Rote Gentechnik in Grün
Die grüne Partei ist gegen Gentechnik „auf dem Acker, auf dem Teller, im Wald und im Tier“ – nur im Menschen darf sie stattfinden. Und in Bakterien. Klingt nicht nur unlogisch, sondern ist es auch. Einige Grüne wollen das jetzt ändern. Coronavirus und Klimawandel zwingen dazu.
Als in dieser Woche das Mainzer Biotechnologie-Unternehmen BioNTech ermutigende Daten seines RNA-Impfstoffs zur Vorbeugung gegen SARS-CoV2-Infektionen bekannt gab, verbreiteten die in Rheinland-Pfalz mitregierenden Grünen ein Foto, in dem sich Anne Spiegel, derzeit Ministerin für Familie, Frauen, Jugend, Integration und Verbraucherschutz in Rheinland-Pfalz, über den Impfstoff freute und – ganz Politikerin – „Vorsprung Made in Rheinland-Pfalz“ konstatierte.
Nun mag man der Spitzenkandidatin der Grünen für die Landtagswahl 2021 vorhalten, dass sie und ihre Partei an dem Erfolg in keiner Weise beteiligt waren. Man könnte sich auch daran erinnern, dass die in Rheinland-Pfalz schon länger mitregierenden Grünen 2011 den BASF-Standort in ihrem Land zur „gentechnikfreien Zone“ erklärten und dem Konzern die Forschung so sehr erschwerten, dass er seine Forschungsabteilung in die USA verlagerte – ein Schritt, den die grüne Umweltministerin Ulrike Höfken ebenso wie die grüne Wirtschaftsministerin Eveline Lemke öffentlich begrüßte. Oder daran, dass die grüne Partei, hätte sie sich durchsetzen können, 2001 die Gründung von Ganymed, dem ersten Biotech-Unternehmen der BioNTech-Gründer, untersagt hätte. Dann wären Özlem Türeci und Uğur Şahin heute vermutlich in den USA. Geschenkt.
Grüne für Impfstoff!
Festzuhalten ist erst einmal, dass eine prominente grüne Politikerin sich für einen Impfstoff einsetzt. Das ist nicht selbstverständlich. Dem HPV-Impfstoff, der beispielsweise in Australien zu einem derartigen Rückgang von Gebärmutterhalskrebs geführt hat, dass die Krankheit dort möglicherweise bald besiegt ist, begegnen die Grünen bis heute mit großer Skepsis, was zahlreiche Anfragen und kritische Beiträge belegen. Darin unterstellen sie dem Impfstoff Unwirksamkeit, katastrophale Nebenwirkungen und unklare Langzeitfolgen – und den Zulassungsbehörden Kungelei mit der Pharma-Industrie. Auch den Impfstoff gegen die sogenannte Schweinegrippe sehen die Grünen kritisch. Im EU-Parlament forderten sie gar einen Untersuchungsausschuss, um Verquickungen zwischen der europäischen Arzneimittelagentur EMEA und der Pharma-Industrie auf den Grund zu gehen. Und als die EU im Frühsommer wegen der Suche nach Corona-Impfstoffen die strikten Gentechnik-Regeln für die Impfstoffkandidaten lockern wollte, enthielten sich die Grünen im EU-Parlament mehrheitlich. Impfungen sind für die vielen Anhänger von biodynamischer Landwirtschaft, Waldorfpädagogik und Homöopathie an der grünen Basis eben noch immer der Gottseibeiuns. Eein schwerwiegender Eingriff, Chemie im Körper, mit unbekannten Folgen, womöglich Autismus, Krebs und Tod. Und jetzt sollen auch noch Virusgene injiziert werden, wo wir Gene nicht mal „auf dem Teller“ tolerieren sollten?
Gentechnik – was ist das eigentlich?
Womit wir beim Thema Gentechnik wären. Auf die zum Teil ironischen Kommentare und kritischen Nachfragen, wieso eine Spitzenkandidatin der Grünen, die sich noch im letzten Wahlkampf damit brüstete, es sei ein „GRÜNER Erfolg“, dass Rheinland-Pfalz „gentechnikfrei“ bleibe, sich plötzlich mit einem Gentechnik-Unternehmen schmückt, reagierte das Team (angeblich war es eine Software namens Conversario) mit Löschungen und Sperrungen, dann mit Entschuldigungen, einer Entblockung und schließlich mit einem hastig produzierten Video. In dem verrannte sich Anne Spiegel völlig.
