Zur Legitimation seines unlauteren kriegerischen Handelns bedient sich Putin gerne der Erzählung vom triumphalen Kampf und Sieg gegen den Faschismus. Doch er verschweigt dabei wesentliche Fakten, die seine Sätze in ein anderes Licht tauchen würden.

Die Wahrheit, so heißt es, hat sich noch nicht einmal die Schuhe angezogen, da ist die Lüge schon einmal um die Erde rum. Und hat sich breit gemacht, sollte man hinzufügen, fest eingegraben in den Geschichten und Büchern, den Nachrichten, Reden und Überzeugungen.

Der russische Präsident Putin ist ein Meister der Lüge, wie man gerade wieder sieht: Er erklärt die Eroberung und Zerstörung der Ukraine, die Folter an Gefangenen, die Verschleppung von ukrainischen Kindern als Kampf gegen den Faschismus, der Russland bedrohe. Diese Lüge ist schwer zu ertragen, wo doch die Wahrheit eine andere ist: Russland hat vor einem Jahr den Krieg gegen die Ukraine begonnen, weil Putins Diktatur eine demokratische, friedliche, dem Westen zugeneigte Ukraine mittelfristig als Bedrohung für sein Regime ansieht. Das ist nichts Neues. Man muss es aber immer wieder sagen, weil die Lüge wie eine Zecke an der Öffentlichkeit klebt und ihr nicht nur in Russland, sondern auch im Westen den Verstand aussaugt.

DIE VERHEIMLICHTE HILFE

Was man auch immer wieder hervorheben sollte: Russlands Selbstbewusstsein als Imperium, das auf dem Triumph über den Nationalsozialismus, dem Drachentöter-Nimbus gegen Hitler, dem Geschichtsbild der unbesiegbaren Nation gründet und gerade wieder bei den Stalingrad-Feierlichkeiten und auch jeden 9. Mai, dem „Tag des Sieges“, aufgerufen wird, ist eine Lebenslüge. Zwar hat die Sowjetunion unter immensen Opfern und Verlusten (rund 13 Mio. Soldatinnen und Soldaten) mit den anderen Alliierten tatsächlich das Dritte Reich niedergerungen. Aber der Roten Armee wäre das niemals gelungen ohne die Unterstützung der USA, dem erklärten Klassenfeind.

Diese Unterstützung war gewaltig. Im Februar 1941 hatte der US-Kongress das sogenannte „Leih- und Pachtgesetz“ (Lend-Lease Act) verabschiedet. Damit konnte die Roosevelt-Regierung kriegswichtiges Material wie Flugzeuge, Fahrzeuge, Schiffe, Waffen, Munition, Treibstoffe, Nahrungsmittel usw. an Alliierte wie Großbritannien und die Sowjetunion liefern. Zunächst galt das Gesetz für Großbritannien und die Commonwealth-Staaten. Doch nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 und wegen der dortigen höchst brisanten ökonomischen Lage wurde es auch auf dieses Land angewandt. Denn zur sowjetischen Misswirtschaft kam hinzu, dass die Getreidekammer Ukraine und das Donez-Becken als Herz der Schwerindustrie von der Wehrmacht besetzt waren. Wichtige Rohstoffe und Grundnahrungsmittel fehlten. Die Unterstützung durch die USA wurde deshalb überlebenswichtig. Das hieß in Zahlen: Die Sowjetunion erhielt bis zum Kriegsende aus den USA ca. 400.000 Jeeps und LKWs, 13.000 Lokomotiven und Güterwaggons, 90 Frachtschiffe, 4.000 Bomber, 14.795 Flugzeuge und über 7.000 Panzer. Und das war noch nicht alles. Hinzu kamen noch über 8.000 Flakgeschütze, 131.000 Maschinengewehre, 105 U-Boot-Jäger, 197 Torpedoboote, hunderttausende Feldtelefone und über 15 Mio. Paar Stiefel. Aber der größte Teil der Hilfslieferungen bestand nicht aus Waffen, sondern aus Rohstoffen, Stahl, Schienen, Lebensmitteln, Maschinen, Chemikalien und vor allem aus Treibstoffen. Ohne die Treibstoffe wären die meisten der sowjetischen Flugzeuge am Boden geblieben. Und auch das soll nicht unterschlagen werden: Aus Großbritannien und Kanada wurden zusätzlich noch weitere Zigtausend Panzer und Flugzeuge für die Rote Armee zur Verfügung gestellt. (Hier finden sich weitere Daten und Informationen.)

„JETZT GEWINNEN WIR DEN KRIEG!“

Die schiere Menge all dieser gelieferten Waffen und Ausrüstungsgegenstände sagt schon alles über den damaligen Mangel und Bedarf bei der Roten Armee. Sie entsprach in etwa auch der Anforderungsliste Stalins, die dieser 1941 nach Washington schickte. Vor allem sagt es aber alles über die unglaublichen logistischen und produktionstechnischen Fähigkeiten, Potentiale, Energien und der Opferbereitschaft der Vereinigten Staaten von Amerika, wenn sie sich erst einmal entschlossen hat, eine solche Herausforderung wie den Krieg in Europa anzunehmen. Schließlich unterstützte sie nicht nur maßgeblich den Aufbau einer Front gegen Deutschland im Osten, sondern führte auch die im Süden und im Westen an (vom ebenso verheerenden Krieg im Pazifik ganz zu schweigen).  

Als sowjetische und amerikanische Vertreter im September 1941 im Kreml die zugesagten amerikanischen Hilfslieferungen besprachen, soll der sowjetische Diplomat Litwinow von seinem Stuhl aufgesprungen sein und gerufen haben: „Jetzt gewinnen wir den Krieg!“ Schließlich steigerte die Sowjetunion ihre eigene Kriegsproduktion in den nächsten Jahren und übertraf damit noch die Masse der US-Lieferungen. Ihre Schuld beglich die Sowjetunion durch Rohstoffe, denn wie das Leih- und Pachtgesetzschon besagte, waren die US-Lieferungen nicht als mildtätige Gaben für den weltanschaulichen Kontrahenten vorgesehen. 

Das Programm endete im August 1945. Und wurde am 28. April 2022 durch den US-Kongress wieder reaktiviert und später als „Ukraine Democracy Defense Lend-Lease Act of 2022“ erneuert. Denn diesmal geht die US-Unterstützung an die Ukraine, damit sie sich gegen den russischen Aggressor wehren kann. Und doch ist es wieder ein Kampf gegen Faschismus – nun den des Putin-Regimes.