In der gehobenen Völlerei geht nichts mehr ohne „Storytelling“. Ein Hersteller von Edelschokolade führt vor, wie man sich dabei zum Affen macht.

Wo sind sie hin, die guten alten Zeiten, in denen Werbung für Lebensmittel noch mit dem Versprechen auskam, das Produkt sei gut und richtig lecker? Manchmal reichte schon der Hinweis auf dessen bloße Existenz. „Pudding – Dr. Oetker“ war ein erfolgreicher Slogan. Ok, hier sind wir in den Wirtschaftswunderjahren, als der Hunger noch um die Ecke schielte und „Pudding“ und „Paradies“ so gut wie dasselbe meinten. Doch auch in den 80ern gab es noch Werbebotschaften für schlichte Gemüter, man konnte sie ohne Textkenntnis unter der Dusche mitsingen: „Die Sinalco schmeckt, die Sinalco die er_frischt und schmeckt!“

Nichts geht mehr ohne Storytelling

Der Esser von heute will angeblich mit schillernden Geschichten unterhalten werden. Ohne Storytelling geht nichts mehr, behaupten Marketing-Leute. Beim gründlichen Storytelling verschwindet das beworbene Produkt wie Dornröschen hinter der Hecke. Da war der Uropa aus dem Hinterland von Siracusa, der sein Wissen über eine spezielle Methode des Kaffeeröstens mit auf das Schiff nahm, mit dem er nach Amerika auswanderte. Fast hätte ihm der verschlagene Bootsmann das Rezept abgeluchst. Heute trinkt ganz Manhattan diesen Kaffee. Der Name der Marke ist mir entfallen, aber man kann ihn googeln, wenn man „Enrico“, „sicily“ und „coffee“ in die Suchmaske eingibt.

Seit Essen eine Frage des Lifestyles und Ernährung zum wesentlichen Mittel sozialer Distinktion geworden ist, überschlagen sich Lebensmittel-Produzenten mit Geschichten, die im Kern immer die gleiche Botschaft transportieren: Hier i(s)st man etwas Besseres. PR-Agenturen laden Journalisten zu Marmeladenherstellern, die ihre Rezepte stets in alten Familien-Kochbüchern gefunden, ihnen dann aber „einen zeitgemäßen Twist“ gegeben haben. Die Hersteller sind Aussteiger aus irgendwas anderem, sie leben unter blühenden Obstbäumen und sind glücklich.

Da reicht es nicht zu wissen, dass ihr Produkt in einer Manufaktur in „liebevoller Handarbeit“ entstanden ist. Man soll auch etwas über die Herkunft der Handarbeiter erfahren, über ihren Alltag und ihre persönlichen Vorlieben. Das ist sympathisch. Sofern diese Menschen real existieren, freuen sie sich bestimmt über die kleinen narrativen Denkmäler, die man ihnen setzt. Leider geht meine Erfahrung in eine andere Richtung. Zwar ist das Personal der Storyteller nicht ganz so erdichtet wie Clementine und Herr Kaiser selig. Aber das ungeschminkte Leben ist doch arg blass, und wer hätte je ernsthaft verlangt, dass Werbung die Wirklichkeit abbildet?

„Die stille Kraft der letzten Gorillas“

Wie die Gorillas in der Demokratischen Republik Kongo auf einen Werbetext der Firma „Original Beans“ reagiert haben, ist nicht übermittelt. Auf der Rückseite einer teuren Schokolade namens „Cru Virunga“ (70 Prozent Kakaoanteil) heißt es: „Noten von Schattenmorellen, dunkler Schokolade und schwarzem Tee offenbaren sich, während die Cru Virunga im Mund zergeht. Die Tiefe der Aromen verkörpert die stille Kraft der letzten Berggorillas, die im Virunga Nationalpark leben.“ Das muss man erst einmal verdauen. Die stille Kraft der Berggorillas! Nie war sie so wertvoll wie heute.

Fressen Berggorillas eigentlich Kakaobohnen? Und wenn ja: Sind Kakao-Plantagen und Gorillas dann nicht geborene Feinde, zumindest in den Augen der Menschen, die Kakaobohnen ernten und verkaufen wollen? Die Storyteller von „Original Beans“ bzw. die genialen Textschmiede, die im Auftrag dieser Firma am Werk waren, bleiben uns die Antwort schuldig. Woher die merkwürdige Assoziation? Will da jemand behaupten, dass der Duft von Schokolade und das Aroma, das Gorillas im Zoo verströmen, etwas gemein haben?

Riechen Gorillas, die in Freiheit leben, angenehmer? Vielleicht nach Schattenmorellen? Duften Schattenmorellen nach irgendwas? Nur sehr dezent, solange sie am Baum hängen. Aber im eigenen Saft, mit Zucker, einer Stange Zimt und einem Sternanis zu Kompott gekocht, sind sie ein köstliches Dessert, das gerade wieder in Mode kommt. Man kann Bitterschokoraspel darüber streuen. Das ist quadratisch, praktisch und gut. Der Cru dazu kommt besser aus der Flasche.