Der Klimaforscher Hans von Storch hat vor dem Deutschen Ethikrat über die Wissenschaft und ihre Rolle in der Gesellschaft gesprochen. Gerade in der Klimadebatte sieht er eine Entwissenschaftlichung von Wissenschaft und eine Entpolitisierung von Politik, wo doch eigentlich ein Aushandlungsprozess widerstreitender gesellschaftlicher Interessen sein sollte. Wir dokumentieren seinen Vortrag

Es geht im Folgenden um Wissenschaft in der gesellschaftlichen Umwelt. Da ich Klimaforscher bin, beziehe ich mich auf Beispiele aus diesem Bereich. Der Gegenstand meines Vortrages ist jedoch nicht das Klima, sondern die Klimawissenschaft. Ich bin Europäer, der zwar viele Tagungssäle und Hotels der Welt gesehen hat und dort auch Eindrücke vom „Rest der Welt“ bekam, aber ich bin doch Vertreter westlichen Denkens – soweit als Einengung und Vorbehalt.

In der medialen Realität wird Wissenschaft oft als „Wissenschaft präsentiert Wahrheit“ beschrieben. Dies gilt vor allem immer dann, wenn im öffentlichen Diskurs und der Entscheidungsfindung „die Wissenschaft“ als Argument eingesetzt wird. Das gilt heutzutage insbesondere in der Umweltpolitik. Zwei Begriffe sind hier interessant: „Wahrheit“ und „präsentieren“. Ersteres deutet an, dass die wissenschaftlichen Aussagen „wahr“ sind, also ohne weitere Widerworte als richtig zu akzeptieren sind. „Präsentieren“ blendet aus, dass es Menschen sind, die diese Aussagen erarbeiten und formulieren. Tatsächlich ist Wissenschaft ein sozialer Prozess, der „Wissen“ schafft – wieder zwei Begriffe, die zu diskutieren sind. „Sozialer Prozess“ deutet darauf hin, dass daran Menschen beteiligt sind, mit allgegenwärtiger kultureller Konditionierung und mit Interessen. Unter „Wissen“ verstehen einschlägige Theoretiker die Fähigkeit zum Deuten und Handeln, wobei nicht impliziert ist, dass dies „Wissen“ „richtig“ ist.

Was ist „Wissen“?

Auch Religion ist eine Form von Wissen. Es gibt einen Markt an Wissensansprüchen, zu dem Wissenschaft eine oder vielleicht mehrere Angebote beisteuert. Es ist aber nicht sicher, dass diese Angebote den Wissenswettstreit im öffentlichen Raum gewinnen, zumal die Konkurrenten auch in den sozialen Prozess „Wissenschaft“ eingespeist werden. Was macht also wissenschaftliches Wissen den anderen Wissensformen überlegen? Der Umstand, dass es wissenschaftlich konstruiert wurde. Es ist nicht die Aussage, die dies Wissen auszeichnet, es ist ihre Genese. Daneben gibt es zahlreiche kulturell und sozial konstruierte Formen des Wissens, wie etwa die schon erwähnten Religionen, aber auch Konzepte, nach denen höhere Kräfte die Natur, das Wetter und das Klima als Anzeiger für sündiges Leben nutzen. Heute heißt es gar gerne, die Natur selbst „schlägt zurück“.

Und dann gibt es Konzepte, denen früher wissenschaftliches Gewicht zugewiesen wurde. Hier ist insbesondere der Klimatische Determinismus zu nennen, nach dem das Klima gewisse Weltgegenden bevorzugt und andere benachteiligt. Diese Denkschule lässt sich bis in das griechische Altertum zurückverfolgen und war im 18. und 19. Jahrhundert in Europa – einem vorgeblich klimatisch bevorzugten Gebiet – ein anerkanntes Erklärungsmodell für die Ungleichheiten auf der Welt. Wenn heute über Zukunft geredet wird, dann geschieht das durchaus in dieser Tradition. Denn das einzige, was sich in den Schreckensausblicken ändert, ist das Klima. Obwohl die Geschichte uns klar demonstriert, dass sich über ein Jahrhundert sehr viele Faktoren ändern, darunter viele sehr signifikante.

Gewinnt das wissenschaftliche Wissen diese Konkurrenz? Ich hoffe: Oft. Aber ich fürchte: Nur manchmal.