„Wir Grüne lehnen den Einsatz von Agro-Gentechnik ab. Wir setzen uns ein für ein gesundheitsschonendes, ressourcenschonendes und umweltschonendes Landwirtschaften. Wir wollen keine Gentechnik auf unseren Tellern haben, denn es hat unkontrollierbare Risiken für Mensch, Tiere und Umwelt. Das ist abzugrenzen von der roten Gentechnik. Die rote Gentechnik, das unterstützen wir Grüne, denn das ist Grundlagenforschung an den Universitäten und Hochschulen, auch hier in Rheinland-Pfalz und BioNTech ist ja eine Ausgründung aus dieser Grundlagenforschung an einer Hochschule und hat damit einen entscheidenden Schritt auch geleistet im Bereich der Impfstoffforschung voranzukommen und natürlich ist das etwas, was wir Grüne von Anfang an auch sehr unterstützen und begrüßen und wir hoffen alle, dass das jetzt der entscheidende Schritt ist, damit wir alle die Corona-Pandemie hoffentlich eindämmen können.“
Medikamente und Impfstoffe sind also reine Grundlagenforschung? Und wo kommen CRISPR-Cas und transgene Pflanzen her? Etwa nicht aus der Grundlagenforschung?
Für dieses wirre Statement darf die Öffentlichkeit Anne Spiegel dankbar sein. Nichts zeigt besser, dass die Grünen mehr und mehr Mühe haben, ihre gespaltene Haltung zur Gentechnik (rote = gut, grüne = böse) aufrecht zu erhalten.
Definiert man Gentechnik als Technologie, die im Zellkern das Genom ändert, dann ist auch Genome-Editing Gentechnik und muss streng reguliert werden. Diese Position ist den Grünen am liebsten. Sie mögen das der Natur abgeschaute Verfahren so wenig, dass die Partei und ihr Führungsduo es nicht einmal über sich brachten, der in Deutschland wirkenden Mitentdeckerin Emanuelle Charpentier zu ihrem diesjährigen Nobelpreis zu gratulieren.
Gute Gene, schlechte Gene
Allerdings schließt die genannte Definition auch die klassischen Verfahren der Mutationszüchtung ein, die seit den 1930er Jahren angewandt wird. So steht es in der EU-Richtlinie zur Gentechnik und so hat es der Europäische Gerichtshof unlängst in seiner Entscheidung zum Genome-Editing bekräftigt. Frankreich hat daraufhin bereits beschlossen, alle nach Verabschiedung der Richtlinie mit Mutationszüchtung neu geschaffenen Sorten den strengen Vorschriften zu unterwerfen. Bei der Mutationszüchtung wird das Genom durch Bestrahlung oder Chemikalien ungezielt verändert, anders als bei der gezielten Veränderung durch Genome-Editing.
So weit gehen möchten die Grünen aber auch nicht, denn es würde bedeuten, dass viele im Biolandbau angebaute Sorten plötzlich als „gentechnisch modifizierte Organismen“ (GMO) gelten würden. Also berufen sie sich darauf, die klassische Mutationszüchtung habe „safe use“ bewiesen. Das verwundert alle, die sich mit Genetik ein wenig auskennen, denn erstens ist und bleibt völlig unbekannt, wie viele Gene bei einem Eingriff mit Strahlung oder Chemikalien wie verändert wurden und zweitens gibt es zahlreiche Beispiele von Nutzpflanzen, die nach dem Eingriff gesundheitsschädlich waren und vom Markt zurückgezogen werden mussten.
Ähnlich widersprüchlich ist die Haltung der Partei zur Kennzeichnung. Gentechnik in Lebensmitteln soll unbedingt strikt gekennzeichnet werden, außer es geht um gentechnisch hergestellte Zusatzstoffe wie Vitamine, Farbstoffe, Aromen oder sonstige Hilfsmittel. Da sind die Grünen pragmatisch und listig zugleich. Gentechnisch veränderte Mikroorganismen sind heute Standardverfahren zur Herstellung dieser Stoffe, so dass das „GMO-Label“ auf so viele Lebensmittel müsste, dass ein Gewöhnungseffekt eintreten könnte. Das Gleiche gilt für gebleichte Jeans, die meisten Waschmittel und viele andere Produkte.
