Berlin ist eine Hochburg für islamische Fundamentalisten und Demokratiegegner. Das könnte auch daran liegen, dass sie oft in Schutz genommen werden, wie man gerade wieder erleben kann.

In letzter Zeit ist es recht unerquicklich geworden, bei Verwandten und Freunden außerhalb Berlins anzurufen. Wenn es um private Dinge geht, dann sind sie interessiert oder mitfühlend wie eh und je. Aber am Ende des Gesprächs richten sie immer häufiger eine Frage an mich, in der sich Besorgnis, Spott und Anflüge von Entsetzen mischen, ohne dass ich genau identifizieren kann, welches Gefühl nun die Oberhand gewinnt. Nun, ich befürchte, es ist der Spott. Wenn auch die Frage in Varianten gestellt wird, so läuft sie doch insgesamt auf folgenden Wortlaut hinaus: „Was ist da eigentlich los bei Euch?“ Diese distanzierte Ihr-Wir-Frontstellung passt mir schon mal gar nicht. Als würde in der Republik alles rosig laufen und nur in Berlin, dieser Insel der Unseligen, liefe alles schief. Als Berliner, der nichts dagegen hätte, wenn diese Stadt tatsächlich mal eine Metropole würde, habe ich mich daran gewöhnt, jede Frotzelei wegen der immensen Erfolge des „Hauptstadtvereins“ Hertha BSC und der großen Qualitäten des „Hauptstadtflughafens“ BER – den richtigen Namen werde ich zum Schutz des Namensgebers verschweigen – leichthin wegzuschmunzeln und um Nachsicht und Geduld zu bitten. Das ging auch bis zu den letzten Bundestagswahlen gut, bei denen sich dann herausstellte, dass die Stadt nicht in der Lage war, eine geordnete und korrekte Wahl abzuhalten. Ich habe früher öfter in Wahllokalen ausgeholfen und weiß nicht, worin das Problem liegen kann. Der Rest der Republik weiß es wohl auch nicht. 

Und doch sind das alles Petitessen im Vergleich zu den unerhörten Dingen, die mir nun wieder die altbekannte Frage bescherten: Was ist da eigentlich los bei Euch?

Ja, was ist da eigentlich los? Es ist etwas, was in Berlin in etlichen Schulen leider Alltag ist, vor allem in Schulen des Stadtteils Neukölln, der nicht nur ethnisch und religiös vielfältig, sondern auch vielfältig in der Art seiner Probleme ist. Zugleich ist Neukölln ein Kampfplatz für die Entwicklung, also die Zukunft der deutschen Migrationsgesellschaft. Die SPD hat es hier fertig gebracht, schon seit zwanzig Jahren die Bezirksbürgermeister zu stellen: Heinz Buschkowsky, Franziska Giffey und jetzt Martin Hikel. Was die drei eint: Sie waren sich angesichts einer großen Zahl notorischer Schulschwänzer und von Fällen der Gewalt an Neuköllner Schulen einig, dass Integration nicht nur durch Förderung, sondern gegebenenfalls auch mit Forderungen, sprich: repressiven Mitteln vorangebracht werden muss. Die Widerstände waren ob dieser Positionen immens – aus der eigenen Partei wie auch aus dem Milieu der Multikulti-Apologeten. Über die Jahre zeigte sich dann aber, dass die drei Sozialdemokraten richtig lagen. Die Realität und der Erfolg der Maßnahmen ließen sich nicht länger leugnen. Aber diese Einsicht scheint nicht auf Dauer zu sein, und die Erfolge sind nicht gesichert. 

