Das Coronavirus bringt die hässlichen Seiten der Menschheit zum Vorschein: Betrüger, Geschäftemacher und Trittbrettfahrer, die an der Angst der Menschen verdienen und ihre eigene Agenda durchsetzen wollen.

Das in China neu entstandene SARS-CoV-2-Virus hat sich binnen weniger Wochen auf die ganze Welt ausgedehnt. Es hat zahlreiche Länder, Regionen und Städte in den Ausnahmezustand versetzt – nicht, weil es besonders tödlich wäre, sondern weil es sich rasch verbreitet und die rasant ansteigenden Fallzahlen dafür sorgen, dass der vergleichsweise geringe Anteil schwer erkrankter Patienten doch so hoch wird, dass die Krankenhäuser überfordert sind.

Das alles wird von Epidemiologen, Virologen und manchen Journalisten sehr gut erklärt und tagesaktuell kommentiert, einschließlich neuester Ergebnisse in Sachen Prävention, Diagnose und Therapie. Zu erwähnen sind als besonders herausragende Wissenschaftsjournalisten wie Kai Kupferschmidt , Lars Fischer und Helen Branswell, der tägliche Podcast des Virologen Christian Drosten und Statistikseiten wie Our World in Data oder Avi Schiffmanns NCOV2019Live.

Zugleich bringt der Ausnahmezustand die hässlichen Seiten der Menschheit zum Vorschein: Diebstähle von Schutzausrüstung und Desinfektionsmitteln ebenso wie absurde Hamsterkäufe und Falschinformationen durch Wichtigtuer.

Politische Trittbrettfahrer

Und dann sind da noch diejenigen, die aus der Situation Kapital schlagen wollen.

Zum einen gibt es politische Trittbrettfahrer, die das Virus für ihre eigene Agenda nutzen: COVID-19 sei ein Produkt der Agrarindustrie, die in die letzten unberührten Gebiete der Natur vordringe, der „Massentierhaltung“ oder gentechnisch veränderter Futterpflanzen (so die im Westen ehrfürchtig hofierte Vandana Shiva). Beweise gibt es dafür keine, zumal das Coronavirus seinen Ursprung vermutlich auf einem Markt nahm, auf dem Kleinbauern und Landbewohner Wildtiere verkaufen.

Und wer sich dafür interessiert, wer in China die Natur verwüstet hat, der lese die Trisolaris-Trilogie von Liu Cixin. Im ersten Band beschreibt der Autor, wie unter Mao Zedong jeder Wald und jedes Insekt zum Feind der Menschheit erklärt und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln ausgerottet wurde. Der Besitz von Rachel Carsons Buch Der stumme Frühling galt als konterrevolutionär. Umweltschutz begann in China erst mit dem Reformkurs von Deng Xiaoping, dessen marktwirtschaftliche Orientierung der Bevölkerung wachsendem Wohlstand brachte. Chinas „Grüne Mauer“, das größte Wiederaufforstungsprojekt der Welt, begann unter Deng mit dem Verbot der landwirtschaftlichen Nutzung von Hängen steiler als 30 Grad und einem Verbot der Rodung von Wäldern. Die bis dahin ungeregelte Holznutzung wurde eingeschränkt, und es wurden Aufforstungsprogramme gestartet. Derzeit steigt die Waldfläche Chinas derzeit jährlich um 2,8 Millionen Hektar an. Auch wenn dabei teilweise artenarme Wälder entstanden, sind die nunmehr unberührtem Hangflächen Keimzellen für biologische Vielfalt. Dort sind riesige Sukzessionsflächen entstanden, die derzeit von Gräsern und Sträuchern bedeckt sind, aus denen sich langfristig reichhaltige Mischwälder entwickeln werden.

Schlangenölverkäufer

Nicht politisches, sondern ökonomisches Kapital versuchen Heilsversprecher und Schlangenölverkäufer aus der Krise zu schlagen. Dubiose Mediziner und Pseudoexperten melden sich zu Wort, um wirkstofffreie Zuckerkügelchen – homöopathische Globuli genannt – anzupreisen, die auf irgendwie quanten-energetisch-magische Weise der Infektion vorbeugen sollen – eine Behauptung, die selbst den Deutschen Zentralverein homöopathischer Ärzte dazu veranlasste, sich von derartiger Quacksalberei deutlich zu distanzieren. Hinzu kommen Heilpraktikerinnen und Heilpraktiker, die die Gunst der Stunde nutzen und ihre Pseudomedizin zur Vorbeugung und Immunstärkung anpreisen: Neben den erwähnten Milchzuckerkügelchen etwa intravenöses Vitamin C, „traditionelle“ chinesische Medizin, kolloidales Silber, Rohrreiniger bzw. „MMS“, energetische Medizin, immunstärkende Mittel u.v.a. Sie tun das wohl wissend, dass ihnen die Behandlung von Infektionskrankheiten gesetzlich untersagt ist. Noch absonderlicher sind Wundermittel wie das Trinken von Kuhurin  oder Baden in Kuhdung. All das ist angeblich erprobt und bewährt und hat schon vor zweihundert Jahren erfolgreich Epidemien eingedämmt.

