: Robert Habeck wollte nach der Großen Koalition eine neue Seriosität, einen neuen Republikanismus, eine neue Zukunftsorientierung und Dringlichkeit in die Politik bekommen – etwas, was sich von den Mehltaujahren unter Merkel deutlich abhebt. Er war es, der ein Dreivierteljahr vor der russischen Invasion in die Ukraine gereist war, um Solidarität mit dem damals schon bedrängten Land zu zeigen. Da schwärmte die SPD noch von ihrer Entspannungspolitik und den guten Beziehungen zu Putin. Und um Deutschland nach der Abkehr vom russischen Gas aus der Bredouille zu holen, war er sich auch nicht zu schade, vor den Gashändlern am Golf einen Bückling zu machen. Aber da (wie auch bei der Gasumlage) wirkte Habeck schon ein wenig wie ein Musterschüler unter Beweislast vor sich selbst und den Wählern, wie einer, der in jeder Minute zeigen will, dass man sich auf ihn verlassen kann und der es sehr ernst meint mit seinem Einsatz für die Sache, für Deutschland – aber das alles eben mit einer Unbedingtheit, einem Überanspruch an sich selbst, die keiner Sache und keinem Amt gut tut. In so einem Selbstverständnis fehlt es dann manchmal an reflexiver Distanz zum eigenen Tun – und das kann nicht durch andere in einer quasi eingeschworenen familiären Umgebung ausgeglichen werden, in der die gegenseitigen kritischen Korrekturmechanismen wie im Wirtschaftsministerium fehlen. 

Vielleicht hätte sich der Klimaminister Habeck ein Vorbild bei der Wärmepumpe selbst nehmen sollen, ja, wirklich bei der Wärmepumpe selbst. Wenn ihn nämlich die „prometheische Scham“ – dieser Begriff ist auch vom Ex der frühen Hannah Arendt – ergriffen hätte, dann hätte er erkannt, wie perfekt diese Apparatur ist, nicht schön, aber perfekt in der Hinsicht: etwas träge, aber dann sehr zuverlässig und ein Dauerläufer, sie benötigt nur maximal 40 Grad Vorlauftemperatur, da braucht man nicht „Gas geben“, und trotzdem erzeugt sie Wärme, und sie wird es so oder so immer häufiger tun, und in vierzig Jahren werden wir sie als so selbstverständlich ansehen wie ihren zweieiigen Zwilling, den Kühlschrank.

DAS DILEMMA DER DEUTSCHEN KLIMAPOLITIK

Ein entscheidender Grund für das unausgegorene Hals-über-Kopf-Heizungsgesetz liegt aber neben Habecks angestrengtem politischem Selbstverständnis auch in einem andauernden Dilemma der deutschen Klimapolitik. Diese sitzt fest in einem Schraubstock, der eine bewegliche, strategische und gleichzeitig realistische Klimapolitik erschwert. Auf der einen Seite sind auf allen Ebenen die Verzögerer und Aufhalter einer notwendigen ökologischen Transformation unseres Wirtschaftens und Konsumierens. Denn seien wir ehrlich: Die Unionsparteien, die FDP und Teile der Wirtschaft lassen diesbezüglich keine Gelegenheit aus, die vielen strukturellen Bremsen nicht lösen zu müssen. Auf der anderen Seite sind die Postwachstumsideologen, die die Wirtschaftsleistung um bis zu 90 Prozent reduzieren wollen und keine Probleme damit hätten, dass auch der wissenschaftliche Fortschritt und die soziale und äußere Sicherheit entsprechend schrumpfen und der Rest der Welt fassungslos und feixend auf das verarmte Museum Deutschland schauen würde. Forciert wird dieser weltanschauliche Irrweg durch die in der Öffentlichkeit ständig wiederholte Autosuggestion, Deutschland könnte das Klima, die Welt, die Menschheit retten.