Dass das Wort „Konstruktion“ nicht Beliebigkeit impliziert, muss ich nicht betonen. Es sollte auch klar sein, dass in einem strikten Sinne wissenschaftliche Konstrukte auch soziale Konstrukte sind. Man sollte sich vergegenwärtigen, dass soziale Konstrukte nicht nur bei Nicht-Wissenschaftlern zuhause sind, sondern auch in uns Wissenschaftlern, den angeblich objektiven Betrachtern und Analysten der Welt. Durch die Hintertür helfen sie uns, unsere Ergebnisse zu bewerten. Was uns im Lichte dieser kulturellen Konstruktionen nicht plausibel erscheint, wird besonders kritisch herangenommen, was uns als konsistent erscheint, einfach durchgewinkt.

Vereinnahmung der Wissenschaft

Wie kann Wissenschaft sich gegen diese Vereinnahmung, gegen das Wirken des kulturell konstruierten Guten und Richtigen verwahren? Robert Merton schlug 1942 CUDOS (communalism, universalism, disinterestedness, and organized skepticism) vor, einen Satz von Normen, wie er sie aus seinen Beobachtungen von Naturwissenschaft und den Erwartungen der Öffentlichkeit destillierte. CUDOS steht dafür, dass Ergebnisse Gemeineigentum sind, also die Nutzung und Interpretation nicht dem Erzeuger vorbehalten ist, sondern hingenommen werden muss, dass andere sie so nutzen, wie es einem selbst womöglich nicht passt. Die Validität von Ergebnissen soll nicht davon abhängen, wer sie herausgearbeitet hat – ob ein albanischer Doktorand oder ein kalifornischer Professor. Sie entstanden aus Neugier, aber nicht in der Absicht, politische Agenden zu befeuern. Und schließlich öffnet sich der Wissenschaftsbetrieb der permanenten kollegialen Kritik, dem Fegefeuer der Falsifikation. Wenn Erklärungen sich im Lichte neuer Daten als unzureichend und vielleicht sogar falsch erweisen, dann ist dies keine Disqualifikation des Forschenden, sondern eine Disqualifikation des Resultats. Denn ohne Falsifikation kein wissenschaftlicher Fortschritt.

Die CUDOS‐Normen werden, wie unsere Umfragen zeigen, von Klimawissenschaftlern grundsätzlich anerkannt, obwohl es natürlich Abweichungen im Detail gibt. So hat das geschliffene Englisch des kalifornischen Professors mehr Chancen, in Nature zu erscheinen als das umständlich geschriebene Papier des albanischen Neulings. In der industriell finanzierten Forschung sind Resultate nicht Gemeingut, sondern vor den neugierigen Augen der wissenschaftlichen Gemeinschaft geschützt. Wenn ein Klimaforscher andeutet, er stehe nicht hundertprozentig hinter der Erklärung des Klimawandels durch die Emission der Treibhausgase, wird er meist von den Gutachtern geschlachtet. Aber dennoch scheint mir das gesellschaftliche Kapital „der Wissenschaft“, also das Vertrauen in Objektivität und Unparteilichkeit der Wissenschaftler, auf der Annahme zu beruhen, dass diese Normen tatsächlich gelten. Daher muss der Glaube der Öffentlichkeit an die vorgebliche Objektivität der Ergebnisse und an die gedankliche Offenheit der Akteure – also das Kapital der Wissenschaft – bewahrt und neu geschaffen werden.

Ich stelle fest, dass Wissenschaft von Menschen in einem kulturellen Kontext betrieben wird. Wissenschaft ist ein sozialer Prozess, dessen Stärke aus der Praxis des Beobachtens, des Prüfens von Erklärungen anhand vielfältiger Daten und der Bereitschaft des Irrtums rührt. Gute Wissenschaftler machen Fehler, was vor allem ein Nachweis ist, dass sie neue Wege gehen und innovative Alternativen untersuchen. Natürlich gibt es Cargo‐Scientists, die alle Formalien der Wissenschaft einhalten, aber dennoch keine innovativen Beiträge leisten.

