Ein Ende der SPD fürchten auch viele ihrer Gegner, da die Partei als Stabilitätsgarant gilt. Doch dank inhaltlicher Auszehrung und populistischer Anwandlungen ist auch das vorbei. Nüchtern betrachtet ist die Partei reif für die Abwicklung.

Der Autor dieser Zeilen ist Mitglied der FDP. Das muss gleich zu Beginn vorausgeschickt werden, einerseits aus Gründen der Transparenz und andererseits, weil somit Erfahrungswerte dazu vorliegen, wie es sich anfühlt, Mitglied einer Partei zu sein, die gestern am Abgrund stand und heute schon einen Schritt weiter ist. Jedoch: Die Liberalen haben ihre Talsohle inzwischen durchschritten. Das Sorgenkind der deutschen Politik heißt längst SPD. 

Die Partei, die bis in historische Zeit den Regierungschef stellte und sich noch bei der Wahl 2013 mit heute astronomischen 26 Prozent nur bedingt zufrieden zeigte, ist seit über einem Jahr in den Umfragen im niedrigen zweistelligen Bereich wie festgenagelt. Längst geht es für sie nicht mehr ernstlich um den zweiten Platz im Parteiengefüge, und auch den dritten droht die AfD ihr bereits erfolgreich streitig zu machen.

Wer solchen Schaden hat, braucht für ungebetene Fehleranalysen nicht zu sorgen. Die fallen mal mitleidig, mal gehässig aus, doch selbst die bösartigsten Kommentatoren bescheinigen der Partei stets, dass ihr Abstieg ein Menetekel für das auf starke Volksparteien ausgerichtete deutsche Parteiensystem sei; langfristig brauche es eine starke SPD auch aus konservativer und wirtschaftsliberaler Perspektive, so der Tenor.

Verlockender Status quo ante

Das klingt nicht unplausibel, nachdem inzwischen keine Partei mehr in den Umfragen die Marke von 30 Prozent erreicht. Angesichts der neuen Instabilität liegt es nahe, dass der Status quo ante der Neunziger und frühen Zweitausender plötzlich wieder ganz verlockend wirkt.

Aber es hilft nichts: Kein Flehen und Wünschen wird die vergangenen 20 Jahre ungeschehen machen. Man muss der Tatsache ins Auge sehen, dass die SPD ein Auslaufmodell ist, und niemand liefert dafür bessere Argumente als die Partei selbst.

Ihre Außenpolitik ist längst unverantwortlich und erratisch, mehr als nur tendenziell populistisch, dazu uneuropäisch und ein Segen nur für die autoritären Regime unserer Zeit, deren Bekämpfung der Westen sich eigentlich auf die Fahne geschrieben hatte. Anstatt klare Kante zu zeigen, dient eine nationalpazifistische SPD sich kriegerischen Unrechtsstaaten wie Russland, Syrien und dem Iran an, hintertreibt eine europäische Sicherheitsarchitektur und besitzt auch noch die Stirn, all das am Ende den USA in die Schuhe zu schieben, die daran, bei allen zahlreichen Fehlern Trumps, wirklich am wenigsten Schuld tragen.

Innenpolitisch versucht die Partei seit Langem nur noch, eine schlechtere Kopie der Grünen zu sein – und selbst das misslingt ihr regelmäßig, wie die ungelenken Vorstöße der Umweltministerin zeigen. Auch die Sozialdemokratie kann keine Kreise quadrieren, und alles zu verteuern, ohne dabei den „kleinen Mann“ zu belasten, ist auch für sie unmöglich. Sie hat keine positive Vision mehr für die Zukunft, und wenn sie sich doch einmal mit originär sozialdemokratischen Ideen durchsetzt, dann zerschellen diese wie die Mietpreisbremse an einer Realität, die dafür momentan schlicht keinen Spielraum bietet.

