Abseits des offiziellen Parteiprogramms fällt die FDP-Führung gerne mal durch verbale Ausrutscher auf. Welches Klientel soll da eigentlich angesprochen werden, fragt unser Gastautor Paul Hünermund.

Wie weit rechts muss man die FDP heutzutage verorten? Für meinen Kollegen Jan Schnellenbach, VWL-Professor an der Brandenburgischen Technischen Universität in Cottbus, macht diese Frage wenig Sinn. In einem lesenswerten Beitrag legt er dar, dass die sogenannte negative Freiheit – das heißt die Abwesenheit von äußerem Zwang, vor allem durch staatliche Eingriffe – das Kernziel des Liberalismus darstellt.

Die FDP ist für ihn die Partei in Deutschland, die sich diesem Ziel am ehesten verschrieben hat. Sie gilt damit als der natürliche Interessensvertreter des liberalen Lagers. Alle Versuche innerhalb dieses Lagers zwischen eher rechten und linken Positionen unterscheiden zu wollen, hält Schnellenbach deshalb für wenig überzeugend. Der Begriff „linksliberal“ ist ihm nicht mehr als ein Euphemismus, der vom zuletzt doch stark gesunkenen Markenwert der Sozialdemokratie ablenken soll.

Ich sehe es anders.

Die individuelle Freiheit ist ein hohes gesellschaftliches Gut und die FDP nimmt mit ihrer Betonung von Selbstbestimmung und Eigenverantwortlichkeit unbestritten eine wichtige Stellung innerhalb der deutschen Parteienlandschaft ein. Aber Laissez-Faire ist natürlich auch keine sinnvolle Alternative. Die moderne Wirtschaftswissenschaft ist voll mit Beispielen, in denen unkontrollierte Märkte zu wenig erstrebenswerten Ergebnissen führen.

Ein klassischer Fall findet sich im Bereich Klima und Umwelt, wo individuelles Handeln ungewollte Auswirkungen auf Dritte haben kann. Ein Umstand, der nicht notwendigerweise adäquat im privaten Entscheidungskalkül Berücksichtigung findet. Auch das Thema Ungleichheit rückt immer mehr in den Fokus von Ökonomen – sowohl bei den Einkommen und Vermögen, als auch auf der Produktionsseite, wo wir einen zunehmenden Trend zur Oligopolbildung beobachten.

Innerhalb der Regionalökonomie dokumentieren Studien, dass die Schere zwischen prosperierenden und wirtschaftlich abgehängten Regionen immer weiter aufgeht. Und Harvard-Ökonom Raj Chetty demonstriert in seinen Arbeiten eindrucksvoll, wie Diskriminierung, auch jenseits von gesetzlichen Regelungen, die wirtschaftlichen Aufstiegschancen von Minderheiten stark verringern kann.

Bei diesen Beispielen handelt es sich im Übrigen nicht nur um klassische Verteilungsprobleme. Denn es birgt sich hier das Potenzial für teils erhebliche negative externe Effekte. Zum Beispiel, wenn schwerreiche Firmen versuchen, ihre marktbeherrschende Stellung durch Lobby-Arbeit zu verteidigen. Oder wenn das steigende Wohlstandsgefälle zwischen Regionen den Aufstieg von populistischen Parteien im Land begünstigt.

Nicht jeder Markteingriff ist illiberal

Politikmaßnahmen, die korrigierend in die Marktprozesse eingreifen, sind dann nicht mehr nur ein Mittel zur Durchsetzung von politischen Verteilungspräferenzen, sondern rechtfertigen sich allein schon aus Effizienzgründen – etwas, was Ökonomen stets am Herzen liegt.

Lösungsansätze zur Vermeidung von negativen Externalitäten können dabei im Zielkonflikt mit einer Maximierung der persönlichen Freiheit stehen. Beispielhaft wäre hier ein generelles Tempolimit auf Autobahnen zu nennen, das aus Gründen der CO2-Vermeidung eingeführt wird.

In solchen Fällen muss sorgfältig abgewogen werden, um einen vernünftigen Ausgleich zwischen der Durchsetzung von gesellschaftlichen Zielen auf der einen, und der Beschränkung von individuellen Freiheitsrechten auf der anderen Seite zu erreichen.

Es ist jedoch augenfällig, dass die Kosten dieser externen Effekte meistens bei den weniger wohlhabenden Schichten unserer Gesellschaft anfallen. Das mag ein Grund sein, warum solche Themen seltener auf dem Radar des typischen FDP-Wählers auftauchen.

Ein Blick in das Parteiprogramm offenbart dann auch, dass sich die FDP eher durch die Ablehnung von Politikmaßnahmen auszeichnet, anstatt mit eigenen Lösungen für die benannten Probleme aufzuwarten.

Abseits des offiziellen Parteiprogramms fällt die FDP-Führung derweilen gerne auch mal durch verbale Ausrutscher auf. So hielt es Wolfgang Kubicki im Zuge der Clemens-Tönnies-Affäre anscheinend für wichtiger, eine Diskussion zur Meinungsfreiheit anzuzetteln, anstatt entschieden die herablassenden Bemerkungen gegenüber Afrikanern zu verurteilen. Auch Christian Lindners lapidare Äußerungen zu den Schülerprotesten von „Fridays for Future“ blieben im Gedächtnis. Da fragt man sich schon manchmal, welches Klientel hier angesprochen werden soll?

Für einen modernen Liberalismus

Die individuelle Freiheit ist ein hohes gesellschaftliches Gut, welches nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden darf. Bei einer Überbetonung der negativen Freiheit als Zielgröße driftet man allerdings leicht in Richtung Libertarismus ab – die Extremversion des Liberalismus, für die vor allem gewisse Fraktionen den Republikaner in den USA bekannt sind.  Mit einer solchen Ausrichtung überholt man die meisten anderen Parteien in Deutschland sehr schnell von rechts.

Dem liberalen Lager in Deutschland wäre grundsätzlich zu etwas weniger Dogmatik und einer größeren Offenheit gegenüber nutzenstiftenden Politikmaßnahmen geraten. Vielleicht würde man so auch wieder mehr Rückhalt unter den Ökonomen gewinnen.

Die haben sich nämlich in den letzten drei Jahrzehnten zunehmend empirischer ausgerichtet und können immer weniger mit den ideologisch geführten Grundsatzdiskussionen im Stile der 80er Jahre anfangen.

Deutschland braucht eine FDP, die die gesellschaftlichen Herausforderungen im Bereich Klima, Ungleichheit und Gleichstellung ernster nimmt, und sich nicht nur durch die Ablehnung staatlicher Eingriffe hervortut. Smarte Lösungsansätze sind gefordert. Gerade hier könnte sich die FDP profilieren.

Denn nur weil andere Parteien politischen Handlungsbedarf möglicherweise schneller benennen, heißt das noch lange nicht, dass sie auch die passenden Antworten parat haben. Nur auf diese Weise kann der Liberalismus eine echte Alternative für eine breite Schicht der Bevölkerung darstellen. Ich wünsche mir die FDP als starke Kraft der politischen Mitte, selbst wenn das bedeutet, dass sie mehr nach links rückt.

 

Paul Hünermund ist Assistenzprofessor an der Universität Maastricht, er hat Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim und der KU Leuven studiert.