Eine Klassifikation verschiedener Rollen für das Auftreten von Wissenschaftlern in der Öffentlichkeit hat Roger Pielke in seinem Buch „The Honest Broker“ erstellt. Demnach gibt es jene, die, außer in wissenschaftlichen Veröffentlichungen, überhaupt nicht über ihre Arbeit sprechen. Dann jene, die auf Anfrage technisch antworten, aber ohne Bezug auf den Kontext der Nachfrage. Schließlich die „ehrbaren Makler“. Diese Rolle, die Pielke empfiehlt, erkennt die gesellschaftliche Relevanz des jeweiligen Themas an und diskutiert die Optionen des gesellschaftlichen Umgangs und die Folgen für das jeweils eigene, meist enge Fachgebiet. Sie beinhaltet aber nicht die Vorgabe von Entscheidungen. In der Tat ist dies ein Grundsatz in der Arbeit des IPCC, wonach die Zusammenstellung des Wissens nicht „policy prescriptive“ sein soll sondern „policy relevant“. Als vierte Gruppe gibt es noch die Advokaten, die offen bestimmte Interessen vertreten und auf die mit diesen Interessen konsistenten wissenschaftlichen Resultate verweisen.

In diesem Konzept gibt es aber auch die „stealth advocates“, die nicht offen für ihre Interessen werben, etwa für die individuelle Mobilität oder die Nutzung der Kohle, sondern vorgeben, die Sachlage mit rein wissenschaftlichen Motiven zu sehen, aber eben doch einen Interessenfilter zu bedienen suchen. In der Tat sehen wir, dass Wissenschaft bisweilen von politischen Agenden gekapert wird. Wenn Sie bei diesem Satz ein Unwohlsein empfinden, weil er im Zusammenhang mit Klimaforschung genannt wird, dann denken Sie an vergangene Begeisterungen, an Eugenik oder Kernenergie.

Postnormale Wissenschaft

Funtowicz und Ravetz haben in den 1980er Jahren das Konzept „postnormaler Wissenschaft“ eingeführt. Der Begriff unterliegt verschiedenen Deutungen. Postnormalität entsteht demnach, wenn vier Bedingungen erfüllt sind:

  1. Es gibt eine inhärente Unsicherheit, die auch durch beste Wissenschaft nicht kurzfristig beseitigt werden kann. Im Falle der Klimaforschung ist das etwa die sogenannte Klimasensitivität, also der Anstieg der Gleichgewichtstemperatur durch Verdoppelung der Kohlendioxidkonzentration. Seit den allerersten Simulationen um etwa 1970 herum gibt es Abschätzungen, die zwischen 2 und 4 Grad liegen. Das hat sich zwar in der Zwischenzeit etwas differenziert und vor allem die Spannbreite ist größer geworden, aber 2 Grad gelten weiterhin als ebenso plausibel wie 4 Grad. Dies wird in den kommenden Jahrzehnten gelöst werden, wenn man den weiteren Anstieg der Temperaturen kennt, aber bis dahin müssen wir mit dieser Unsicherheit leben.
  2. Die Lage könnte ernst sein, sodass Reaktionen dringend nötig sein könnten. In der Klimaforschung heißt das, dass in Erwartungen der schlimmsten Folgen die Minderung der Emissionen sehr schnell erfolgen muß, wenn sie denn wirksam sein soll.
  3. Die Risiken für unangemessene Reaktionen sind groß. Verpasst man die zur Begrenzung des menschengemachten Klimawandels erforderlichen Maßnahmen, treten unabsehbare Schäden ein. Andererseits gilt: Nutzt man das Potential im Jetzt vor allem für die Klimapolitik, so werden andere Problemfelder vernachlässig oder ineffektiv berücksichtigt.
  4. Antagonistische kulturelle Werte sind in die Entscheidungsprozesse involviert. Auf der einen Seite wird argumentiert, man müsse für die neue Generation vorsorgen, während andere sagen, diese sollten sich nach ihren eigenen Wünschen die Welt gestalten. Die „Fridays-for-Future“-Bewegung bringt hier neue Impulse in die Debatte, schafft aber auch Gegenbewegungen.

Wenn Wissenschaft ins Kreuzfeuer der Postnormalität gelangt, dann wird die methodische Sorgfalt und gedankliche Offenheit in den Hintergrund gedrängt. Dann ist politische Nützlichkeit der Wert, nach dem Wissenschaft beurteilt wird. Der Ansatz des IPCC hält dagegen, indem versucht wird, den belastbaren Kern des Wissens herauszuarbeiten und den verschiedenen Aussagen Plausibilität zuzuweisen. Man beansprucht – wie schon erwähnt –„policy relevant“ zu sein und nicht „policy prescriptive“. Diesem Anspruch wird der IPCC meines Erachtens einigermaßen gerecht.

