Innerhalb weniger Tage haben zwei Kommissionen deutlich gemacht, was wir in Zukunft vor allem nicht mehr tun sollen. Was aber wollen, ja, müssen wir tun? Und wofür noch mal? Der Versuch einer Antwort.

Wir sind Ausstieg. Innerhalb weniger Tage konnte die Republik davon Kunde vernehmen, wie unser Abschied vom alten Verkehrs- und Stromerzeugungswesen auszusehen hat. Wie zu erwarten, klopften die Vorschläge unsere Ruhekissen auf, und medialer Feinstaub machte sich breit und wird sich vorerst auch nicht setzen. Allein, es fehlt die Frage, wie es weitergeht nach den Ausstiegen aus fossilen Verbrennungsmotoren, aus Kohleverstromung und Atomkraft.

Selbstverständlich sind diese Ausstiege sinnvoll. Durch immer größere Kraftprotzer nehmen Verbrauch und Emissionen im Verkehr zu statt ab. Mehr Verbrauch kostet zudem auch mehr: an kostspieligen Kraftstoffen und durch schädliche Folgen für Mensch und Umwelt. Diese Tatsachen müssen schon irgendwie und irgendwohin verdrängt werden – meist in die Zukunft –, um noch als vernünftig durchzugehen.

Mit der Kohle, Ausstiegsprodukt Nr. 2, verbrauchen die entsprechenden Kraftwerke die am meisten CO2ausstoßenden Brennstoffe (nur Torf und Holz sind noch „schmutziger“), nämlich um die 0,35 kg CO2 je Kilowattstunde; beim Gas sind es rund ein Drittel weniger. Bemerkenswert ist, dass der CO2-Emissionsfaktor im deutschen Strommix trotzdem seit 1990 um rund ein Drittel geschrumpft ist. Der Grund ist einfach: Es liegt an den Erneuerbaren Energien. Doch das genügt nicht, soll ein reeller Beitrag zur Reduzierung des Treibhauseffekts geleistet werden. Deshalb raus aus der Kohle.

Ausstieg Nr. 3: Mit den Atomkraftwerken soll schon in drei Jahren in Deutschland Schluss sein. Und damit endet die – na, sagen wir mal: – interessante Idee, mit langlebigem hochradioaktivem Material Wasser zu erhitzen und mit dem Dampf Generatoren zu betreiben. Das ist in etwa so sinnvoll, wie Weihnachtskerzen mit Atomfeuerzeugen anzumachen. Darüber hinaus gibt es das nicht unerhebliche Risiko, dass bei einer Havarie ganze Landstriche unbewohnbar werden. Ist ja auch schon zweimal auf der Welt vorgekommen. Deshalb auch hier: Ausstieg.

DIE KRUX KOMMT FLUGS

Die Politik sollte nicht der Ort für Illusionen sein. Doch die Deutschen, wie sie nun mal sind, werden sich jetzt ob der zukunftsträchtigen Kompromisse, die sich da abzeichnen, gleich wieder auf die Schulter klopfen und das gute Gewissen auskosten, das sich nicht nur auf Ruhekissen reimt, sondern selbiges auch richtig schön aufplustert. Und dann werden die Ausstiegsweltmeister medial flugs zu Klimarettern etikettiert. Tatsächlich werden wir aber sehr wahrscheinlich die Lücken, die der Kohle- und Atomausstieg bei Dunkelflauten, also Windstille und Wolkenhimmel, in der Stromversorgung reißt, mit superschmutzigem Atom- und Kohlestrom aus den Nachbarländern füllen müssen. Das passiert heute schon. Und warum sollen solche Situationen in fünf bis zehn Jahren bei zu hohem Stilllegungstempo nicht noch öfter auftreten? Denn der Ausbau der Erneuerbaren Energien allein wird nicht reichen, um die Versorgungssicherheit während der und nach den Ausstiegen sicherzustellen. Die heute noch begeisterten Journalisten werden garantiert zu unsicheren Kantonisten, wenn der Strom im Schreibcomputer plötzlich wackelt. Dann verliert die Energiewende nicht nur diese wichtigen Unterstützer, sondern auch den Rückhalt in der Gesellschaft. Kostbare Zeit wäre vertan. Es fehlt also etwas.

EINSTIEG IN DEN UMSTIEG

Die sogenannte „Energiewende“, die mit dem hochbezahlten Ausbau der Erneuerbaren Energien begann, kommt in ihre entscheidende Phase. Die Technologien erinnern ein wenig an einen edlen Fuhrpark aus Limousinen, der eine schwierige Rallye durch eine Wüste mit hohen Dünen meistern muss. Allein sind die erneuerbaren Stromquellen in einem Industrieland wie Deutschland kaum in der Lange, die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Das ist ihre Schwäche, und das bedeutet: Um Versorgungslücken zu schließen, liefern wir uns entweder noch stärker Gaslieferanten wie Russland aus; oder wir legen endlich ein adäquates Programm auf, quasi ein „Apolloprogramm“, das nicht nur den Ausbau Erneuerbarer Energien vorantreibt, sondern auch den von Speichertechnik, weitreichender wie smarter Netze und die Förderung höherer Energieeffizienz. Für all das gibt es – neben beschlossenen Ausstiegen – weiterhin gute Gründe, die man sich ruhig immer wieder ins Gedächtnis rufen darf: einen Klimawandel mit bedrohlichen Folgen, eine zunehmende Ressourcenknappheit, den Vorteil von Versorgungsunabhängigkeit, einen Fortschrittsschub durch Innovationen (und nicht das Verharren in Technologien aus dem letzten Jahrhundert). Dazu braucht es im Detail: Zielvorgaben, Strukturentscheidungen und den unbedingten Willen, Innovationen im Wettbewerb voranzutreiben und nicht noch einmal so zu schlafen wie bei der Digitalisierung. Es ist die Aufgabe der Politik, Entscheidungen dieser Art zu treffen. Regierung und Parlament können das nicht an deliberative Kommissionen delegieren, in denen kaum jemand sitzt, der durch eine Wahl legitimiert wurde. Kommissionen können Anstöße geben und Kompromisse vorbereiten; aber selbst wenn Minister Kommissionsvorschläge in Bausch und Bogen verdammen oder sie als ohnehin vorhandene Regierungshaltung begrüßen, so können sich Regierung und Parlament doch nicht der Mühen und Pflichten entziehen, in der politischen Debatte klare Wege in die Zukunft zu skizzieren. Bloße Ausstiegsdiskurse und -entscheidungen genügen nicht. Die ökologische Transformation vieler Wirtschaftsbereiche hat längst begonnen. Die positiven Arbeitsplatz- und Wohlstands-Effekte können enorm sein, wenn die richtigen politischen Entscheidungen getroffen werden und die Investitionen stimmen. Und sie wären ein Vorbild für Nachahmer. Denn nichts ist so erfolgreich wie der Erfolg. Fangen wir damit an.