Wo bleibt die #MeJew-Debatte?
Die Reaktionen auf die Vorfälle der letzten Tage sind anders als bei #MeToo. Obwohl Juden die antisemitische Gewalt klar sehen, die hinter der Demonstration in Berlin steht, wird dieses Ereignis in den Medien eher akademisch-abstrakt behandelt.
Eine der wichtigsten Forderungen der #MeToo-Debatte besteht darin, dass die Opfer ernst genommen werden und ihnen nicht erklärt wird, warum diese zu innige Umarmung oder jener Griff ans Knie nun wirklich nicht so schlimm war. Und tatsächlich ist die mediale Auseinandersetzung mit den Themen Sexismus und sexuelle Gewalt geprägt von Verständnis für die weibliche Sicht auf die Situation, also für die Opferperspektive.
Ganz anders sieht es beim Thema Antisemitismus aus. Nachdem US-Präsident Donald Trump entschied, dass die amerikanische Botschaft nach Jerusalem verlegt wird, brach sich der antisemitische Hass auf Europas Straßen bahn.
Juden versteckten sich im Keller einer Synagoge, die in Göteborg attackiert wurde, in Amsterdam wurde ein koscheres Geschäft angegriffen, und auf Demonstrationen in Berlin brannte die Fahne Israels.
In den Medien eher abstrakt behandelt
Angriffe auf Juden in Europa als Reaktion auf eine Entscheidung der USA in Israel.
Wer in dieser Gewalt keinen Antisemitismus erkennt, will ihn nicht erkennen – selbst dann nicht, wenn wenige Meter vom Holocaustmahnmal entfernt der Davidstern brennt und dabei triumphierend an historische Massaker an Juden erinnert wird.
Die Reaktionen auf diese Vorfälle sind anders als bei #MeToo. Obwohl Juden (und alle, die sich nichts vormachen) die antisemitische Gewalt klar sehen, die hinter der Demonstration in Berlin steht, wird dieses Ereignis in den Medien eher akademisch-abstrakt behandelt.
So weist die „Tagesschau“ darauf hin, dass das Verbrennen von ausländischen Fahnen nicht automatisch eine Straftat ist, während Zeitungen die Polizei mit der Aussage zitieren, dass Parolen wie „Kindermörder Israel“ von der Meinungsfreiheit gedeckt sind.
Und überhaupt, werden die Juden belehrt, ist nicht jede Kritik an Israel gleich Antisemitismus.
Den Opfern wird in aller Öffentlichkeit abgesprochen, dass diese Vorfälle so schlimm sind, wie sie glauben. Schließlich sind sie ja nicht aus heiterem Himmel geschehen, sondern als Reaktion auf die Jerusalementscheidung der USA, die damit gegen internationale Abmachungen verstoßen habe.
Zwanghaft wird versucht, irrationalen Hass zu einer (Über-)Reaktion zu verklären, die damit nachvollziehbar wird.
Es gibt aber keine nachvollziehbare Begründung dafür, warum jüdische Gotteshäuser in Schweden angegriffen werden, wenn die USA ihre Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem verlegen. Was die Gewalt der vergangenen Tage zeigt, ist, dass die feinen Differenzierungen in antiisraelisch, antizionistisch und antisemitisch für Antisemiten nicht relevant sind.
Antisemiten hassen Juden, egal ob sie ihnen in Form eines Staates (Israel), eines Gebäudes (Synagoge) oder eines Menschen (Kippa) begegnen. Die Botschaftsverlegung war dabei ein Vorwand und nicht der Grund, um diesen Hass öffentlich auszuleben – als Grund ist sich der Judenhass selbst genug.
Juden haben in den letzten Tagen antisemitische Gewalt in Europa erlebt und dabei zwei Dinge feststellen müssen. Zum einen, dass in keinem dieser Fälle die Staatsmacht energisch einschritt. In Berlin blieb die Polizei untätig, und in Amsterdam standen die Sicherheitskräfte daneben, während vor ihren Augen ein koscheres Geschäft verwüstet wurde.
Zum anderen, dass sie als Opfer nicht mit dem Verständnis rechnen können, das Opfern für gewöhnlich entgegengebracht wird. Weder kam es in der sonst so manisch-empathischen Netzgemeinde zu einer Solidarisierung, noch zeigte sich in der Berichterstattung ein Verständnis für die Sorgen der Juden (wobei es hier natürlich auch die berühmten Ausnahmen von der Regel gibt).
Eisige Distanz
Im Gegenteil wurden die Ausschreitungen zumeist in eine Aktion-Reaktion-Erklärung eingereiht, laut der die Jerusalementscheidung diese Gewalt provozierte. In dieser Verknappung ist das nichts anderes als Victim blaming, deren Klassiker der „zu kurze Rock“ der Frau ist, die deswegen auch eine Mitschuld an ihrer Vergewaltigung trägt. Diese Art der Täter-Opfer-Umkehr ist heutzutage eigentlich geächtet.
Gegenüber Juden als Opfern herrscht eine eisige Distanz vor, die auf die Emotionen der Betroffenen wenig Rücksicht nimmt. Dass die antisemitischen Ausschreitungen verharmlost werden – wenn ihnen der antisemitische Kern nicht gänzlich abgesprochen wird – zeigt das deutlich.
In der #MeToo-Debatte ist der Respekt und die Solidarität auf der Seite der Opfer, das ist gut und wichtig und ein gesellschaftlicher Fortschritt in einem Land, das erst vor 20 Jahren die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe stellte.
Aber wenn es um Juden geht, versagt diese Gesellschaft sowohl intellektuell, weil sie sich keinen Begriff vom Antisemitismus machen will, als auch emotional, weil sie die Ängste und die Sorgen der Juden offenbar gleichgültig lassen.
„Dieser Text ist zuerst bei SPIEGEL DAILY erschienen, der smarten Abendzeitung – News, Meinung, Stories. Hier finden Sie die aktuelle Ausgabe.“