Politische Wissenschaft…

Die Öffentlichkeit hingegen sieht sich einem Strom von katastrophalen Perspektiven gegenüber. Aus dem menschengemachten Klimawandel wird die Klimakatastrophe. Diese Aussagen sind oft nicht mehr unabhängig von Personen, die sich meist politischen Agenden verpflichtet fühlen. Dies ist in der Klimawisssenschaft derzeit der Fall. Wir haben junge Klimawissenschaftler bzw. Umweltforscher an zwei europäischen und einer chinesischen Einrichtung befragt, was sie für die Hauptaufgabe der Klimawissenschaft halten, und es stellte sich heraus, dass die Europäer dies mehrheitlich in „motivating people to act on climate change“, also der Mobilisierung der Öffentlichkeit sehen. An der chinesischen Universität wurde prioritär der Aspekt „defining the climate problems and attributing causes of climate change“ benannt.

Demnach sprechen sich junge Klimaforscher an den von uns untersuchten europäischen, speziell dem Klimathema gewidmeten Einrichtungen zu über 50 Prozent oder gar 60 Prozent für die Förderung der politischen Umsetzung als Hauptaufgabe aus, aber weniger als 20 Prozent bzw. 10 Prozent für die Untersuchung der wissenschaftlichen Fragestellungen. Ich empfinde das als Versagen der wissenschaftlichen Peers, die möglicherweise selbst nicht wissen, welche Rolle der soziale Akteur „Wissenschaft“ in der Gesellschaft spielen soll.

Die Haltung der jungen europäischen Klimaforscher mag man beklagen und als Verletzung von CUDOS geißeln, aber sie ist gesellschaftliche Realität. Die Frage ist, wie man in der Gesellschaft damit umgehen kann. Der Anthropologe Werner Krauss und ich haben die Problematik in unserem Buch „Die Klimafalle“ erörtert, und beschrieben, wie „der Wissenschaft“ im politischen Prozess quasi das letzte Wort aufgelastet wird, während die Politik immer wieder die Verantwortung von sich weist – mit dem Hinweis, man agiere ja nach den Vorgaben der Wissenschaft. So werden beide sozialen Prozesse beschädigt, die Wissenschaft und die Politik. Wissenschaft wird entwissenschaftlicht, und Politik entpolitisiert.

… oder wissenschaftliche Politik

Wir beobachten also eine Politisierung der Klimawissenschaft und gleichzeitig eine Verwissenschaftlichung der Politik, die vorgibt, auf von der Klimawissenschaft entdeckte gesellschaftliche Notwendigkeiten zu reagieren. Dies manifestiert sich vor allem am 2-Grad‐Ziel. Die Wissenschaft verweist darauf, dass der Anpassungsdruck umso größer wird, je mehr die Menschheit emittiert, und schätzt auch ab, welche Mengen emittiert werden dürfen, um das Ziel erreichbar zu machen. Die Wissenschaft (etwa in Form des IPCC) stellt das 2-Grad‐Ziel aber nicht als zwingend dar, selbst wenn prominente Individuen dies in der öffentlichen Kommunikation suggerieren. Die Politik zeichnet auf der anderen Seite eine alternativlose Situation, in der sie nur noch zu exekutieren habe, was die Wissenschaft ihr als zwingend vorgibt. Auf diese Weise wird die Klimawissenschaft unter einen Zweckvorbehalt gestellt, den Zweck, die „richtige“ Politik zu unterstützen. Und so verliert die politische Willensbildung ihren gesellschaftlichen Verhandlungscharakter, weil ja nur noch die Umsetzung unabweisbar notwendiger Maßnahmen zur Debatte steht.

Die beiden gesellschaftlichen Akteure Wissenschaft und Politik nähern sich also an und verlieren so ihre spezifischen Stärken ‐ nämlich Offenheit gegenüber anderen Erklärungen und die Fähigkeit zum Ausgleich gesellschaftlicher Gegensätze. Hier ist sicher mehr sozialwissenschaftliche Forschung nötig.

Was tun?

In den vergangenen Jahren gab es Autoren, die demokratische Verhältnisse als Ursache für das Scheitern einer radikalen Klimaschutzpolitik brandmarkten und für Einschränkungen der demokratischen Prinzipien plädierten. Solche Stimmen sind in den letzten Monaten wieder lauter geworden. Ich sehe durch die derzeitige Polarisierung und galoppierende Rechthaberei die Demokratie bedroht. Mein Ko-Autor Werner Krauss sprach von der „Destabilisierung der Demokratie durch expertengestützte Alternativlosigkeit“.

