Das Putin-Regime hat die Brücken zum Westen längst eingerissen, der Diktator lässt sich als Kommandant einer belagerten Festung inszenieren. Der Westen muss das endlich begreifen und einen neuen Umgang damit finden. Unser Autor hat einen Vorschlag, wie soft power par excellence aussehen könnte.

In Russland und in Belarus verschärfen die Machthaber in diesen Monaten die Repressionen gegen die Opposition, aber auch gegen die gesamte Gesellschaft. Die Legitimität der Autokraten bröckelt, in Belarus tendiert sie längst gegen Null. Nun werden die Herrschaftsinstrumente der sowjetischen Epoche wieder ausgepackt: Sie heißen Stigmatisierung, Verhaftung und Vertreibung. Bereits seit dem Winter gehen Experten davon aus, dass dieses Jahr von einer Verschärfung willkürlicher Verfolgungen gekennzeichnet sein wird. Die deutsche Außenpolitik, die doch stets auf Dialog mit Moskau setzt, sieht fassungslos zu wie der Kreml selbst die Verbindungen in den Westen kappt. Längst sind Russland und Belarus – von den Staatsmedien mit ununterbrochener Propaganda begleitet – auf dem Weg zurück in die sowjetische Selbstisolation. Denn die Diktatur braucht diesen Ausnahmezustand, er ist ihr Lebenselixier, die Machthaber definieren sich als Kommandanten einer belagerten Festung.

Der Westen tut sich schwer, auf die Verbrechen autoritärer Regime zu reagieren. Lange hat man sich aufs erschreckte Zusehen und den erhobenen Zeigefinger beschränkt, nur wenn es ganz schlimm kam, dann wurden mehr oder weniger strenge Sanktionen verhängt. Eigentlich möchten Angela Merkel und Emmanuel Macron gern wieder zurück in die Welt vor 2014; der Kreml kennt diesen Wunsch der Europäer, aber er hat sich längst im Modus eines Systemkonflikts eingerichtet und die Brücken hinter sich abgebrochen. Doch den westlichen Regierungen ist simulierter Dialog lieber als offener Konflikt. Berlin, Paris und Brüssel haben sich entschieden, die Realitäten des 21. Jahrhunderts weiter auszublenden – das hat die Debatte über Waffenlieferungen in die Ukraine zuletzt verdeutlicht. Wir lassen uns unsere Idylle doch nicht von Ukrainern kaputt machen, die ihr Recht auf Selbstverteidigung wahrnehmen wollen.

Der Druck wird steigen

Die eigentlichen Opfer dieser politischen Konstellation – verschärfte Repression im Osten, Lethargie im Westen – sind die Bevölkerungen von Russland und Belarus, die mehr denn je den Machthabern ausgeliefert sind. Besonders für oppositionelle Aktivisten, aber längst nicht mehr nur für sie, ist die Lage nicht nur ungemütlich, sondern gefährlich geworden. Der Konformitätsdruck steigt und wer sich nicht loyal zeigt, der kann schnell Karriere, Eigentum und Freiheit einbüßen. In den kommenden Monaten und Jahren werden noch mehr Bürgerinnen und Bürger aus dem Osten zu uns fliehen. Darunter werden besonders viele Aktivisten, Akademiker und Studenten sein, die ihre Arbeit verloren haben und nach einer neuen Perspektive suchen.

Neben das Mittel der Sanktionen sollten deshalb andere Maßnahmen treten. Unsere Diplomatie sollte sich nicht auf Strafen für Vertreter der autoritären Regime beschränken. Wir müssen Alternativen entwickeln, von denen sowohl die post-sowjetischen Gesellschaften als auch Europa profitieren könnten. Leider werden die Möglichkeiten, in Belarus oder Russland mit der Zivilgesellschaft gemeinsame Veranstaltungen durchzuführen, weiter eingeschränkt werden. Erst in dieser Woche sind drei deutsche NGOs – darunter so bedeutende wie das Zentrum Liberale Moderne und der Deutsch-Russische Austausch – von Moskau zu unerwünschten Organisationen erklärt worden. In Belarus sind kritische Veranstaltungen schon längst nicht mehr möglich. Es bleibt nur das Ausweichen in die Europäische Union. 

Deshalb lautet mein Vorschlag: Gründen wir eine freie russische und belarusische Universität! 

Eine solche Hochschule würde zahlreiche Vorteile bündeln: wir würden den geflüchteten Akademikern eine neue Heimat geben. Sie könnten sich bei uns vernetzen, eine neue Institution aufbauen und ihr Wissen weitergeben. An diesem Ort könnte sich eine Elite für das post-Putin Zeitalter konstituieren und gemeinsam Konzepte für eine liberale Zukunft vorbereiten. Deutschland und Europa würden auch profitieren: bei uns wurde die Osteuropaforschung nach dem Kalten Krieg größtenteils kaputtgespart. Die Expertise der Emigranten wäre in unserer Forschungslandschaft willkommen. Studentinnen und Studenten aus dem post-sowjetischen Raum, die dort nicht mehr frei studieren können, würden eine akademische Ausbildung erhalten. Auch deutsche Hochschullehrer könnten ihren Beitrag leisten. Ein solches Projekt wäre europäische soft power par excellence.

Es liegt an uns, das Projekt einer europäischen Universität für den post-sowjetischen Raum anzugehen. Ihre Professoren sind bereits auf dem Weg zu uns. Ein großes historisches Vorbild existiert: Im Jahr 1948 zog ein großer Teil der Professoren aus dem sowjetischen Sektor ins damals amerikanische Dahlem, um dort die Freie Universität Berlin zu gründen. Sie flohen vor der kommunistischen Diktatur und suchten einen Raum für freie Wissenschaft. Das war der Anfang einer akademischen Erfolgsgeschichte, die bis heute andauert. Auch in der Gegenwart wäre der Raum Berlin-Brandenburg ein erfolgversprechender Standort. Doch dazu müsste die deutsche und europäische Politik sich entschließen, jenseits halbherziger Sanktionen zu denken, den brain drain produktiv zu machen und auf eine akademische Elite zu setzen, die in der Zukunft den Wandel in ihrer Heimat vorantreiben kann.