John McCain ist tot: Was die Welt an ihm verliert, ist gerade in diesen schwierigen Zeiten kaum zu ermessen. Ein Nachruf.

Die ganze Tragik unserer Zeit bemisst sich an der Tatsache, dass der Satz „Make America Great Again“ seit nunmehr drei Jahren fester Programmteil der internationalen Nachrichten ist. Der Slogan, mit dem Donald Trump seine Präsidentschaftskampagne bestritten hatte, ist wohl das Unrichtigste, das je in Wahlkämpfen verkündet wurde: Amerika mag seine Probleme haben, aber im Kern ist das Land ein so herausragender Leuchtturm der Freiheit wie eh und je.

Heute jedoch hat Amerika trotzdem einen Teil seiner Großartigkeit eingebüßt. Mit John McCain hat das Land einen Politiker, einen Menschen verloren, der wie kaum ein anderer seine Tugenden und seinen Reichtum verkörperte. McCain lebte für, mit und durch Freiheit, Beharrlichkeit und Tapferkeit, und die Welt, die er hinterlässt, wird sein Fehlen schmerzlich spüren.

In seinen letzten Jahren war McCain insbesondere als Kritiker des Präsidenten aufgefallen, doch es wäre gänzlich verfehlt, ihn auf diese Rolle zu reduzieren. Als Sohn und Enkel von Admirälen 1936 in der Panamakanalzone geboren, hatte McCain zunächst als Pilot in der Armee gedient. Im Jahr 1967 überlebte er erst das verheerende Feuer auf der USS Forrestal und wurde Monate später über Nordvietnam abgeschossen. Seine schweren Verletzungen wurden erst mit Verzögerung behandelt, er verbrachte Jahre in Einzelhaft, wurde gefoltert. Bleibende körperliche Schäden waren die Folge. Nach seiner Freilassung 1973 ließ McCain sich schließlich in Arizona nieder und wurde 1982 ins Repräsentantenhaus gewählt, vier Jahre später in den Senat.

Haltung

Im neuen Jahrtausend folgten dann die Höhepunkte seiner politischen Karriere: Nach einem gescheiterten Anlauf 2000 gewann McCain 2008 die republikanische Präsidentschaftskandidatur und wurde damit auch hierzulande erstmals einer größeren Öffentlichkeit bekannt. In diesem Wahlkampf war ihm seitens der Deutschen jedoch nur die Rolle des retardierenden Momentes zugedacht, denn sein fortgeschrittenes Alter von 72 Jahren, seine massive Kritik am iranischen Atomprogramm, die Forderung nach einer Reform der UN und seine Unterstützung der Truppenaufstockung im Irak disqualifizierten ihn aus hiesiger Sicht als amerikanischen Präsidenten, umso mehr, nachdem mit Barack Obama messianisch begeisternde Konkurrenz bereitstand.

Die Wahl ging für McCain deutlich verloren; anschließend konzentrierte er sich voll auf seine Arbeit im Senat. Hier machte er vor allem in außen- und verteidigungspolitischen Fragen auf sich aufmerksam und trat als Gegenspieler von Präsident Trump, der ihn im Wahlkampf wegen seiner Gefangennahme verhöhnt hatte, in Erscheinung. Ein erstes pflichtschuldiges Endorsement Trumps zog McCain nach Bekanntwerden der Planet-Hollywood-Aufnahme im Oktober 2016 wieder zurück. Auch nach der Wahl blieb er in einer zunehmend isolationistisch und trumpistisch durchsetzten Republikanischen Partei der wichtigste Fürsprecher einer wertegebundenen, universalistischen Außenpolitik, bis ihn im Sommer 2017 die Diagnose eines Gehirntumors zum politischen Kürzertreten zwang. Eine Rede hielt er noch im Senat, mit kaum verheilter Operationsnarbe im Gesicht. Erst vor wenigen Tagen gab er den Kampf gegen den Krebs verloren; am Samstagabend starb er.

Tragik

John McCains Leben war eine Geschichte von Möglichkeiten, die tragisch ungenutzt bleiben mussten. Was, wenn das Kriegsgefangenenlager ihm nicht seine Jugend geraubt hätte? Was, wenn er die Wahl 2008 gewonnen hätte? Was mithin, wenn Obamas „Reset“ mit Russland, der löchrige Irandeal, die außenpolitischen Stolpereien und mutmaßlich auch ein Phänomen wie das alles zerfressende Gift des Trumpismus einfach ausgefallen wären?

In Europa hatten 2008 nur wenige McCains Niederlage bedauert. Was die Welt an ihm hatte – und als Präsident hätte haben können – wurde vielen erst nach der amerikanischen Urkatastrophe von 2016 wirklich klar. Jetzt, da er mit seinen Positionen weitgehend isoliert war und er zugleich seine Partei ihre Integrität für ein Linsengericht verscherbeln sah, war McCain plötzlich auch in Europa wohlgelitten. Unter großem Zuspruch trat er noch 2017 auf der Münchner Sicherheitskonferenz auf und durfte ohne großen Tadel selbst der deutschen Presse erklären, er bleibe ein „proud and unapologetic believer in the West.“ Erst jetzt, da der Karren unrettbar im Dreck steckte, wurde er everybody’s darling.

John McCain war keine Lichtgestalt. Wie jeder andere machte er Fehler, traf fragwürdige Entscheidungen und wurde mitunter auch Opfer seiner eigenen kolossalen Fehleinschätzungen – Sarah Palin, seine Vize-Kandidatin von 2008, lässt grüßen. Und doch verlieren Amerika und die Welt in ihm eine besondere Persönlichkeit. Wir verlieren einen Mann, der nicht nur ungezählte politische Errungenschaften hinterlässt, sondern vor allem das Gute, das Überhistorische und das Einzigartige an Amerika repräsentierte wie kaum ein anderer. Der seine politische Arbeit und seine zahlreichen Wahlsiege nicht in erster Linie als persönliche Bestätigung verstand, sondern als das historische Privileg, seinen Beitrag zum Erhalt und zur Verwirklichung des amerikanischen Versprechens leisten zu dürfen, als die Gnade und Chance, Teil von etwas Wichtigerem und Größerem sein zu können. In einer Zeit der zunehmenden Selbstverzwergung der USA stand er für die Großartigkeit seines Landes und die unsterbliche Hoffnung auf ihre Wiederkehr.

Größe

Man muss McCain nicht verklären. Wer aber mit ihm noch einmal in das Amerika eintauchen möchte, das es einmal gab, von dem wir heute träumen und das wir eines Tages wieder erleben werden, dem sei zur Lektüre seine Concession Speech vom 4. November 2008 empfohlen. Der Mut und das Vertrauen, die diese Rede atmet, ebenso wie McCains Fähigkeit, noch im Moment der schwersten Niederlage den Blick zu heben und freudig auf das Gute zu blicken, das da kommen mag, können uns Trost spenden in einer Welt, die anhin ohne John McCain auskommen muss. Möge er recht behalten, dass es eine bessere wird.