Wenn Lebensmittel-Produzenten zurück zu den Wurzeln gehen, entsteht manchmal etwas richtig Leckeres. Manchmal geht es aber auch ins Auge. Dann sollte man als zahlendes Versuchskaninchen selbstbewusst sein und dem Hersteller einen Vogel zeigen.

Ein Bekannter von mir ist unter die Hobby-Bauern gegangen. Mehrmals im Jahr reist er auf seine Liegenschaften am Mittelmeer und produziert dort sein eigenes Bio-Olivenöl. Stolz überreichte er mir ein Fläschchen. Man musste kein Experte sein um zu erkennen, dass die trübe Flüssigkeit mit Schwebeteilchen, groß wie Fliegenbeine, durch eine unsaubere Presse gegangen war. Sie schmeckte zuerst muffig, dann metallisch. Dafür fehlte ihr die pfeffrige Schärfe im Abgang, die ein gutes Olivenöl auszeichnet.

Nach einer Schamfrist warf ich das Fläschchen weg. Von Freunden habe ich erfahren, dass sie das Gleiche taten. Heimlich, denn niemand mochte den Erzeuger kränken. Wie töricht wäre es, Menschen wegen harmloser Hobbys zu kritisieren. Ich freue mich an den Salzteig-Arabesken, mit denen manche ihre Klingel verschönern. Zum Glück muss ich den Salzteig nicht essen, ebenso wenig wie Makramee-Wandbehänge oder Toskana-Aquarelle und was dergleichen mehr ist, das frischen Herzens von Amateuren in aller Welt gefertigt wird.

Authentisch heißt nicht immer schmackhaft

Ganz anders sehe ich die Sache bei Nahrungsmitteln, die mir als „natürlich“, „authentisch“ oder „rein“ angeboten werden, die teurer als normale Supermarktware sind und sich dann als ungenießbar herausstellen. Die Produzenten solcher Natürlichkeit tragen oft Dutt respektive Hipsterbart und verstehen viel von Public Relations. Meist waren sie im Marketing oder im IT-Bereich tätig, bis sie „etwas mit den Händen machen“ wollten.

Neulich machte ich diese Erfahrung mit einer sündteuren ranzigen Paranusscreme, die ein Bio-Hersteller in Stuttgart zu verantworten hatte. Der stellte sich ob meiner Reklamation stur. „Nur ein Massenprodukt schmeckt immer gleich“, schrieb er mir per Mail. Das sah ich ein. Ob ich trotzdem ein neues Glas haben könne, im Tausch gegen das ranzige? Die Antwort kam prompt: „Gerne. Wenn Sie bereit sind, die Versandkosten zu tragen.“

„Spontis“ aus dem Weinkeller

Ein komplexes Phänomen sind in diesem Zusammenhang Weine, die als „Naturwein“ bezeichnet werden, seit ein paar Jahren die Weinbau-Szene aufmischen und zunehmend in den Massenkonsum diffundieren. Die Winzer der „Natural Wine“-Bewegung wollen weg von moderner Weinbautechnik. Das hat seinen Reiz. So, wie eine mit Naturdärmen bespannte Barockgeige für Liebhaber der Barockmusik ihren Reiz hat. Wenn allerdings klassische Fehltöne im Wein zu „interessanten Akzenten“ und zu „eigenwilligem Charakter“ verklärt werden, fühle ich mich mal wieder hinter die Bio-Fichte geführt.

Es ist interessant und schön und gut, wenn bislang unbekannte Geschmacksnoten durch eine Renaissance der „Spontangärung“ entstehen. Gemeint ist damit eine Gärung auf Basis der verschiedensten und in ihrem Gärverhalten nicht genau vorhersehbaren Hefen, die jede Traube mit sich bringt. Gute „Spontis“ überraschen mit exotischen Fruchtaromen (Mango, Papaya, Ananas), haben ordentlich Wumms und entfalten sich oft erst nach fünf und mehr Jahren, sind also im Idealfall besonders lagerfähig.

Louis Pasteur wusste, was er tat

Schlechte spontan vergorene Weine erinnern daran, weshalb Louis Pasteur und Kollegen vor 150 Jahren nach Hefen suchten, deren Gärverhalten günstig und vorhersehbar ist – und diese kultivierten. Dank dieser wissenschaftlichen Durchdringung des Gärprozesses und Dank vieler Versuche und Irrtümer gibt es heute Zuchthefen für die verschiedensten Rebsorten und Problemlagen. Diese „Reinzuchthefen“ sind übrigens ganz natürlich, auch wenn die Natural-Wine-Szene etwas anderes suggeriert und manche besonders ängstliche Konsumenten inzwischen glauben, bei den Zuchthefen handele es sich um gentechnisch veränderte Produkte.

Neben der Gärtechnik rüstet die Naturwein-Bewegung auch an anderen Stellen im Weinkeller ab. Solange die Produkte einigermaßen schmecken und klar sind, geht das in Ordnung. Ärgerlich sind dagegen trübe oder nach unsauberem Kellergerät schmeckende Weine. Denn leider bilden die großen, gut komponierten Gewächse bei den „Spontis“ eher die Ausnahme, vor allem im Segment von unter 15 Euro pro Flasche.

Naturwein unter 15 Euro die Flasche ist meistens unerfreulich

Wer aus einer Weingegend – oder wie ich aus einer Apfelweingegend – stammt und beim leicht muffigen Geruch gestampfter Lehmböden in alten Fasskellern sentimental wird, sollte ruhig auch einmal einen günstigeren Naturwein probieren. Vielleicht kommt er auf den Geschmack. Aber auch das hat Grenzen. Weine, die nicht sauber gelesen sind und nach Fäulnis schmecken, weil man ihnen im Keller nicht mit „künstlichen“ Techniken zusetzen mochte, überziehen den Kredit. Dieser Unfug ist nur zu stoppen, indem man das Gesöff unter Protest zurückgehen lässt. Zweifel, man habe vielleicht nicht mit dem Zeitgeist Schritt gehalten, sind fehl am Platz.

Sehen wir den Tatsachen ins Auge: Natürlichkeit und Wein passen so gut zusammen wie Miss Piggy in ein Schweigekloster. Viel Erfahrung, Selektion, Manipulation und Korrekturen im Keller sind nötig, um das zu produzieren, was der moderne Konsument Wein nennt. Übrigens können auch die Natural-Wine-Bio-Winzer nicht auf Pflanzenschutzmittel verzichten. Weil Kupfer, das sich im Boden anreichert, als Pestizid im Bio-Weinbau eine unverzichtbare Rolle spielt, musste schon so mancher Bio-Winzer die Böden seiner Weinberge austauschen. Dabei handelt es sich bei Kupfer doch um ein natürliches Metall. Aber das ist ein anderes Thema.

 

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In ihrer Kolumne „Essen mit Ellen“ setzt sich Ellen Daniel mit kulinarischen Spezialitäten auseinander – und den kulturellen Hintergründen. Sämtliche bisher erschienene „Essen mit Ellen“-Beiträge finden sich hier.