Risiko nach Wahl
Noch widersprüchlicher ist die Haltung zu den potenziellen Risiken. Bei der Agrogentechnik wird zuverlässig mit Tschernobyl argumentiert und das Szenario einer ökologischen Katastrophe an die Wand gemalt, die durch freigesetzte Organismen entstehen könnte. Gentechnische Veränderungen könnten sich ungehindert verbreiten, seien nicht rückholbar und könnten ganze Ökosystem verändern.
Um zu erkennen, wie absurd die Behauptung ist, muss man sich nur daran erinnern, dass alle Pflanzen Gene enthalten. Und jedes dieser Gene kann potenziell über Pollen oder bestimmte Bakterien an nah verwandte Arten übertragen werden. Selbst eine alte Sorte kann Resistenzgene unbeabsichtigt an andere Arten weitergeben; auch das Solanin-Gen aus der Biokartoffel, das weitgehende Insektenresistenz vermittelt, kann theoretisch an andere Nachtschattengewächse weitergegeben werden.
Das beliebte Katastrophenszenario der Genweitergabe haben die Grünen mit dem Eintritt ins erste Kabinett Schröder übrigens eingeschränkt. Zuvor galt auch die rote Gentechnik als ökokatastrophentauglich. Ein Gentechnik-SuperGAU drohte durch die Produktion von menschlichen Hormonen wie etwa dem Insulin mittels gentechnisch veränderter Bakterien. Auch da wurde Tschernobyl bemüht. Fermenter könnten leckschlagen; jede weitere Anlage erhöhe das Risiko, dass das eines Tages passieren würde. Dass es sich bei den Produktionsorganismen um Mangelmutanten handle, die in der freien Wildbahn nicht überleben könnten, sei nicht überzeugend. Das Plasmid mit dem Insulin-Gen könne von Bodenorganismen auch aus toten Bakterien aufgenommen werden. Und wenn Insulin-produzierende Bakterien mit der Nahrung in den menschlichen Darm geraten würden, drohe Krankheit und Tod. Aus nie erklärten Gründen ist dieser Teil der Ökokatastrophen-Erzählung unter den grünen Teppich gekehrt worden und bislang nie wieder aufgetaucht, obwohl die Fermenter und die Produktionsorganismen noch immer die gleichen sind und in diesem Teil der Erzählung die „Fremdgene“ sogar ihren Weg in den Menschen finden.
Gutachter für Schreckensszenarien gesucht
Die Produktion solcher Schreckensszenarien beginnt mit der Suche nach zumeist selbsternannten „Experten“, die nach Beauftragung Literatur beischaffen, mit der man noch die absurdeste Behauptung unterfüttern kann. NGOs wie Testbiotech machen das derzeit im Auftrag grüner Politiker in Sachen CRISPR-Cas, inklusive eines für den 27.11. angekündigten, exklusiven Online-Seminars nur für ausgewählte EU-Parlamentarier mit freundlicher Unterstützung durch das Bundesforschungsministerium.
Das alles ginge auch für den neuen Impfstoff, wenn man nur wollte. Derzeit bemühen sich die Grünen allerdings, darauf hinzuweisen, dass dabei zwar Virusgene übertragen würden, aber es sich dabei um mRNA handle, die keinen Weg in den Zellkern oder ins Genom finden könnten. Es kostet fünf Minuten Suche in einer Literaturdatenbank, um ein halbes Dutzend Arbeiten zu finden, die Zellen beschreiben, in denen virale mRNA via einer Reverse-Transkriptase ins Genom integriert wird. Man könnte auch ein Szenario entwerfen, in dem bereits vorhandene andere RNA-Viren mit den Virusgenen aus dem Impfstoff rekombinieren und völlig neue Eigenschaften erwerben. Manchen RNA-Viren rekombinieren tatsächlich miteinander. Die Arbeiten werden hier mit Absicht nicht verlinkt, weil es bereits genug „Corona-Rebellen“ und Impfgegner gibt, die nach dieses Szenarien suchen. Und denen, die jetzt aufgeschreckt sind, sei versichert, dass diese Risiken bei der Entwicklung von RNA-Impfstoffen gründlichst bedacht worden sind und aus vielerlei Gründen ausgeschlossen werden können.