Zusätzlich zur programmatischen Anämie fährt die SPD inzwischen auch personell auf der Felge, ihre Politiker sind durch die Bank entweder verbraucht, unbekannt oder gefährlich. Was sie bietet, sind lauwarme Aufgüsse wie Martin Schulz und letzte Schröder-Mohikaner wie Thomas Oppermann, farblose Phrasenmaschinen wie Katarina Barley und charismatische Dogmatiker wie Kevin Kühnert. Und natürlich Leute wie Ralf Stegner, der auf Twitter unter den Wassern schwebt, der bald Musiktipps teilt und bald Anfälle politischer Amnesie erleidet, auf jeden Fall aber Freund wie Feind nur peinlich ist. Halbwegs vermittelbare Akteure wie Malu Dreyer oder Olaf Scholz sind Mangelware, und es spricht Bände, dass sie den Parteivorsitz inzwischen scheuen wie der Teufel das Weihwasser.

Die immer geringere Zahl von Wählbaren trifft indes auf eine noch schneller sinkende Zahl potenzieller Wähler. Die SPD bedient längst keine eigene Klientel mehr, auch bei den Arbeitern ist sie seit mehr als einem Jahrzehnt nicht mehr stärkste Kraft (eine Entwicklung, die Länder wie Sachsen und Thüringen schon lange vorweggenommen haben).
Wem es um die Wirtschaft geht, der wählt Merkel oder die FDP, wer trotzdem weiter cool sein oder das Klima retten will, die Grünen. Wem die böswillige Kritik der gleichgeschalteten Lügenpresse am russischen Friedensfürst sauer aufstößt, dem bietet die AfD oder, wenn er die Polizei noch weniger mag als die NATO, die Linke eine Heimat. Von libertär bis autoritär, von links bis rechts: Die politischen Trennlinien sind klar gezogen, alle Bases sind besetzt. Wo hier noch Platz für die SPD sein soll, weiß sie selbst nicht.

Wie lange aber kann eine Partei existieren, die weder überzeugendes Personal noch ein  nennenswertes eigenes Profil und kaum noch Anhänger hat? Die vornehmlich ältere Wählerschaft wird sich weiter ausdünnen, und es dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis der erste Landtag ohne SPD-Fraktion zusammentritt. Eine Umfrage aus Bayern vom Januar, die die Partei bei 6 Prozent taxierte, wies bereits in diese Richtung, und auch die 9 Prozent, die die letzte Erhebung für die Wahl in Sachsen prognostizierte, muss man angesichts dieses Trends als optimistisch betrachten.

Reiches Erbe an Erfolgen

Mit Blick auf den Klimawandel wird heute darüber gestritten, ob und inwieweit eine Verlangsamung der Erderwärmung noch erreicht werden kann oder ob das Geld in die Bekämpfung der Folgen nicht besser investiert wäre. Bei der SPD dagegen ist klar, dass die weitere Abkühlung nicht mehr aufzuhalten ist: Der Kipppunkt ist erreicht, und wir sollten uns alle mit den Folgen beschäftigen.

So dürfte ein Bundestag, in dem die linke Mitte in Form der Grünen weit nach links rückt, ab 2021 die neue Realität sein. Der Zwang, nach dem der Mensch sich laut Kristin Joachims schon berüchtigtem Tagesthemen-Kommentar angeblich sehnt, dürfte dann auch in Regierungshandeln gegossen werden. Alles in Abwesenheit der Sozialdemokratie, die ein reiches Erbe an Erfolgen hinterlassen wird: Arbeitnehmermitbestimmungsrechte, beherzte Kämpfe für mehr Lohn und eine breitere Bildungslandschaft, all das sind Errungenschaften, die auch in Zukunft niemand mehr schleifen kann. Dass die Mutter all dieser Erfolge sich in den Äther der Geschichte zurückzieht, mag wehmütig stimmen – Trauer wäre angesichts ihrer politischen Irrfahrt der letzten Jahre jedoch deplatziert. Die Welt wird sich weiterdrehen.

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