Eine Welt ohne Atomwaffen wäre natürlich schön. Nur der Weg dahin ist es eben nicht. Deshalb ist die diesjährige Vergabe des Friedensnobelpreises (mal wieder) ein Witz.

Britische Buchmacher sind auch nicht mehr, was sie mal waren: Wer sich auf ihre Empfehlungen und Wettquoten verlassen und eine größere Summe Geldes auf Angela Merkel als Gewinnerin des diesjährigen Friedensnobelpreises gesetzt hat, der guckt nun dumm aus der Wäsche. Für alle anderen ist gerade in Deutschland ein herzhaftes „Gott sei Dank“ die einzige angemessene Reaktion auf das Vorübergehen des Osloer Kelches, dessen Verleihung nach Deutschland eine ohnehin übermoralisierte Debatte an der dringend benötigten Abkühlung gehindert hätte, wie Robin Alexander gestern zutreffend schrieb.

Das sollte jedoch niemanden zu der irrigen Annahme verleiten, die Entscheidung des Nobelkomitees, den Preis 2017 an die International Campaign to Abolish Nuclear Weapons (ICAN) zu vergeben, sei in irgendeiner Form begrüßenswert. Da nützt es auch nichts, dass von Steffen Seibert bis zur Heinrich-Böll-Stiftung in Deutschland überall das große Glückwünschen losbrach, denn dass ein Verein, der Atomwaffen abschaffen will, sich hierzulande größter Beliebtheit erfreut, ist nun wirklich alles andere als überraschend. Nur Gene haben schließlich in Deutschland eine noch schlechtere Presse als Atome.

Doch auch wenn alle billig und gerecht Fühlenden die heutige Entscheidung als Triumph eines sinnvollen Anliegens feiern, muss man leider sagen, dass weder das Anliegen sinnvoll noch die Entscheidung eine hilfreiche ist.

Weder sinnvoll noch hilfreich

Denn die Abschaffung von Atomwaffen ist zwar populär, aber deswegen noch lange nicht empfehlenswert. Populär ist alles Mögliche, was im Praxistest keine Chance hätte: Das Bedingungslose Grundeinkommen, das Elektroauto und eben auch eine Welt ohne Atomwaffen. Zwar wünschen wir uns alle eine Welt ohne Krieg, Armut und Umweltverschmutzung, aber ein vom guten Willen vernebelter Blick allein ist noch kein Garant für eine kluge Politik. Entsprechend muss auch die Preisvergabe verstanden werden, die offensichtlich als Antwort auf die wachsenden Spannungen zwischen den USA und Nordkorea gedacht war. Populär ist das allemal, den Boden eines zielführenden Pragmatismus verlässt das Nobelkomitee jedoch mit seiner Aufforderung an die Atommächte dieser Welt, sie mögen zügig in „ernsthafte Gespräche“ zur nuklearen Abrüstung ein- und so bald wie möglich dem Atomwaffenverbotsvertrag der UNO beitreten, der unter völlig berechtigtem Desinteresse der Öffentlichkeit bei der jüngst zu Ende gegangenen Generalversammlung von seinen 53 Signaturstaaten unterzeichnet wurde. Darunter, kein Witz, der Iran.

Abschreckung ist nicht optional

Auch dieser Vertrag, den wie sauer Bier anzupreisen die heute gewürdigte ICAN zu ihrer Hauptaufgabe erkoren hat, ist ein wunderbares Beispiel für den mitunter gefährlichen Unterschied zwischen populären und zielführenden Maßnahmen: Populär ist es, einen Vertrag auszuarbeiten, der Atomwaffen generell verbietet – zumal in einem ganzen Schwung von Ländern wie Peru, Tansania oder Kambodscha, die Atomwaffen sowieso bestenfalls vom Hörensagen kennen. Dass Atomwaffen trotz der Verheerung, die sie gebracht haben und, ja, auch in Zukunft noch bringen könnten, zugleich ein wesentlicher Baustein in der Friedensarchitektur dieser unserer Welt sind, ist dagegen eine höchst unpopuläre, deswegen aber nicht weniger zutreffende Tatsache. Das Gleichgewicht des Schreckens bewahrte Europa im Kalten Krieg mit vor einem großen Konflikt, und auch heute ist die mutually assured destruction eine bewährte und effiziente Methode, um einerseits Atomwaffen zu rechtfertigen und andererseits ihren Einsatz wirksam zu verhindern.