Gemeinsam ist diesen Scharlatanen, dass sie die evidenzbasierte Medizin ablehnen und sie als „hilflos“ verhöhnen (seht her, die „Schulmedizin“ kann die Krankheit nicht behandeln!), aber keine Bedenken haben, deren Erkenntnisse über das Virus und die Symptome zum Ausgangspunkt ihrer Geschäftemacherei zu machen.

Quacksalber sind derzeit die wahren Profiteure der Krise: null Investitionen in Forschung und Entwicklung, aber Erlöse aus Pseudomedizin und -kuren und noch dazu eine Geschäftstätigkeit, der sie völlig unkontrolliert durch Ordnungs- und Aufsichtsbehörden nachgehen können – merkwürdig, dass Kritiker von Kapitalismus, Neoliberalismus und Profitgier diesen Sektor mit schöner Regelmäßigkeit übersehen. Dabei handelt es sich um einen Markt mit einem Jahresumsatz von 25 Mrd. € allein in Deutschland.

Dieser lukrative Markt mit seinen nahezu risikolosen Verdienstmöglichkeiten wird dafür sorgen, dass die Scharlatanerie nach der Krise oder bei Verfügbarkeit von Impfstoffen und medikamentösen Behandlungsversuchen ungebremst weiter gehen wird.

Impfgegner bringen sich jetzt schon in Position, indem sie die noch immer nicht vollständig geklärte Genese des Virus und die stark unterschiedlichen Krankheitsverläufe zum Anlass nehmen, um die Existenz des Virus oder seine Gefährlichkeit zu bestreiten. Auch konstruieren sie einen Zusammenhang zwischen Grippeimpfung und schweren Verläufen. Das ist irreführend, weil ältere Menschen sowohl bei Influenza als auch bei COVID19-Infektionen besonders gefährdet sind und daher häufig Grippeimpfungen bekommen. Impfgegner sehen derzeit eine Welt ohne Impfung gegen eine schwerwiegende Erkrankung und warnen dennoch vor Impfungen.

Die Heilerszene mit ihren nutzlosen Kügelchen und Pülverchen macht sich wiederum zunutze, dass der überwiegende Teil der mit SARS-CoV-2 infizierten Menschen nur sehr milde und manchmal gar keine Symptome durchmacht. Haben solche Menschen vorbeugend ein „immunstärkendes Präparat“ aus dem Heiler-Repertoire eingenommen und sind nicht oder nicht schwer erkrankt, wird das als Erfolg der Alternativmedizin ausgegeben. Schon jetzt kursieren im Netz „Befundberichte“ angeblicher homöopathischer Ärzte aus Europa und Indien, in denen die Homöopathen COVID-19 eindeutig diagnostizierten und mittels der Gabe „hochpotenzierter“ Zuckerkügelchen binnen weniger Tage ausheilten. Diese Berichte sind bislang jedoch in keiner Fachzeitschrift erschienen, sondern werden in dubiosen Blogs und sozialen Medien vorgestellt. Die „Diagnose“ erfolgte allein anhand der ärztlichen „Erfahrung“ und angeblicher Leitsymptome (manchmal sind die Beiträge mit geschwärzten positiven Laborbefunden garniert). Damit erweisen sich die Berichte als unüberprüfbare Behauptungen und es ist nicht möglich, ihnen einen Wahrheitsgehalt zu unterstellen. Dennoch werden Behauptungen wie „homöopathische Ärzte heilten während der SARS-CoV-2 Pandemie tausende Patienten nur mit Homöopathie“ vermutlich noch Jahrzehnte die Runde machen und in ein paar Jahren auch wieder in Talkshows und Zeitungsberichten verkündet werden.

Betrüger und Menschen, die einfache Antworten auf komplexe Fragen suchen, sterben auch in einer Pandemie nicht aus.