Emotionale Kriegsführung
Der Bürgerkrieg in Syrien wird nicht nur mit Waffen auf dem Schlachtfeld, sondern auch mit Worten in den sozialen Medien gekämpft. Emotionale Debatten und Verschwörungstheorien bestimmen dabei den Diskurs.
Wenn man sich die westliche Berichterstattung über den Krieg in Syrien anschaut, ist es leicht, den Eindruck zu bekommen, dass die Schuldigen der Schlächter Assad und sein Mentor Putin sind. Begeht man nun den Fehler, einen Blick in die Kommentarspalten sozialer Medien zu werfen, wird man sehr schnell sehen, dass die öffentliche Wahrnehmung in Deutschland diesem Narrativ nicht bedingungslos folgen mag. Den meisten Zuspruch erhalten dort Kommentare, die in verlässlicher Regelmäßigkeit darauf hinweisen, dass „der Westen“ auch nicht viel besser ist. Und überhaupt: Wer sagt denn, dass die ganze Misere nicht ohnehin Schuld des Westens ist? Mit dem Finger auf andere zu zeigen, sei immer einfach, aber die ganzen Kriege, die unter der Ägide der USA geführt wurden, seien doch mindestens genauso schlimm.
Wo Untätigkeit eine Tugend ist
Diese Kommentare sind so unsinnig wie irreführend. Man muss nicht einmal so weit gehen und gezielte Manipulationen russischer Trollfabriken dahinter vermuten, die damit Einfluss auf die öffentliche Wahrnehmung ausüben wollen, auch wenn die Möglichkeit besteht. Gehen wir stattdessen davon aus, dass diese Aussagen von Menschen stammen, die ihre Überzeugung vertreten. Was sagt uns das? Dass Menschen Basis ihrer Emotionen und nicht von Fakten urteilen.
Nehmen wir die aktuelle Debatte über den erneuten Einsatz von Giftgas. Es besteht offenbar ein geheimdienstlicher Konsens darüber, dass die Waffen erneut durch Assads Regime eingesetzt wurden, weshalb auch der Militärschlag gegen damit in Verbindung stehende Einrichtungen erfolgte. Erwartungsgemäß bestreiten sowohl Russland als auch das Regime, dass sie diesen Einsatz zu verantworten hätten.
Gleichzeitig nutzen sie eine geradezu bestechende Logik, nach der Assad überhaupt keinen Nutzen davon hätte, Nervengas einzusetzen. Wisse er doch schließlich, dass die mögliche Reaktion des Westens schwere Vergeltungsschläge sein könnten. Diese Logik funktioniert allerdings nur, wenn man die Annahme vertritt, dass sich Putin oder Assad großartig um die Meinung des Westens scherten. Seit Jahren schlachtet das Regime die eigene Bevölkerung ab. Über eine halbe Million Tote und mehr als fünf Millionen Menschen auf der Flucht später, ist es schwer vorstellbar, dass das Säbelrasseln der westlichen Nationen den beiden Kriegsheeren mehr als ein müdes Lächeln abringt.
Seit mehr als zwei Jahrzehnten wird der Völkermord in Ruanda regelmäßig als Beispiel für das Versagen internationaler Organisationen und die Passivität der UN herangezogen. Nun steht die Staatengemeinschaft erneut an einem Punkt, an dem ein brutaler Bürgerkrieg hunderttausende Todesopfer fordert – und ist dennoch nur sehr zögerlich zum Eingreifen bereit. Mit ein paar Marschflugkörpern auf Chemiewaffenanlagen wird man diesen Krieg nicht beenden. Konventionelle Waffen töten ebenso sehr zuverlässig. Mit einer Nation wie Russland im Sicherheitsrat der UN wird das Assad-Regime höchstwahrscheinlich keine schlaflosen Nächte haben – ganz gleich, wie viele roten Linien noch gezogen werden. Obwohl Donald Trump hier zu einem Unsicherheitsfaktor werden können, den selbst Putin nicht vorhergesehen hat. Das wird wohl die Zeit erst zeigen.
Wer am lautesten schreit, hat Recht
Aber zurück zu den Social-Media-Aktivisten. Russland und das Assad-Regime werden von denen als Underdogs wahrgenommen, die sich gegen die imperialistischen Bestrebungen des Westens zur Wehr setzen. Und der versucht – so die Vermutung – mit allen Mitteln diese mutigen Avantgardisten einer besseren Welt zu diskreditieren und schreckt dabei auch nicht vor unlauteren Mitteln, sogenannten False-Flag-Operationen zurück.
Wenn es sich schon nicht abstreiten lässt, dass es Einsätze von Giftgas gab, so waren diese doch zumindest von feindlichen Agenten inszeniert. Hier zeigt sich ein weiteres Problem dieser emotionalisierten Herangehensweise: Die völlige Ignoranz von Fakten, die dem eigenen Narrativ widersprechen könnten.
Die vergangenen Chemiewaffenangriffe wurden jedes Mal vonseiten des Assad-Regimes und Russlands dementiert. Halbgare Verschwörungstheorien und obskure Schuldzuweisungen setzte man stattdessen in die Welt. Nützte alles nichts – die meisten der Angriffe konnten im Nachhinein klar mit einer Urheberschaft der Dementierungsweltmeister in Verbindung gebracht werden.
Das hingegen interessiert die Aktivisten in den sozialen Medien wenig. Ganz gleich, wie oft man Putin und Assad der Täuschung überführte, diese Informationen werden entweder bewusst nicht wahrgenommen oder als Diskreditierungsversuch seitens der westlichen Nationen, allen voran der USA, bezeichnet. Ein wenig erinnert diese Herangehensweise an Debatten mit Evolutionsgegnern oder Flat-Earth-Gläubigen: Es spielt absolut keine Rolle, wie widersinnig deren Behauptungen aussehen mögen und welche Vielzahl an Beweisen dagegenspricht – sie werden sich am Ende stets im Recht wähnen.
Die Social-Media-Aktivisten rufen geeint nach Frieden und fordern, dass der Westen sich komplett aus dem Bürgerkrieg heraushält. Ihrer Überzeugung nach, sorgt die Einmischung westlicher Demokratien nur für mehr Eskalation.
Zynisch betrachtet ist das sogar richtig. Putin und Assad deeskalieren mit Hochdruck. Denn wer tot ist, kann nicht mehr rebellieren. Und wenn es keine Rebellen mehr gibt, verschwindet der Konflikt.
Den Frieden, den die Social-Media-Aktivisten sich wünschen, findet man vor allem auf Friedhöfen.