Die mögliche Oppositionsführerin Andrea Nahles setzt das Projekt der SPD-Selbstdemontage fort.

Erinnert sich noch jemand an die letzte Große Koalition? An diese Zeit bis zum Sommer 2017, als die größten Meinungsverschiedenheiten und heftigsten Auseinandersetzungen zwischen Union und SPD noch die regelmäßigen Twitter-Battles unter Beteiligung von Peter Tauber und Ralf Stegner waren?

Es wirkt Jahre her. Die AfD hat mit ihrem Programm, aber auch mit ihrem Auftreten und damit in letzter Konsequenz mit ihrer schieren parlamentarischen Präsenz die Axt ans Komment der bisherigen Bundestagsarbeit gelegt. Alle Welt echauffierte sich zu Recht, als ein siegestrunkener Gauland am Sonntag in die Menge röhrte, sie, die Abgeordneten der AfD, wollten Merkel jetzt „jagen“. Das war schlimm genug. Doch dass sich heute Andrea Nahles – ehemalige Generalsekretärin, stellvertretende Bundesvorsitzende, noch kommissarische Arbeitsministerin und trotzdem irgendwie Inbegriff des personellen Neuanfangs in der SPD – nicht entblödete, die Oppositionsarbeit gegen die mutmaßlich unionsgeführte Bundesregierung mit der programmatischen Losung „Ab morgen kriegen sie in die Fresse!“ einzuleiten, hinterlässt den Beobachter dann doch einigermaßen ratlos.

Verrohung der Sitten

Zwar eilten flugs Genossen herbei, die Nahles‘ Ausfall unter Hinweis auf die notorisch scharfzüngige Oppositionskonkurrenz von AfD und Linken erklärten, gegen die es nun auch medial zu bestehen gelte, doch bleibt von dieser Geste vor allem die Verzweiflung haften, aus der sie geboren wurde.

Mag sein, dass auf einen groben Klotz ein grober Keil gehört und dass der SPD mit höflicher Zurückhaltung momentan nicht geholfen ist. Aber wer nicht zwischen höflicher Zurückhaltung und Höflichkeit zu unterscheiden weiß und durch so plumpe Ausbrüche für zehn Minuten Medieninteresse die über Jahrzehnte im Kern intakt gebliebenen Umgangsformen im höchsten Haus der politischen Meinungsbildung in Deutschland korrumpiert, wer also in dieselbe Kerbe schlägt wie eine AfD, bei der beleidigende und ehrabschneidende Bemerkungen längst zum guten Ton gehören, der kann kaum für sich beanspruchen, etwas gegen die Verrohung der politischen Sitten zu tun und mithin eine konstruktive Bundestagsopposition zu sein.

Der Demokratie in Deutschland tut nur eine Volkspartei nicht gut. Umso schmerzlicher zu sehen, mit welcher Energie die SPD an ihrer Selbstdemontage arbeitet.