Eine Kultur der Hoffnungslosigkeit macht sich breit. Genährt wird sie durch Klimaangst. Nun hat sich eine Bewegung formiert, die wegen der Krise keine Kinder mehr in die Welt setzen will. Was das bedeutet, und wohin das führen kann, erklärt dieser Beitrag.

Kosten und Wert eines Menschenlebens zu berechnen – das hat etwas Anrüchiges, ja, geradezu Skandalöses. Als ein deutscher Ökonom vor einigen Jahren trotzdem uns allen aus wissenschaftlichen Gründen ein Preisschild mit der Zahl 1,65 Millionen Euro pro Lebensfrist anheftete, da bekam er dafür nicht nur anerkennendes Nicken. Wenn unsere Leben auch nicht in jeder Hinsicht gleich sein können, so sollte doch jeder Mensch zumindest einen undefinierten, gleichen ideellen Wert haben: die Menschenwürde. Und die verträgt sich nicht mit einer schnöden Taxierung in Euro und Cent.

Doch nun gibt es eine neue Währung, und mit ihr und der Krise fallen die Hemmungen, den Wert eines Menschen zu berechnen. Diese Währung nennt sich Kohlendioxid (CO2). Rund 58 Tonnen CO2 pro Jahr könne man im Kampf gegen den Klimawandel einsparen, wenn man auf ein Kind verzichte, dass man sich vielleicht wünsche – heißt es aus aktivistischem Munde. Sollte man trotzdem zweifeln, ob das sinnvoll ist, dann geht das Klimagewissen mit dem – Pardon! – Totschlagsargument dazwischen, man verhindere mit dem Menschenverzicht ja sogar ein exponentielles Menschenwachstum, denn es könnte sein, dass dieses potentielle Kind im Erwachsenenalter zwei, drei oder sogar noch mehr Kinder hervorbringe, die dann wiederum… Welch’ furchtbare Gedanken! Sie quälen seit einiger Zeit die Birth-Strike-Bewegung (siehe beispielsweise hier oder hier oder hier) sowie andere Klimaaktivisten. Und einige Medien lassen es uns fortgesetzt mit Artikeln, Podcasts, Posts und vielen instagramkonformen Sharepics wissen.

Im Prinzip ist das Kinderkriegen eine sehr private Angelegenheit. Die einen wollen Kinder kriegen, die anderen zum Beispiel aus Gründen der Selbstbestimmung nicht, und viele, die es unbedingt wollen, können nicht und sind schier verzweifelt. Aber das wird meist nicht an die große Glocke gehangen und mit missionarischem Eifer durch alle Kanäle gejagt. Durch die allerorten annoncierte „Klimaangst“ und die Appelle zum Verzicht auf dies und das ist nun der Mensch selbst auf die Liste der zu entbehrenden Dinge geraten und die Ablehnung von Nachwuchs in den Rang einer progressiven politischen Aktion aufgestiegen, die Aufmerksamkeit verdiene. 

TRICKS UND IRRTÜMER

Wie kann das sein? Das gelingt tatsächlich mit dem einfachen Trick, den Wert bzw. Unwert eines Menschen an seinem CO2-Ausstoß festzumachen. Wir dürfen annehmen, dass die 58 Jahrestonnen der aktuelle Durchschnittswert des Menschen in einem Industriestaat der nördlichen Hemisphäre sein sollen. Da stellen sich aber einige Fragen, die beantwortet werden wollen: Ab welcher Menge CO2 ist der Mensch es denn wert, dass er geboren werden darf? Bei 32 Tonnen oder nur bei elf? Und verdient er nicht doch ein (Da-)Sein, da die Menge CO2 in den kommenden Jahrzehnten durch politische Maßnahmen ohnehin sinken wird? Ich fürchte, die Fragen werden unbeantwortet bleiben. Denn die ganze missionarische Macht der Bewegung gründet – Trick 1 – darauf, den Menschen zum ewigen CO2-Erbsünder zu deklarieren. So wird schon das Ungeborene zur Umweltsau. Kein Wunder, wenn über den Krippen die Schatten dunkler und länger werden. Das alles gilt natürlich, wie gesagt, nur für die Menschen im industrialisierten Norden. Der Kinderverzicht obliegt nicht den Menschen weit im Süden, denn sie bleiben ja bislang größtenteils unter dem imaginären CO2-Grenzwert. Dass ihre Zahl aber zunimmt, sie solche Verzichtsgedanken nicht quälen und sie verständlicherweise auch unseren Lebensstil leben möchten und ihm nacheifern – das blenden wir in der Bewegung einfach mal elegant aus.

