Der Philosoph Robert Pfaller spürt in seinem neuen Buch dem viele Jahrhunderte alten Konflikt zwischen Form und Inhalt nach. »Die blitzenden Waffen« gerät dabei zu einem scharfsinnigen Plädoyer gegen die Missachtung der Form in Kultur und Gesellschaft.

Ein Thema für den philosophischen Elfenbeinturm? So mutet die Frage nach dem Verhältnis von Form und Inhalt zumindest an: abstrakt und trocken. Von allgemeinem Interesse scheint sie deswegen nicht zu sein. Zu groß ist der lästige Schatz an jedes Denken erstickenden Lebensweisheiten, die genau zu wissen meinen, dass dem Inhalt der Vorrang zu geben ist: Politische Reden sollen inhaltlich überzeugen und ihre Rhetorik, also ihren mal rein schmückenden, mal manipulativen Formaspekt, zurückstellen. Ein fremder Mensch soll mit inneren Werten überzeugen und nichts vorspielen, wenn er nicht als oberflächlicher Gockel hingestellt werden will. Generell scheint alles, was im Verdacht steht, schnöde Zierde oder schlicht nicht »echt« zu sein, als überflüssig zu gelten. Das überrascht wenig bei einem Zeitgeist, der auf beständiger Suche nach tiefschürfender Authentizität die Ranküne gegen das Oberflächliche und Künstliche zum guten Ton erhoben hat. Die Absurdität, die jedem Widerspruch gegen diesen gesellschaftlichen Konsens angedichtet wird, zeigt die Notwendigkeit auf, die Problematik erneut zu hinterfragen. Das neue Buch des österreichischen Philosophen Robert Pfaller nimmt sich dieser Aufgabe an.

Die Gestalt als Inhalt 

In sieben essayistisch gehaltenen Kapiteln wird in »Die blitzenden Waffen« die dialektische These entfaltet, dass jedweder Inhalt ohne eine bestimmte Formgebung an Stärke und Ausdruckskraft einbüßt. Inhalt und Form seien also vermittelt. Erst ihr Zusammenspiel sorge für das titelgebende Blitzen der Waffen. Besonders deutlich zeige sich das im Falle der Rhetorik: Inhaltlich überzeugende Argumente seien zwangsläufig schwächer, wenn sie nicht durch eine gewisse Form gestützt würden. Diese Form kann ein Scherz, eine Polemik, ein lebhafter Vergleich oder eine einleuchtende Metapher sein. Sie soll den Inhalt ausstaffieren und ihm jene Macht verleihen, die schlecht geschriebenen Texten und laschen Reden aufgrund des Mangels an Form fehlt. Klarheit im Sinne von demonstrativer Allgemeinverständlichkeit und einfacher Sprache stellt demnach kein per se erstrebenswertes Attribut eines Textes dar. Komplexe Gedanken brauchen eine ihnen entsprechende, elegante Form, wenn sie überzeugend, anregend und mitreißend sein wollen. 

Pfaller durchforstet jedoch nicht nur das Feld der Rhetorik sondern alle möglichen Lebensbereiche von gewöhnlichen Alltagspraktiken, zwischenmenschlicher Kommunikation und der Mode bis hin zur Kunst und Wissenschaft, um zu untermauern, wie erst die Form dafür sorgt, dass der Inhalt Bedeutsamkeit und Plausibilität erlangt.

Er bezieht sich dabei auf einen umfangreichen Fundus an Theorie, der sich vom neuzeitlichen Materialismus über die an Freud und Lacan geschulte Psychoanalyse bis zum Strukturalismus des 21. Jahrhunderts erstreckt. Im zusätzlichen Rückgriff auf Phänomene der Pop- und Populärkultur, sowie Witze und Anekdoten expliziert Pfaller seine Thesen, ohne erstere zum beliebigen Anschauungsmaterial zu erniedrigen. Auf ähnlicher Grundlage kritisierte er unter anderem bereits den zeitgenössischen Hang zur Askese und Selbstkasteiung (»Wofür es sich zu leben lohnt«), sowie die zunehmenden politisch korrekten Sprachregelungen (»Erwachsenensprache«).

