Universitäten, die nicht wissen, was Antisemitismus ist
Neues aus Niedersachsen: Die Universität Göttingen wird die „Nakba“-Ausstellung zumindest vorläufig nicht präsentieren.
Neues aus Niedersachsen: Die Universität Göttingen wird die „Nakba“-Ausstellung zumindest vorläufig nicht präsentieren, und die Hochschule in Hildesheim hat wissenschaftlich bestätigt bekommen, jahrelang ein judenfeindliches Seminar angeboten zu haben. In beiden Fällen hat man sich schwer damit getan, offenkundigen Antisemitismus zu erkennen, und erst spät Konsequenzen gezogen.
Die „Nakba“-Ausstellung des Vereins „Flüchtlingskinder im Libanon“ (mehr dazu hier) wird vorerst nicht an der Universität Göttingen gezeigt werden. Nach Protesten – vor allem von der Studentenvertretung AStA und dem Fachschaftsrat Sozialwissenschaften sowie von mehreren jüdischen Gemeinden – und Gesprächen der Universitätspräsidentin Ulrike Beisiegel mit den studentischen Kritikern war sie zunächst zweimal um jeweils eine Woche verschoben worden. Dadurch sollte dem AStA und dem Fachschaftsrat Zeit gegeben werden, um Gegenveranstaltungen zu organisieren. Jetzt hat Beisiegel eine weitere Verschiebung angeordnet, und zwar auf das Sommersemester 2017. Zur Begründung hieß es, es liege keine neutrale wissenschaftliche Expertise zur Ausstellung vor. Deshalb sei nun eine „externe wissenschaftliche Analyse in Auftrag zu geben und erst dann die Ausstellung unter Einbeziehung der Ergebnisse und mit einem adäquaten Raum für Gegenpositionen in der Universität zu zeigen“.
Ob die „Nakba“-Schautafeln überhaupt noch in der Göttinger Uni zu sehen sein werden, ist fraglich. Kurzfristig werden sie nun in der Göttinger Galerie „Alte Feuerwache“ aufgestellt. Es ist denkbar, dass Ulrike Beisiegel durch die Verlegung um ein halbes Jahr und die Forderung nach einem Gutachten Hürden schaffen will, um die Ausstellung ganz von ihrer Hochschule fernzuhalten. Sollte dem so sein, wird der weitere Gang der Dinge nicht zuletzt von Irene Schneider und Kai Ambos abhängen. Denn die Professorin am Seminar für Arabistik und Islamwissenschaft sowie der Professor am Institut für Kriminalwissenschaften der Universität Göttingen sind es, die die Ausstellung an die Hochschule holen wollten und jetzt mit ihr in die „Alte Feuerwache“ umziehen. Sie fühlen sich von ihrer Präsidentin brüskiert und sehen ihre wissenschaftliche Integrität infrage gestellt. Beisiegel kontert: Die Wissenschaftsfreiheit von Schneider und Ambos werde nicht eingeschränkt, zudem basiere die Ausstellung weder auf Arbeiten der beiden noch sei sie von ihnen kuratiert worden.
Wissenschaft versus Propaganda
Dass die „Nakba“-Schau zumindest vorläufig keinen Platz an der Uni Göttingen findet, ist eine gute Nachricht. Denn die Ausstellung ist nichts anderes als Propaganda, die historische Tatsachen mal verdreht oder verfälscht und mal auslässt, wenn sie nicht ins Konzept passen. In ihr wird dem jüdischen Staat wird das Existenzrecht abgesprochen, schon dadurch, dass der UN-Teilungsbeschluss von 1947 – der bekanntlich die Grundlage für die Proklamation des Staates Israels und deren Legitimation schuf – wahrheitswidrig als Verstoß gegen „elementare Grundsätze der UN-Charta“ bezeichnet wird. Israelis werden zudem durchweg als Aggressoren dargestellt, als Landräuber und Okkupanten – also als Täter –, während die Araber respektive Palästinenser nur als arg- und wehrlose Opfer vorkommen. Die Ausstellung vermittelt das Bild, dass die Gründung des Staates Israel nicht nur eine „Nakba“, also eine Katastrophe war, sondern schlicht illegitim. Und das wird auch nicht nur als palästinensisches „Narrativ“ verkauft, sondern als historische Wahrheit.