Aber solche Feinheiten haben bislang NGOs oder grüne Abgeordnete nicht davon abgehalten, Schreckensszenarien zu entwerfen und zu kommunizieren. Dass diesmal nicht Harald Ebner und Testbiotech, sondern Attila Hildmann & Co mit sowas an die Öffentlichkeit gehen, hat seine Ursache einzig und allein darin, dass die Grünen beschlossen haben, den Corona-Impfstoff gut zu finden. Bei der grünen Gentechnik gilt weiter: Es werden gezielt Veröffentlichungen gesucht und ohne Kontext und Einordnung verbreitet, die geeignet sind, Wissenschaftler, Firmen und Behörden zu diskreditieren und die Öffentlichkeit in Aufregung zu versetzen. Bei der grünen Gentechnik reichen auch 40 Jahre Sicherheitsforschung nicht aus, um die grünen Bedenken auszuräumen und nach mehr kritischer Forschung zu rufen; bei den neuen RNA-Impfstoffen taucht die Warnung „niemand kennt die Langzeitfolgen“ nicht auf. Auch versucht bislang niemand in der Partei, wie beim HPV-Impfstoff oder der grünen Gentechnik den Zulassungsbehörden sinistre Seilschaften nachzuweisen. Selbst Bill Gates, dem in Sachen grüne Gentechnik und Engagement in Afrika von der Partei beständig üble Machenschaften vorgeworfen werden, taucht in keiner grünen Pressemitteilung auf, sobald es um den neuen Impfstoff geht, obwohl er doch in BioNTech investiert hat.
So ne Wissenschaft und so ne Wissenschaft
Mit Wissenschaft hat das alles nichts, aber auch gar nichts zu tun. Wenn die Partei beschlossen hat, etwas gut zu finden, sind Fakten und konsistente Argumentation unwichtig. Plötzlich ist Gentechnik gut, die Pharmaindustrie auch, Bill Gates kein Thema, Impfstoffe sind sicher, den Aufsichtsbehörden können wir vertrauen und vor allem aber der Wissenschaft – schließlich wird in Deutschland solide geforscht!
Das kann dann sogar für die Agrogentechnik gelten. Steffen Regis, Landesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen Schleswig-Holstein, erläuterte auf Twitter, dass eine Pflanze, die mithilfe von Genome Editing zur Immunität gegen Coronainfektionen verhelfen würde, für ihn rote und nicht grüne Gentechnik sei und deshalb angebaut werden könne. Da ist die Möglichkeit des Auskreuzens der entsprechenden Gene plötzlich unbeachtlich.
Für das neue Grundsatzprogramm der Partei liegt ein Änderungsantrag vor, in dem es u.a. heißt: „Uns stehen nun die im Vergleich zur klassischen Gentechnik weitaus präziseren Verfahren der neuen Gentechnik zur Verfügung. Hierin liegt eine historische Chance, Pflanzen zu züchten, die besser an die jeweiligen Umweltbedingungen angepasst sind. Gerade in Hinblick auf den Klimawandel ist es deshalb notwendig, die Verfahren der neuen Gentechnik rein wissenschaftsbasiert zu bewerten. Forschung zu neuer Gentechnik soll gestärkt werden, damit hier nicht der Anschluss an die internationale Wissenschaftsgemeinschaft sowie die Chancen, die diese Technik bietet, verpasst werden. (…) Wir setzen uns deshalb für eine produktbasierte statt einer prozessbasierten Bewertung ein…“
Die Spatzen pfeifen von den Dächern, dass Robert Habeck und Annalena Baerbock inzwischen längst von dem kategorischen Nein zur grünen Gentechnik abgerückt sind und Gerüchten zufolge betrachtet die Parteispitze diesen Antrag mit Wohlwollen. Besonderes Gewicht hat ihre Stimme bei den basisdemokratisch verfassten Grünen jedoch nicht.
Das ist dann der Moment, in dem man sich einen Joschka Fischer zurückwünscht, der mit seiner Rede zum Natoeinsatz im Kosovo die Friedenspartei vom Kriegseinsatz überzeugte. Wenn die Parteivorsitzenden heute tatsächlich davon überzeugt sind, dass der Klimawandel eine Schicksalsfrage für das Überleben der Menschheit ist, müssten sie eine solche Rede zur Verteidigung der modernen Pflanzenforschung halten. Jetzt geht es um die Glaubwürdigkeit der Klimapartei: Meint sie es ernst oder glaubt sie immer noch, wir könnten für die Rettung des Klimas auf bestimmte Technologien verzichten, nur um Befindlichkeiten der Parteibasis nicht zu beeinträchtigen?