Aber keine Regierung, keine Partei, kein Ministerium kann die Welt retten. Jedes Land muss entsprechend seinem Anteil die notwendigen Anstrengungen unternehmen, mit denen man Klimawandel, Ressourcenerschöpfung und den katastrophalen Verlust biologischer Vielfalt Einhalt gebieten kann. Mehr geht nicht. Eine globale Aufgabe ist nur global zu lösen.

Doch die Debatten werden weiterhin von Aufhaltern und Apokalyptikern bestimmt. Da wundert man sich nicht mehr, wenn in Deutschland mediale Ritterkämpfe wegen einer „Brötchentaste“ veranstaltet werden, bei deren Erhalt oder Abschaffung man anscheinend glaubt, das hätte existentielle Bedeutung für die individuelle Freiheit oder man könnte dadurch irgendwo auf der Welt die staubigen Stauseen wieder füllen. Das ist auch ein sehr magisches Denken.

Darin treffen sich Aufhalter und Apokalyptiker: Sie billigen beide der kapitalistischen Ökonomie keine Evolution zu, keine Entwicklung zu einer ökologischen Marktwirtschaft. Die einen wollen sie so erhalten, wie sie ist: eine zu Gefräßigkeit neigende Maschine. Die anderen wollen sie abschaffen. 

DAS FEHLEN EINER GEMEINSAMEN ANSTRENGUNG

Man möchte annehmen, dass die Ampelregierung als „Fortschrittskoalition“ letztlich den Weg einer grünen Marktwirtschaft gehen will. Aber ist das wirklich so? Das Bild ist uneinheitlich. Die FDP lehnt staatliche Eingriffe per se ab, die Grünen trauen dem Emissionshandel nicht sonderlich viel zu und favorisieren Verbote, von der SPD und ihrem Kanzler weiß man nichts Genaues. Es war jedenfalls ein Fehler, die letzten sechs Atomkraftwerke stillzulegen und dafür teurere fossile CO2-Schleudern anzuwerfen. Wenn dann Gasheizungen verboten werden sollen, kräuseln sich angesichts solcher Widersprüche die Stirnflächen auch wohlmeinender Bürgerinnen und Bürger. Sie merken auch, dass trotz gewaltiger Herausforderungen so etwas wie eine gemeinsame Anstrengung fehlt. Es muss nicht nur in Parteien, es muss auch in einer Regierung in den entscheidenden Dingen Geschlossenheit herrschen. Es funktioniert nicht, wenn jeder nur seine Parzelle bewirtschaftet. Da kann man sich nicht mit dem Stichwort „Wettbewerbsdemokratie“ rausreden. Derweil ist in Deutschland der durchschnittliche Preis für Strom weltweit mit am höchsten.

In den USA gibt es den grünen Inflation Reduction Act, in der EU einen Green Deal – warum schaffen wir nicht ein klitzekleines gemeinsames  „Apolloprogramm“, um noch mehr und noch schneller erneuerbare Stromerzeuger und -speicher zu installieren? Ein Programm, dass Bund, Länder und Gemeinden als einen kollektiven Ruck verstehen und nicht als Arena für ideologische Schaukämpfe? Schließlich brauchen Elektromobilität, Digitalisierung und Wärmepumpen immer mehr Strom, preiswerten Strom. Im vergangenen Jahr hat Deutschland rund 550 Milliarden Kilowattstunden Strom verbraucht; in sieben Jahren werden wir über 700 Milliarden Kilowattstunden Strom benötigen. D.h. in diesen paar Jährchen müssen wir die Menge an Erneuerbaren Energien mehr als verdoppeln – oder noch mehr Kohle verfeuern. Und das ist erst der Anfang. Unsere künftige Zivilisation wird vor allem auf Elektronen und nur wenigen Wasserstoffmolekülen für Prozess- und Fernwärme und den dicken Brummern der Mobilität gebaut.

Eigentlich ist doch alles ganz einfach. Wir brauchen mehr Strom. Und der Preis für Strom muss runter.

Prometheus geht in den Ruhestand – und hinterlässt eine Stromlücke.