Deutschlands milliardenschwere Energiewendeförderung hat einen neuen Experten- und Unternehmer-Typus hervorgebracht: den Ökostrom-Technokraten. Unsere Autorin hat einen exemplarischen Einblick in den Denkstil der Green-Growth-Klasse genommen.

Deutschland ist sehr stolz auf seine Erneuerbaren Energien. Die lässt es sich auch eine Menge kosten: 520 Milliarden Euro könnten wir bis 2025 hingeblättert haben, um uns täglich mal mehr, mal weniger von Sonne und Wind bestromen zu lassen. Zur Erinnerung: Das ist bereits jetzt, nach rund 20 Jahren Fördergeschichte, weit mehr als die geschätzten 304 Milliarden Euro, die in 60 Jahren Förderung der Kernenergie von 1950 bis 2010 geflossen sind.

Der Reigen der Profiteure

Die meisten Kritiker denken immer zuerst an die Grünen als geistige Eltern und an die Kanzlerin als Mutter der Energiewende, wenn sie Verantwortliche für diese Verschwendung öffentlichen Geldes benennen wollen. Doch es ist vor allem eine bis heute unterschätzte neue technische Elite, welche die Energiewende vorantreibt und gleichzeitig am meisten von ihr profitiert: Windkraft-Ingenieure, Solar-Unternehmer und Erneuerbare-Energien-Forscher.

Milliarden Euro an Umlagen der Stromkunden und öffentlichen Mitteln fließen direkt oder indirekt in ihre Taschen: als Beamtenbesoldung für die vielen neuen Energieprofessuren. Als staatliche Drittmittel für Energiewende-Forschungsprojekte, welche, mit durchwachsenem Erfolg, die Anlagen effizienter, netzkompatibler oder ökologisch verträglicher machen sollen. Als Honorare für Beratungsfirmen. Oder als Subventionen. Photovoltaik-Unternehmen und Windkraftanlagen-Betreiber erblühen heute unter einem warmen Regen von Steuerprivilegien, Fördergeld und gebührenfinanzierten Profitgarantien.

Der Solarpapst ist sauer

Einer der Kapitäne dieser Ökowirtschaft heißt Stefan Krauter und profitiert vom staatlich garantierten Geldsegen sogar doppelt, weil er gleichzeitig Erneuerbaren-Unternehmer und Erneuerbaren-Professor ist. Bescheiden, wie die Green-Growth-Wellenreiter eben sind, bezeichnet er sich auf Twitter als „Solarpapst“; beruflich war er bis Mai 2018 Vorstand der Berliner „Photovoltaik Institut AG“, eines Planungs- und Beratungsunternehmens im Solarbereich, und Gründer der Rio-Solar, eines Photovoltaik-Developers mit Tätigkeitsschwerpunkt in Lateinamerika.

Daneben ist der promovierte Ingenieur für Elektrotechnik aber auch Professor für Nachhaltige Energiekonzepte mit Forschungsschwerpunkt Photovoltaik an der Universität Paderborn. In der erzkatholischen westfälischen Provinz hat Krauter womöglich die Unfehlbarkeits-Garantie des päpstlichen Lehramts schätzen gelernt und sich davon zu seinem Nickname inspirieren lassen.

Dieser Tage war der Heilige Sonnenvater mit der Bahn unterwegs, als er infolge eines der DB-notorischen vollelektronischen Stellwerksstörfälle in Hannover liegenblieb. Der leidgeprüfte Bahn-Vielfahrer kennt und erträgt solche Vorfälle, nicht aber Professor Krauter, der seinem Ärger in einem denkwürdigen Tweet Luft machte:

Nanu, denkt der elektrotechnische Laie, was hat jetzt die Bahn mit der Atomkraft zu tun? Die fährt doch ausweislich ihrer Werbung mit Ökostrom? Tschernobyl, Fukushima, und jetzt auch noch Hannover?

Aber Spaß beiseite. Was Krauter meint, ist folgendes: Siemens stellt die Leittechnik für die Bahn her, der er Unzuverlässigkeit attestiert. Siemens hat aber auch die Leittechnik der deutschen Kernkraftwerke gebaut. Folglich ist ein Stellwerksausfall in Hannover 2019 ein Beleg für die generelle Unzuverlässigkeit von Kernkraftwerken seit 1980. Ein lehramtlicher Analogschluss, der jedem Siebtklässler im Physiktest dick rot angestrichen würde.