Garantien aus New York sind wertlos

Natürlich bleibt dieses Abschreckungspotenzial, in dem die eigentliche militärische Stärke des nuklearen Arsenals liegt, aber nur bestehen, wenn der Einsatz der Waffen auch weiterhin glaubhaft angedroht werden kann. So ist es zu erklären, dass die fünf offiziellen Atommächte und auch die NATO – einschließlich Deutschland! – den Vertragsverhandlungen fernblieben und sich lieber weiter auf den (bereits ausreichend problematischen) Atomwaffensperrvertrag sowie das über Jahrzehnte bewährte nukleare Abschreckungspotenzial verließen als auf irgendwelche warmen Worte aus den Vereinten Nationen, die wirksame Sicherheitsgarantien noch nie zu geben in der Lage waren und dies auch in einer „Welt ohne Atomwaffen“ nicht wären.

Ist all das zynisch und unmenschlich? Natürlich. Wäre eine Welt ohne Atomwaffen also die bessere? Aber selbstverständlich! Nur kann niemand so naiv sein zu glauben, dass eine Technologie, die einmal in der Welt ist, einfach wieder wegerfunden und per Beschluss und im Verbund mit jenen, die ihr ihre Machstellung verdanken, abgeschafft werden kann. Atomsprengköpfe sind leider wie Herpes: Man bekommt sie einmal und behält sie ein Leben lang.

Nur der Super-Gau wurde vermieden

Neben diesen inhaltlichen Problemen ist der Nobelpreis für ICAN auch der Form und der Glaubhaftigkeit wegen nur noch bedingt eine hilfreiche Auszeichnung. Denn das Osloer Nobelkomitee setzt inzwischen schon seit geraumer Zeit auf den moralischen Rammbock bei der Vergabe seines Preises – Barack Obama (2009) kann hiervon ein Liedchen singen, und Ähnliches gilt für die EU (2012) und die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (2013). Schon damals zeigte sich, dass ein Nobelpreis in Verbindung mit dem Willen zu einer waffenfreien Welt nicht genügten, um eine solche auch herbeizuführen: Die unter Aufsicht der OPCW zerstörten syrischen Chemiewaffen etwa schlugen im Frühjahr 2017 voll funktionsfähig wieder auf syrischen Marktplätzen ein, ohne dass eine Intervention des Nobelkomitees bekannt geworden wäre. Hoffnungen, Oslo könnte mit den Preisvergaben an das Nationale Dialogquartett Tunesiens und den kolumbianischen Präsidenten Santos zuletzt wieder zu einer pragmatischeren Linie zurückgefunden haben, dürfen heute offiziell aufgegeben werden; es handelte sich offensichtlich doch nur um Betriebsunfälle.

Was bleibt? Dankbarkeit immerhin, dass niemand auf die ultimative Schnapsidee verfallen ist, die Außenminister der EU und des Irans, Federica Mogherini und Mohammad Zarif, für ihr herausragendes Verhandlungsgeschick auf dem Weg zum iranischen Atomdeal zu würdigen. Anstatt so den Enablern des iranischen Terrors im Nahen Osten Alfred Nobels Friedenspreis in die Hand zu drücken, bekommt ihn nun stattdessen eine Organisation, die telegene Friedenssymbolik tatsächlicher Friedenssicherung vorzieht. Ein schwacher Trost.