Kunst ohne Kontur

Eine der wenigen Konstanten in »Die blitzenden Waffen« ist der Bezug zur Kunst, die sich nach Pfaller fatalerweise bewusst immer weiter von dem ihr inhärenten Formaspekt entferne: Sei sie einst »zweckfreie, müßige Lustbeschäftigung« gewesen, so verderbe sie nunmehr zu einer »inhaltsschweren Fleißaufgabe«, bestimmt durch einen »drückenden Konsensmoralismus; eine […] Vorherrschaft des Gutgemeinten über das gut Gemachte.« Gerade die absichtliche Aufladung der Kunst mit Politik und Theorie habe ihre Entpolitisierung zur Folge. Pfallers Befund ist leicht zu bestätigen: So leitet die heute überaus beliebte Konzeptkunst den Betrachter meist stur entlang ihrer intendierten Botschaft – immer mit dem Ziel vor Augen, sich am Ende gegenseitig zu beglückwünschen, dass man auf der richtigen Seite gegen »gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit«, Globalisierung oder das Patriarchat steht. Platz für Feinheiten und Schattierungen bleibt in der betont engagierten Kunst keiner.

Pfaller besteht entgegen dieser postmodernen Kunst-Auffassung auf dem Anspruch der Kunst, mehr zu sein als die Verbildlichung eines Katalogtextes. Dazu müsse sie allerdings die Fähigkeit zurückgewinnen, Fragen ernsthaft zu stellen und nicht mittels »künstlicherischer Forschung« abschließend zu beantworten; mithin den Schein und die Täuschung als Voraussetzungen für die Wahrheit stärker zu adeln als deren Gegenstück – kleinkarierte Haltungsbesessenheit. Ansonsten verflüchtigen sich die Unterschiede zwischen Kunst und Kampagne, Wahrheit und Überzeugung, Ästhetik und Schicklichkeit weiter.

Postmoderne Formmüdigkeit

Pfaller warnt nicht aus sicherer Warte vor dem Desinteresse am Formaspekt in der Gesellschaft, weil er deren Folgen schon längst akut am Werke sieht. Wenn auf die Form überhaupt noch Wert gelegt werde, dann so, dass sich diese nicht aus der Sache selbst ergäbe sondern als nachträgliche Anpassung, wie zum Beispiel im Fall sogenannter »Spindoktoren«, die von Parteien oder Politikern (mit offenkundig mäßigem Erfolg) engagiert werden, um ihr Image oder ihre Wahlwerbung aufzuhübschen. 

Viel öfter wird die Form jedoch schlicht als unnützes Beiwerk verworfen. Insbesondere in der Öffentlichkeit macht Pfaller eine Tendenz aus, die jede Ambivalenz, jede gesellige Regung und jede Art von mondäner Ausgelassenheit verbannen möchte. Irgendjemand lässt sich schließlich immer finden, der sich belästigt, diskriminiert oder benachteiligt fühlt, wenn gescherzt, geraucht, getrunken oder geflirtet wird. Aufgrund der Politik der totalen Rücksichtnahme auf jede mögliche Befindlichkeit wird der öffentliche Raum um seine besten Eigenschaften gebracht: »Was der zeitgenössischen Kultur schmerzlich fehlt, sind nicht noch mehr Verbote, Regeln und Vorschriften zur Vermeidung von körperlichen oder psychischen Kontakten, sondern im Gegenteil, die Kunst, das profane Leben vorübergehend feierlich zu unterbrechen, so dass die Menschen wieder wissen, wann sie einander berühren sollen und wie ihre Kontakte als sublim erlebt werden können.«

Pfaller gibt zu bedenken, dass diese postmoderne Gesellschafts-Transformation mit einem Konzept der protestantischen Innerlichkeit arbeitet, welches selbst höfliche Umgangsformen oder ein charmantes Kompliment unter den Generalverdacht der ungefragten Behelligung und verletzenden Grenzüberschreitung stellt und so dezidiert formfeindlich ist. Der Autor fasst zusammen, dass die Verwandlung potentiell mündiger Bürger in verkindlichte Sensibelchen diese »weder rücksichtsvoller noch freier oder klüger« mache: »Sie sind nur isolierter – und weniger in der Lage, das Glück des Anderen als etwas solidarisch Teilbares zu begreifen.« 

Wieder Gefallen an der Form im gesellschaftlichen Umgang zu finden, hieße deshalb, diese einsiedlerische Selbstfokussierung zu verwerfen und sich auf das aparte, unpersönliche Spiel der Urbanität einzulassen; sei es auch nur aufgrund des kurzen, verheißungsvollen Aufblitzens des Ideals einer zivilisierten Öffentlichkeit, die kein Brutkasten der Affekte sein will. Nico Hoppe 

Robert Pfaller
Die blitzenden Waffen – Über die Macht der Form
S. Fischer, Frankfurt am Main 2020
288 Seiten, 22 Euro

Unser Gastautor Nico Hoppe arbeitet als freier Journalist in Leipzig und beschäftigt sich insbesondere mit Ideologiekritik, postmodernem Irrsinn und popkulturellen Phänomenen. Auf Twitter ist er unter @nihops zu finden.