Als Bürger bin ich davon überzeugt, dass es im demokratischen Interesse sein sollte, die Politik zu repolitisieren, anzuerkennen, dass es um Interessenausgleiche und nicht um wahrheitsgeleitete Positionen geht, dass es immer „Alternativen“ gibt, aus denen gesellschaftlich akzeptable Lösungen zu wählen sind. Wissenschaftliches Interesse dagegen sollte es sein, Wissenschaft wieder zu verwissenschaftlichen – ergebnisoffen, falsifikationsbereit – und dabei zu dienen, Entscheidungsoptionen im Hinblick auf spezifische Fragen zu bewerten. Es sollte dabei aber klar sein, dass die Alternative zur „Alternativlosigkeit“ nicht darin besteht, dass Wissenschaft sich verweigert, sich zu gesellschaftlichen Fragen und Problemen zu äußern. Um jedoch die Autorität der Wissenschaft als Deuter komplexer Vorgänge zu wahren, ist es erforderlich, dass Wissenschaft und Wissenschaftler sich auf ihre Fachperspektive beschränken, mit anderen Worten, dass sie die Rolle des ehrlichen Maklers annehmen.

In noch anderen Worten ausgedrückt: Wissenschaftler sollten in ihre Labore zurückkehren und dort Wissen mehren. Als Experten sollen sie den politischen Prozess beraten, wenn es darum geht, welche Entscheidungen mit welchen Folgen verbunden wären. Wenn sie an der politischen Willensbildung teilnehmen wollen, sollen sie ihre weißen Kittel ausziehen, das Labor verlassen und sich auf den demokratischen Marktplatz der politischen Auseinandersetzung begeben wie jeder andere auch.

Was wollen wir?

Aber vielleicht will die Gesellschaft so eine politisch beschränkte Wissenschaft gar nicht. Daher bitte ich als Wissenschaftler um eine gesellschaftliche Willensbildung. Ich frage: Welche Rolle soll Wissenschaft in der Gesellschaft einnehmen? Sollen wir eine Kulturleistung erbringen, die nachprüfbare Erklärungen generiert, also robustes Wissen, das erlaubt, die Entwicklungen um uns herum besser zu verstehen und darauf zu reagieren? Sollen wir im möglichen Umfang unparteiisch und nicht weltanschaulich konditioniert sein, oder werden wir von der Gesellschaft gehalten, um – wie es unsere jungen Klimaforscher suggerieren – den gesellschaftlichen Mainstream dabei zu unterstützen, die erforderliche Durchsetzungskraft zu erlangen?

Wissenschaft im Allgemeinen und Klimawissenschaft im Besonderen braucht eine Reflektion über ihre Bedingungen, ihre Normen und ihre Rolle in der Gesellschaft. Dies kann sie aus sich heraus nicht leisten. Sie braucht daher Vorgaben aus der Gesellschaft, was diese von ihr, der Wissenschaft, erwartet. Da bieten sich mindestens zwei Optionen an: zum einen die einer politischen Maschine, die den gesellschaftlichen Mainstream unterstützt, zum anderen die eines Potenzials, das die Welt besser verständlich macht – unabhängig von gesellschaftlichen Präferenzen.

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Über Hans on Storch: Das wissenschaftliche Interesse von Prof Dr. Dr. h.c. Hans von Storch gilt dem menschgemachten Klimawandel, seiner Feststellung und regionalen Manifestation, sowie der Kommunikation mit der Öffentlichkeit. Sein fachlicher Hintergrund – statistische Methoden, Küstenklima, Klimamodellierung und Konstruktion von Wissen – hat er in seine Funktionen als Direktor des Instituts für Küstenforschung am Helmholtz Zentrum Geesthacht, als Professor am Meteorologischen Institut und als Zweitmitglied an der sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Hamburg eingebracht. Seit seiner Pensionierung in 2015 beschäftigt er sich mit Restaufgaben am Institut für Küstenforschung, und arbeitet als Editor-in-Chief der Oxford University Press Research Encyclopedia Climate Science, und als Gastprofessor an der Ocean University of China (Qingdao). Er ist ein gern gesehener Gesprächspartner für Medien und die interessierte Öffentlichkeit. Seine Publikationsliste umfasst zahlreiche Bücher und über 200 „weiße“ Publikationen, die mit einem h-index von 52 einhergehen.