Trick 2: Neben der Erbsünde nutzt man noch ein weiteres Instrument aus dem Arsenal religiösen Glaubens: das schlechte Gewissen als unbarmherziger Gott. Dabei ist die christliche Religion schon viel aufgeklärter als die Aktivisten mit ihrem medienwirksamen schlechten Klimagewissen. Aus dem Alten Testament zumindest wissen wir, wie der grausame zum barmherzigen Gott wurde. So möchte ich gerne in leichter Abänderung der Sätze aus dem Alten Testament dem potentiellen „Birth Striker“ zurufen: „Halte ein! Strecke nicht Deine Hand nach dem Kind, und tu ihm nichts! Denn nun weiß ich, dass Du klimafürchtig bist, weil Du Dein Kind mir nicht verweigern wolltest.“ Der Wandel vom Menschenopfer zum Tieropfer ist hier (Genesis 22, 12-13) vollzogen, und so muss im Alten Testament statt Isaak nur ein Widder dran glauben. Aber wir gehen anscheinend in einer Art Kulturumkehr vom symbolischen und tierischen Opfer wieder zurück in eine neue archaische Zeit: Der Mensch soll nicht mehr leben, aber das Vieh.

Trick 3: Man muss für den Erfolg als „Birth Striker“ verhindern, dass das Ganze den unangenehmen Geruch von realitätsfernem Sektendenken bekommt. Typisch für Sekten ist ja, dass man glaubt, den alleinigen Weg zum Menschenheil und zur Weltenrettung gefunden zu haben. Da hilft es, wenn man sein geschlossenes Weltbild noch mit anschlussfähigen Versatzstücken aus anderen Weltanschauungen erweitert. Deshalb holt man sich auch philosophischen Rat bei den Antinatalisten und behauptet, man würde schließlich, weil das Leben Leid bedeute, mit dem Verzicht auf das Menschenkind Leid verhindern. Aber das hilft nichts. Der Gestank ist nicht zu vertreiben. Der philosophische Rat der Antinatalisten zur Leidverhinderung verhindert nicht den Weg in die suizidale Sackgasse. Eigentlich geht die Geschichte nämlich so: Der weise Silen, ein trinkfreudiger Lehrer des Dionysos, gab auf die Frage des legendären Midas, was für den Menschen das Allerbeste sei, zur Antwort, es sei für ihn gänzlich unerreichbar: nämlich nicht geboren zu sein, nicht zu sein. Immerhin das Zweitbeste aber für ihn sei – bald zu sterben. Genau daraus könnte ein gefährlicher Gedanke entstehen, wenn der antinatalistische „Birth Striker“ den übelsten CO2-Sünder plötzlich im Toilettenspiegel erkennt und zum Beispiel beschließt, bei Krankheit fortan auf medizinische Behandlung zu verzichten. Aber ich habe das Gefühl und die Hoffnung, dass die Konsequenz der Weltenrettung dann doch nicht so weit geht. Man könnte zum Beispiel die ganze schöne Aufmerksamkeit nicht mehr genießen, die einem Medien und Follower schenken.  

DER SANFTE KOLLEKTIVE SELBSTMORD

Die „Birth Striker“ reden gerne von ihrer Angst und wie schrecklich alles ist oder wird, aber sie vermeiden es, vom Tod zu reden. Dabei reden sie indirekt von nichts Anderem. Ihre extreme Form des Verzichts als Mittel gegen den Klimawandel und für die Weltenrettung ist ein Appell für den Selbstmord aus Angst vor dem Tod, die Selbstauflösung der Menschheit, zumindest der in den Industriestaaten. Die aktuelle Hoffnungslosigkeit, die Europa teilweise ergriffen hat, tragen sie irrtümlicherweise vor sich her wie eine progressive Weltanschauung. Im Vergleich dazu ist der Pessimismus eine Frohbotschaft. 

Natürlich kann man sich berechtigte Sorgen machen wegen des Klimawandels, von Traurigkeit erfasst werden wegen des Artensterbens, sich vor Krisen aller Art fürchten, vor politischen Großgefahren. Das Leben birgt allerdings immer Gefahren. Angst kann der Sensor sein, diese Gefahren zu erkennen. Die Aufgabe muss aber sein, sich bei seinem Denken und Handeln nicht von der Angst beherrschen zu lassen. Ohne diese Kulturleistung gäbe es keine menschliche Entwicklung. Angesichts von Krisen als Konsequenz den kollektiven Selbstmord predigen, die eigene seelische Krise zum Vorbild machen, den Untergang als Lebensrettung propagieren – das alles ist frivol, dumm und eitel.

In dem dystopischen Spielfilm „Children of Men“, nach dem gleichnamigen Roman der britischen Autorin P.D. James, fällt ein Satz, der sehr gut die möglichen Folgen beschreibt, die die nonchalante Darstellung der Birth-Strike-Bewegung in unserer Öffentlichkeit hat. Er lautet: „Als das Geräusch der Spielplätze verschwand, setzte die Verzweiflung ein.“ Das ist, was wir zu erwarten haben, wenn wir der sich ausbreitenden Kultur der Hoffnungslosigkeit nicht eine Kultur des Zukunftsoptimismus entgegenstellen.