Dorothea Gädeke kritisiert in ihrem Buch „Politik der Beherrschung“ die Theorie westlicher „externer Demokratieförderung“ – und endet in einer Apologie bestehender Machtverhältnisse.

Das waren noch Zeiten: „Ein angemessenes politisches Verständnis der Menschenrechte muss akzeptieren, dass es sich um ein kämpferisches Bekenntnis handelt und dass sein universaler Charakter Widerstand hervorrufen wird“, schrieb Michael Ignatieff vor nunmehr anderthalb Jahrzehnten. Kurz zuvor hatte der Politikwissenschaftler Gene Sharp, Gründer der Albert Einstein Institution, seinen Leitfaden „Von der Diktatur zur Demokratie“ veröffentlicht, Resultat von Sharps Engagement für die damalige burmesische Demokratiebewegung; später diente das Buch als Inspiration der osteuropäischen Farbenrevolutionäre. Auch hier findet sich eine präzise Zurückweisung jener Defensiv-Rhetorik, die schon immer in den Diensten der Potentaten stand. „Nicht jeder, der von ‚Frieden’ spricht, will Frieden mitsamt Freiheit und Grechtigkeit.“

Zugespitzt gesagt: Sowohl Sharp wie auch der Krisenreporter und Akademiker Michael Ignatieff kannten nicht nur ihre diskursiven „Themenfelder“, sondern auch die killing fields dieser Welt. Die Frankfurter Universitätsangestellte Dorothea Gädeke, die jetzt beim renommierten Verlagslabel suhrkamp wissenschaft „Eine kritische Theorie externer Demokratieförderung“ veröffentlich hat, kennt dagegen immerhin „die Pizzeria nach dem Kolloquium“ – in der Danksagung zu Beginn ihres 500-Seiten-Wälzers der einzige außeruniversitäre Ort, der Erwähnung findet. Es mag unfair erscheinen, auf ein Buch, das sich per se als Diskurs über Diskurse versteht, mit Einwänden aus der Politikwissenschaft zu reagieren oder – Theorie behüte – gar aus dem Lebensweltlichen. Es ist indessen das ebenso verquer gedachte wie formulierte Demokratie-Verständnis der Autorin, das bereits zu Beginn den Unterschied zwischen freien und despotischen Gesellschaften vernebelt. „Demokratie geht es, richtig verstanden, um den Kampf gegen Beherrschung. Er muss ansetzen bei der Problematisierung von bestehenden Machtverhältnissen, unabhängig davon, wo diese sich zeigen, sei es in der Verteidigung und Förderung von Demokratie oder in ihrer Kritik.“ Nach solcher Irrsinns-Logik hätten demnach beide recht: Die Staatsanwälte und Richter beim Nürnberger Prozess und den Mauerschützenprozessen nach 1990 – und die damaligen Nazis und (heute noch gesund und munteren) Stalinisten, die über die Jahrzehnte hinweg unisono „Siegerjustiz!“ geschrieen hatten.

Reaktionäre Schlagseite

Was also will die Autorin uns sagen, deren Elaborat einen so prominenten Veröffentlichungsplatz gefunden hat? „Die 1990er Jahre“, schreibt Dorothea Gädeke, „waren ein Jahrzehnt demokratischer Euphorie“. Doch bereits dieser Prämisse, aus der dann die nachfolgenden Thesen entwickelt werden, lässt sich schwerlich zustimmen: Die von den westlichen Staaten schmählich in Stich gelassenen Menschen in Bosnien und Ruanda hatten damals gewiss keinen Grund zu „demokratischer Euphorie“. Gerade aber die (ohnehin praxis-schwache) westliche Idee externer Demokratieförderung soll nun nach dem Willen der Autorin einer „kritischen Theorie“ unterzogen werden, sei sie doch eine „Politik der Beherrschung“, die dringend durch eine globale „Strukturpolitik der Nicht-Beherrschung“ ersetzt werden müsse.