RELIGIÖSES MOBBING

Der Verein Devi (Demokratie und Vielfalt) hat, alarmiert durch Berichte über sogenanntes „religiöses Mobbing“, mit Unterstützung des Neuköllner Bezirksbürgermeisters, des Sozialstadtrats und des Bundesfamilienministeriums eine Umfrage bei den Lehrkörpern von zehn Neuköllner Schulen zu „konfrontativer Religionsbekundungen“ gemacht, die die Meldungen bestätigten: Es gibt – und das schon länger – an den Schulen Probleme mit Religionsbezug. Muslimische Schülerinnen und Schüler, die am Ramadan nicht fasten oder sich nicht an islamische Kleidervorschriften halten, werden von muslimischen Mitschülern drangsaliert und zurechtgewiesen. Es gibt darüber hinaus Eltern, die ihren Töchtern verbieten, an Sportunterricht und Sexualaufklärung teilzunehmen oder Radfahren zu lernen. Antisemitismus artikuliert sich auch immer wieder. Deswegen möchte der Verein Devi eine Beratungsstelle ins Leben rufen, die solche Konflikte dokumentiert und Hilfe anbietet. Doch was erst einmal vernünftig klingt, kann in Berlin, wenn es um den Islam geht, ganze Bataillone gegen vermeintliche Diskriminierung oder Stigmatisierung in Bewegung setzen. Es ist zum Beispiel gar nicht so lange her, da wurde die Berliner Polizei mit diesem Vorwurf bedacht, als sie Maßnahmen gegen die kriminellen Machenschaften arabischer Clans in die Wege leitete. Diesmal waren es gleich 120 Personen aus Wissenschaft, Politik, Bürgerinitiativen, die forderten, das Projekt nicht weiterhin zu fördern. Denn dieses untergrabe den Schulfrieden, weil es Konflikte verschärfe. Man müsse mit Fehleinschätzungen der Lehrkräfte rechnen. Außerdem konzentriere sich das Projekt auf muslimische Schülerinnen und Schüler, was „Stigmatisierungseffekte“ auslösen könne. 

SCHUTZSCHIRM FÜR FUNDAMENTALISTEN UND DEMOKRATIEGEGNER

In einem Satz zusammenzugefasst, heißt das: Wenn strenggläubige muslimische Schüler eher säkulare muslimische Schüler wegen deren religiöser Nachlässigkeit drangsalieren und mobben, dann bestehe, wenn man auf dieses Problem aufmerksam macht, die Gefahr, dass der Schulfrieden gestört und die Mobber stigmatisiert werden. 

Nun, dieses Argumentationsmuster ist – wie gesagt – nicht neu für Berlin. Es ist ein Auswuchs jenes Multikulturalismus, der um die Kultur und Religion migrantischer Minderheiten gerade dann einen Schutzschirm entfaltet, wenn sie der westlichen bzw. deutschen Kultur besonders fern, ja, sogar ablehnend gegenüber stehen. Die religiösen Fundamentalisten und Demokratiegegner können, egal wie sie sich verhalten, immer auf mehr Verständnis hoffen als die Integrationswilligen, die ja ein lebendiger Beleg für das Gelingen von Integration sind, was aus ideologischen Gründen abzulehnen sei. In Konsequenz schützt dann die Warnung vor Diskriminierung und Stigmatisierung die Täter religiösen Mobbings und lässt die Opfer mit ihrer Angst und Verunsicherung allein. Und doch verwundert diese Haltung sehr angesichts der plausiblen Befürchtung, das hinter den Vorfällen in den Neuköllner Schulen islamistisch geprägte Moscheegemeinden im Wohnumfeld stecken könnten. Dass der Islamismus ein Unterdrückungsmittel ist, das gerade Frauen und Mädchen ins Visier nimmt und schikaniert, scheint die Kritiker der Umfrage nicht zu interessieren. Wieder einmal versucht man einen Diskurs zu unterbinden, der Täter mit ihrem Handeln konfrontieren und ihre Intoleranz nicht länger tolerieren will. So schafft man mit Tabus eine Wohlfühlzone für Feinde einer freien und offenen Gesellschaft.

„Und demnächst, am 1. Februar“, sage ich meinem Gesprächspartner am Telephon, „ist auch wieder eine Demonstration zum World Hijab Day vor dem Neuköllner Rathaus. Der 1. Februar ist der Tag, an dem der Ayatollah Khomeini 1979 aus seinem Exil in den Iran zurückgekehrt ist. Zufall? Nein. Das hindert den Jugendfunk der Öffentlich-Rechtlichen Sendeanstalten nicht, unter dem Deckmantel der individuellen ‚Selbstermächtigung‘ Propaganda für das Tragen des Hijab zu machen. Und das betrifft dann wieder die gesamte Republik direkt.“ Wir werden uns mithin alle Gedanken machen müssen, wie es mit dem Land weitergeht. „Mach es gut“, sage ich und beende das Gespräch. Unglücklich über meinen kleinen Punktsieg.