Die „Nazis raus“-Welle im Netz sei peinlich, läppisch und eine Beleidigung von Widerstandskämpfern, findet Michael Miersch. Einspruch, Euer Ehren! Gerade im Falle der von rechten Trollen massiv angegriffenen Journalistin Nicole Diekmann war sie eine so notwendige wie richtige Reaktion.

Michael Miersch hat Recht: Es braucht nicht viel Mut, um einen Tweet oder ein Facebook-Posting mit den Worten „Nazis raus!“ zu formulieren und abzuschicken. Für diese Forderung, die eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte, fliegen einem vielmehr zumindest innerhalb der eigenen Filterblase die (virtuellen) Herzen nur so zu. Das sorgt für das wohlige Gefühl, eine gute Tat vollbracht zu haben, auch wenn damit oft genug keine Konsequenzen und keine Risiken verbunden sind und es niemandem weh tut. Anders übrigens, auch da liegt Michael Miersch ganz richtig, als wenn man diese Parole auf einem Schild durch diverse Dörfer und Kleinstädte nicht nur in Sachsen und Brandenburg trüge.

Aber ging es überhaupt um Feel-good-Antifaschismus, als Tausende den Slogan „Nazis raus!“ twitterten, nachdem die ZDF-Journalistin Nicole Diekmann es getan hatte und dafür von der sehr gut vernetzten ultrarechten Trolleria mit Beschimpfungen, Beleidigungen sowie Mord- und Vergewaltigungsdrohungen überzogen worden war? Sollte damit tatsächlich Nonkonformismus simuliert werden, wie Miersch meint? Halten sich die vielen, die nach dem rechten Angriff auf Diekmann zu Smartphone oder Laptop griffen, wirklich „für eine einsame, aber tadellose Minderheit“, die heldenhaft gegen eine schier übermächtige Mehrheit ankämpft? Sind sie ernsthaft bloß Selbstdarsteller, die nicht mehr als ein bisschen Gratismut zeigen?

Oder bestand der Sinn des „massenhaften antifaschistischen Twitterns“ (Miersch) vielleicht doch vor allem darin, der aufs Übelste attackierten Journalistin beizuspringen, sich also wahrnehmbar mit ihr zu solidarisieren und dem rechten Troll-Netzwerk gleichzeitig die Stirn zu bieten? Michael Miersch hat mit Recht festgehalten, dass die AfD und ihre Anhänger in den sozialen Medien „die Lufthoheit erobert haben“. Dazu müssen sie dort zahlenmäßig nicht einmal überlegen sein, es genügen eine enge Vernetzung und eine extrem große Aktivität. Viele der „Nazis raus“-Twitterer dürften – das zeigen auch große Hashtag-Kampagnen wie #wirsindmehr – eher davon ausgehen, einer Majorität anzugehören, die jedoch oftmals schweigt oder zumindest nicht laut genug ist, um den rechten Pöbel zu übertönen.

Nicht läppisch, nicht peinlich

Von der vor allem bei Verschwörungsideologen zu beobachtenden Attitüde, zu einer unterdrückten Minderheit zu zählen, die sich einer finsteren Übermacht tapfer entgegenstellt, war bei ihnen jedenfalls nicht viel zu spüren. Das vieltausendfach getwitterte „Nazis raus!“ entsprang einer Position der Stärke, mag sich auch der eine oder die andere unangemessen kühn und rebellisch dabei gefühlt haben. Nicole Diekmann ist im Netz in einer koordinierten Aktion wüst angegriffen worden, die Solidarisierung mit ihr ist ebenfalls im Netz und mit den Mitteln des Netzes erfolgt. Ob das mutig war, ist unerheblich. Es hat der Angegriffenen jedenfalls gezeigt, dass sie nicht alleine ist, und die rechten Trolle wenigstens für diesen Moment in die Schranken gewiesen. 

Das war nicht läppisch, nicht peinlich und erst recht keine „posthume Beleidigung der Frauen und Männer, die tatsächlich Widerstand geleistet haben“, wie Michael Miersch meint, sondern in Form und Inhalt angemessen und notwendig. Wenn jemand für eine Äußerung wie „Nazis raus!“ beschimpft, beleidigt und bedroht wird, ist es völlig richtig, diese Äußerung möglichst zahlreich dort zu bekräftigen, wo es zu den Beschimpfungen, Beleidigungen und Drohungen gekommen ist: auf der Straße, in den Parlamenten, in den (sozialen) Medien. Das muss man gewiss nicht zur Heldentat emporjazzen. Aber solche Attacken unwidersprochen geschehen zu lassen, ist erst recht keine Alternative.

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