Unabhängig davon, dass die Hölzernheit der Sprache zahlreiche Redundanzen gebiert: Es wäre für den Leser Erkenntnis fördernd gewesen, Konkretes präsentiert zu bekommen, denn wer ist gemeint, wenn von einer „Politik der Beherrschung“ die Rede ist – westliche Regierungen, die in der Tat oft unsinnig-destruktive „Entwicklungshilfeprogramme“ auf den Weg bringen? Oder nicht doch eher der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag oder NGOs, die mit Verweis auf die Universalität der Menschenrechte lokalen ethnischen, religiösen und sexuellen Minderheiten oder Umweltaktivisten beistehen (und in ihrer Arbeit ja häufig durchaus offiziell unterstützt werden, etwa von der norwegischen und kanadischen Regierung)?

Eher verklausiert findet sich dann eine Kritik an jenen NGOs, deren emanzipatorische Absichten zwar nicht in Frage gestellt werden, jedoch: „Solange Institutionen nicht-beherrschender Herrschaft selbst von Dritten abhängig sind, genießen die jeweiligen Bürger_innen keine normative Autorität über die Hintergrundbedingungen ihres sozialen Handelns.“ Dass dieses essentielle Politikverständnis – verkürzt gesagt: Legitim ist lediglich das, was „die eigenen Leute“ anstellen – eine reaktionäre Schlagseite hat, scheint der Autorin nicht aufzufallen. Denn von wem stammen eigentlich jene „strukturell angelegten Imperialismusvorwürfe“, die Dorothea Gädeke zu ihrer Kritik an der westlichen Demokratieförderung mit inspiriert haben? So weit zu sehen, sind es zur Zeit vor allem russische, chinesische oder venezuelanische Staatsmedien, die vor „westlichen Ideen“ warnen, um die autoritäre Herrschaft ihrer Auftragsgeber zu rechtfertigen. Was schließlich die westlichen Staaten und konkret Deutschland betrifft: Vom einflussreichen „Ostausschuss der deutschen Wirtschaft“ bis hin zu FDP und AfD gibt es Druck, nicht weiter die Menschenrechtsverletzungen in Russland zu thematisieren und dortige Aktivisten zu unterstützen, sondern im Interesse der Ökonomie auf „Dialog“ setzen. Ähnliches ist, auch aus der SPD heraus, in Sachen China und Iran zu hören.

Zynismus –  immerhin gegendert

Eine vermeintlich dominierende Idee „externer Demokratieförderung“ erweist sich damit als Schimäre; nachdem sie bereits „realpolitisch“ unter Dauerbeschuss steht, soll sie nun auch „diskurs-theoretisch“ zu Grabe getragen werden. Damit prägt jene „Politik der Beherrschung“, der eigentlich die Kritik gelten soll, auch den Charakter dieses Buches, wird hier doch von hoher theoretischer Warte aus den Ohnmächtigen dieser Welt auf unsäglich kaltschnäuzige Weise dekretiert, dass sie doch ganz gut aus eigener Kraft ihr Schicksal zum Besseren wenden könnten: „In autokratischen Staaten fungieren staatliche Institutionen eher als Handlungsstruktur der Regierung denn als Medium der Inkorporation des Volkes. Doch auch in diesem Falle bleibt den Bürger_innen gemeinsam die fundamentale Macht, sich die volle Kontrolle über diese Institutionen anzueignen und sich so als kollektiver Akteur im unverkürzten Sinne zu konstituieren.“

Zu deutsch: Wenn in Teheran und Darfur und Damaskus und Grosny und Havanna und Peking und Pjöngjang die Menschenrechte weiterhin aus Prinzip getreten werden, liegt’s ja womöglich auch an der Faulheit und dem Unwillen der dortigen „Bürger_innen“, ihre Peiniger davon zu jagen „und sich als kollektiver Akteur im unverkürzten Sinn zu kostitutieren“. Eine bemerkenswert zynische Opfer-Verhöhnung, die sich ironischerwise dabei auch noch korrekter Gender-Sprache bedient.

 

 


Dorothea Gädeke: Politik der Beherrschung. Eine kritische Theorie externer Demokratieförderung. Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, Berlin 2017, 491 S., brosch., 26,80 Euro