Der Mietendeckel ist weg, die Wohnungsmisere aber bleibt. Berlin wird mehr, höher und auf dem Tempelhofer Feld bauen müssen, erläutert der Ökonom Jan Schnellenbach.

Nein, nur weil der Mietendeckel weg ist, wird auf dem Berliner Wohnungsmarkt nun nicht ganz schnell alles gut. Das Kernproblem bleibt: ein zu langsamer Neubau. Aber schauen wir uns das einmal Schritt für Schritt an.

Der Mietendeckel hat das Angebot an Mietwohnungen drastisch reduziert, um bis zu 50 Prozent, wie eine Studie des ifo Instituts im Februar diagnostizierte. Gleichzeitig führte er im regulierten Segment zu einem ebenso drastischen Rückgang der Mieten. An diesen beiden Indikatoren zeigt sich bereits das ganze Problem. Der Mietendeckel teilte die Gesamtheit der Mieter in zwei Teile. Eine Gruppe von Insidern, die in ihren aktuellen Wohnungen bleiben wollen und von ihren nun vergünstigten Mieten profitierten. Und eine Gruppe von Outsidern, die eine neue Wohnung suchten und dabei so große Probleme hatte wie nie zuvor.

Diese Zweiteilung zeigte sich in den vergangenen Tagen auch in den sozialen Medien, als dort über den Entscheid des Bundesverfassungsgerichts diskutiert wurde. Besonders empört äußerten sich die stark profitierenden Privilegierten in den sehr stark nachgefragten Bezirken, in denen die Mieten besonders deutlich gestiegen waren – und die folglich durch den Mietendeckel auch besonders weit abgesenkt wurden.

Aber ist nun eine schnelle Ausweitung des Angebots von Mietwohnungen im bisher gedeckelten Segment zu erwarten? Teils ja, soweit es Wohnungen sind, die von Vermietern in Erwartung des Gerichtsurteils zurückgehalten wurden. Diese sollten nun relativ schnell wieder auf den Markt kommen. Ein Teil der Wohnungen, die vor dem Mietendeckel Mietwohnungen waren, werden inzwischen aber auch in Eigentumswohnungen umgewandelt worden sein und so schnell nicht mehr auf dem Mietwohnungsmarkt auftauchen. Insofern hinterlässt das Experiment mit dem Mietendeckel wohl auch einen längerfristig negativen Effekt.

Außerdem ist der Mietendeckel nur eines von vielen Problemen auf dem Berliner Wohnungsmarkt. Im Jahr 2019 wurden rund 19.000 Wohnungen in Berlin neu gebaut. Gleichzeitig gab es einen positiven Wanderungssaldo von gut 23.000 Personen. Zwar suchen diese natürlich nicht 23.000 Wohnungen. Manche kommen als Familien, manche als Paare, manche ziehen in Wohngemeinschaften. Aber gleichzeitig gibt es auch noch langfristige Nachfrageverschiebungen unter schon in Berlin Wohnenden, etwa einen Trend zu mehr Single-Haushalten.

Hamburg baut mehr

Und vor allem: die Verhältnisse zwischen Wanderungssaldo und Neubau waren in den Vorjahren deutlich ungünstiger. Die Stadt schiebt also noch eine aufgestaute Überschussnachfrage vor sich her. Diese äußert sich beispielsweise in Form von Zugezogenen der letzten Jahre, die erst einmal in Wohngemeinschaften oder Randbezirken untergekommen sind, aber eigentlich Wohnungen in den beliebteren Bezirken suchen. 

Will man die Mieten nicht weiterhin ansteigen lassen, hilft gegen diese hartnäckige Überschussnachfrage auch weiterhin nichts als noch schnellerer, noch offensiverer Neubau von Wohnraum. Technisch ausgedrückt: Die Politik sollte Regulierungen lockern, die aktuell dafür sorgen, dass das Wohnungsangebot nur ziemlich preisunelastisch auf ansteigende Mieten reagieren kann. Die Angebotskurve sollte flacher werden.

Abstrakt klingt das schön, aber es erfordert die politische Bereitschaft zu einer Veränderung des Stadtbildes. Es erfordet, dass der eine oder andere liebgewonnene Schrebergarten verschwindet, dass Baulücken systematisch geschlossen werden, dass heilige Kühe wie das Tempelhofer Feld geschlachtet werden. Und auch über die Möglichkeit, aus gegebener, tatsächlich sehr knapper Fläche durch hohes Bauen viel mehr Wohnraum herauszuholen, sollte man vielleicht verstärkt nachdenken.

Erstaunlich ist außerdem, dass Berlin trotz einer linken Regierung im sozialen Wohnungsbau nicht besonders aktiv ist. Im Jahr 2019 förderte Berlin 49 neue Sozialwohnungen mit niedrigen Anfangsmieten pro 100.000 Einwohner, Hamburg dagegen 192. Berlin steckt stattdessen gerne Geld in die Verstaatlichung von Bestandswohnungen etwa durch Ausübung von Vorkaufsrechten. Das aber ändert nur den Eigentümer, neuen Wohnraum schafft man so nicht.

Berlin gefällt sich also immer noch zu sehr im Bewahren des Status quo und im Abwehren des Wandels. Das ist ein Problem für den Wohnungsmarkt, und es passt eigentlich auch nicht zum Selbstbild einer dynamischen, offenen Weltstadt. Erst wenn sich hier etwas verändert und wenn der Fokus klar auf den Neubau gerichtet ist, wird sich an der Berliner Wohnungsmisere wirklich grundsätzlich etwas ändern können.

Jan Schnellenbach ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Brandenburgischen Technischen Universität in Cottbus (BTU). Er lebt nicht in Berlin.