Doch er hat durchaus seine politische Logik: Nach Auffassung der Ökostrom-Apologeten „verstopft“ Atomstrom die Netze und verhindert somit den weiteren Ausbau der Erneuerbaren (und der Erneuerbaren-Professuren). Und nur, wenn man die Stromproduktion aus Kernenergie als unzuverlässig und gefährlich disqualifizieren kann, ist der bedeutendste Konkurrent der Wind- und Solarenergie auf dem Markt für CO2-freie Stromerzeugung erledigt.

Für Krauter muss eine Bahnfahrt von Hannover nach Paderborn aber auch ohne Stellwerksschaden eine Anfechtung sein. Denn wenn er hinter Hameln links aus dem Fenster guckt, dann muss der Solarpapst dem leibhaftigen Stromteufel ins Auge blicken: dem Kernkraftwerk Grohnde, das an der Weser stoisch durch die Landschaft dampft und solide und zuverlässig seine rund 1440 Megawatt Leistung ins Netz schiebt, und zwar punktgenau dann, wenn sie benötigt wird. Oder auch weniger, wenn sie nicht benötigt wird – zum Beispiel, wenn, wie am Sonntag, die Windmüller einen ihrer guten Tage haben.

Flexible Kernkraft, lahmende Photovoltaik

Grohnde kann das, weil es erstens über eine neue lastfolgefähige Reaktorleistungsregelung verfügt, und zweitens seit Jahrzehnten eine sehr bewährte Form von Siemens-Leittechnik nutzt. Diese hat aufgrund ihrer Staffelung in Regelungs-, Begrenzungs- und Schutzebenen weltweit Standards in der Kerntechnik gesetzt, da sie für äußerst hohe Anlagenzuverlässigkeit sorgt. Grohnde ist mit dieser Leittechnik 2016 – zum wiederholten Male – Stromerzeugungs-Weltmeister geworden. Krauter hat davon offensichtlich noch nie gehört. Was hingegen seine Photovoltaikanlagen für dieses Land leisteten, während er in Hannover gegen die unzuverlässige Kernkraft antwitterte, ist öffentlich einsehbar. Die Antwort ist: Nichts.

Wer nun einwendet, dass dies bei der im Winter häufigen Dunkelheit ja logisch sei, der hat schon eine systemimmanente Unzuverlässigkeit der Solarenergie in allen Ländern ohne Polarsommer erfasst. Er kann sich aber genauso die Photovoltaik-Stromproduktion an einem typischen Wintervormittag in diesem Januar anschauen. Am 7. Januar war es zwar hell, die Sonnenstrom-Erzeugung aber auch nicht wesentlich produktiver. Gegen Winter, Nacht und trübes Wetter helfen eben keine Forschung, keine Beratung und keine Subvention.

Auf solche Kleinigkeiten hinzuweisen, hieße nun wirklich, päpstlicher als der Solarpapst zu sein. Daher schließt die Nuklear-Ketzerin mit der zutiefst christlichen Hoffnung, dass der Herrgott den Prof. Dr.-Ing. in Zukunft davor bewahren möge, uns mit windschiefen und unwissenschaftlichen Analogschlüssen für dumm zu verkaufen.

Möge er doch bei seinen Leisten bleiben und sich um die Lösung der Frage kümmern, wie Wind- und Solarkraftwerke gesicherte Leistung bereitstellen können, wenn Kern- und Kohlekraftwerke diese Leistung demnächst nicht mehr bereitstellen dürfen. Dabei kann er gleich auch noch erforschen, wie man die Branche von der Droge des staatlichen Finanzdopings entwöhnt.

Bislang treffen kurzfristige Zwangsabschaltungen großer Verbraucher wegen akuten Strommangels, jüngst geschehen etwa am 14. Dezember, „nur“ die Aluminiumindustrie und andere stromintensive Betriebe. Bald aber könnte auch die Bahn stehenbleiben, mitsamt allen Lehrstuhlinhabern,  grünen Unternehmern, Umweltberatern, Solarpäpsten und Windkraft-Königen, die ihre 1. Klasse bevölkern. Und wenn es so kommt, dann wird das nicht an Siemens liegen – sondern am Ökostrom.