Dass ein solches, nicht „nur“ antiisraelisches, sondern auch antisemitisches Machwerk kein Beitrag zu einer Diskussion sein kann – schon gar nicht zu einer wissenschaftlichen –, sollte sich eigentlich von selbst verstehen. Es gibt auch nicht bloß eine „Sichtweise“ wieder, sondern verbiegt und negiert unumstößliche geschichtliche Fakten. Um festzustellen, dass die „Nakba“-Ausstellung Israel dämonisiert und delegitimiert, bedarf es eigentlich keiner wissenschaftlichen Expertise, sondern lediglich einiger Grundkenntnisse in Geschichte und eines Grundverständnisses davon, wie der moderne Antisemitismus sich darzustellen pflegt. Wenn die Göttinger Universitätspräsidentin aber schon glaubt, eine solche Expertise zu benötigen, um Wissenschaft von Propaganda zu unterscheiden, müsste sie nicht einmal in die Ferne schweifen – schließlich sitzt mit Samuel Salzborn ein ausgesprochen renommierter Antisemitismusforscher gewissermaßen vor ihrer Haustür. Den jedoch will Ulrike Beisiegel bekanntlich unbedingt loswerden. Ob sie auch und nicht zuletzt deshalb ein externes Gutachten zur Ausstellung einfordert?
Klassiker des Antisemitismus
Neuigkeiten gibt es auch an einer anderen niedersächsischen Hochschule, nämlich jener für angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK) in Hildesheim. Dort hat der Senat unlängst beschlossen, die Präsidentin Christiane Dienel nicht für eine weitere Amtszeit vorzuschlagen, nachdem sie jahrelang ein antisemitisches Seminar geduldet hatte und erst aktiv wurde, als das Problem in die Öffentlichkeit drang und die aufgekommene Kritik ihr selbst zu schaden drohte (mehr dazu hier). Das Gutachten des Zentrums für Antisemitismusforschung (ZfA) an der Technischen Universität Berlin zu diesem Seminar wollte der Senat gar nicht mehr abwarten. Eingetroffen ist es nun dennoch (die Kurzfassung liegt MENA-Watch vor), und es bestätigt, was bereits die Analyse der Amadeu Antonio Stiftung ergeben hatte: Das Seminar „Soziale Lage der Jugendlichen in Palästina“ an der HAWK war „einseitig, unwissenschaftlich und in dieser Form an einer deutschen Hochschule nicht tragbar“.
Es sei „kaum verwunderlich“, dass sich in den Seminarmaterialien der Dozentin Ibtissam Köhler „auch Texte finden, die mit antisemitischen Klischees und Unterstellungen arbeiten“, schreibt das ZfA. Juden würden in den Unterlagen „als internationale und überzeitlich homogene Gruppe imaginiert“. Während man früher geglaubt habe, die angebliche Hinterlist der jüdischen Religion oder vermeintliche jüdische Weltverschwörungspläne nicht zuletzt mit dem Verweis auf Äußerungen „berühmter jüdischer Persönlichkeiten“ belegen zu können, glaube man heute, damit Beweise für die angebliche Illegitimität des Zionismus und des Staates Israel zu haben. Auch und besonders die in einem Seminartext zu findende Unterstellung, israelische Soldaten betrieben einen schwunghaften Handel mit den Organen getöteter Palästinenser, schließe eindeutig an alte antijüdische Fantasien von Kindermord und Kindesmissbrauch an. Die Leitung der Hochschule, so das ZfA, hätte viel früher gegen Köhler vorgehen müssen, zumal Studenten immer wieder auf die antisemitischen Seminarinhalte hingewiesen hätten.
Damit hat die HAWK nun Schwarz auf Weiß, was Kritiker teilweise schon vor Jahren festgestellt hatten. Und auch in dieser Causa stellt sich die Frage, warum man eigentlich zwei Gutachten brauchte, um beispielsweise zu erkennen, dass die Lüge vom Organraub und -handel und das Märchen von den ethnischen Säuberungen an den Palästinensern echte Klassiker des Antisemitismus sind. Doch vermutlich besteht darin der Fortschritt in Deutschland: Während man solche Erzählungen früher sofort geglaubt hätte, will man sich heute nicht festlegen – und fragt erst einmal die Wissenschaft, ob sie noch als „legitime Israelkritik“ durchgehen oder womöglich doch ein bisschen zu anrüchig sind.
(Zuerst veröffentlicht auf MENA-Watch.)