Immer wieder treten ehemalige Generale der Bundeswehr an die Öffentlichkeit und stellen sich auf die Seite Russlands. Warum ist das so? Der Versuch einer Analyse.

Wir haben ein General-Problem. Das musste ich, seufzerartig, denken, als Ende Februar Erich Vad auf die Bühne am Brandenburger Tor trat, um seine Rede zu den Demonstranten des von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer ausgerufenen „Aufstands für den Frieden“ zu halten. Sie war nicht allzu lang und bot auch nicht wirklich Überraschendes, was schon in gewisser Weise überraschend ist, denn Erich Vad, ehemaliger Brigadegeneral und seit einem Jahr häufiger Gast in den „Talk-Show“ genannten Promi-Plauderrunden, hatte so oft schon seine Aussagen über die gewaltige Stärke der russischen Streitkräfte und seine Vorhersagen über den Verlauf des russischen Krieges gegen die Ukraine revidieren müssen – übrigens unbeschadet für seine mediale Reputation –, dass man auch mit einer den Krieg interpretierenden Spekulation seinerseits rechnen konnte, die vielleicht schon einen Tag zuvor widerlegt worden war. Aber Erich Vad hatte gelernt. Vielleicht erinnerte er sich an den Gegenstand seiner Dissertation, Carl von Clausewitz, den wohl, neben Sunzi, wichtigsten Kriegstheoretiker der Geschichte. In seiner Abhandlung Vom Kriege macht er deutlich, wie unvorhersehbar und unberechenbar Kriege seien.

Und, wie’s scheint, auch mancher deutsche General. Denn als Vad am Ende der Kundgebung steifbeinig mit den Organisatorinnen missbräuchlich zu John Lennons Friedensknaller Give Peace a Chance zu schunkeln begann, da musste ich an jenen General denken, der vor vierzig Jahren einer der Hauptinitiatoren der westdeutschen Friedensbewegung war: Gert Bastian.

PSYCHOLOGISCHE KRIEGSFÜHRUNG

Gert Bastian war fast sein Leben lang Soldat gewesen. Als die Bundeswehr 1955/56 gegründet wurde, trat er kurz danach in diese ein und stieg bis zum Brigadegeneral bzw. Generalmajor auf. Im Jahr 1976 wurde er Kommandeur der 12. Panzerdivision; vier Jahre später bat er dann um die Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand. Zu dieser Zeit lernte er Petra Kelly kennen, die bekannteste Friedensaktivistin der Bundesrepublik und Mitgründerin der Grünen. Die beiden wurden ein Paar, obwohl Bastian noch verheiratet war. Bastian war Mitinitiator der sogenannten Krefelder Initiative, einer Organisation, die von Tarnorganisationen der DKP gegründet wurde und die nur einen Zweck verfolgte: gegen die NATO-Nachrüstung zu agitieren. Er warb Petra Kelly für diese Organisation, doch diese blieb nicht lange Mitglied. Irgendwann war ihr deutlich geworden, dass es der Initiative nur darum ging, die Waffen der NATO als kriegstreibend und die der Sowjetunion als friedenserhaltend zu verkaufen. Bastian folgte ihr. Doch zuvor entwarf er mit dem Oberst a.D. Josef Weber, Funktionär der DKP-nahen Deutschen Friedens-Union, den „Krefelder Appell“, das zentrale Manifest der Friedensbewegung in den achtziger Jahren. Schließlich wurde Bastian Mitglied von Generale für den Frieden, einer von der Stasi initiierten und finanzierten Organisation, die wiederum von dem Friedensforscher Gerhard Kade geleitet wurde, einem von Stasi und KGB geführten Agenten. Insgesamt 15 Ex-Generale aus NATO-Staaten wurden Mitglied, ein Buch mit Interviews entstand, ein mehrteiliger Film der DEFA folgte. In Anwesenheit von Erich Honecker und Gert Bastian wurde dieser im Ostberliner Kosmos-Kino erstmals im September 1986 in der DDR gezeigt.

Diese hier grob skizzierten „Friedens“-Aktivitäten der DDR und der Sowjetunion wurden erst nach der „Wende“ bekannt, obwohl es schon zuvor Vermutungen gab, dass östliche Einflussnahme vorlag, zu offensichtlich war der agitatorische „antifaschistische Schutzwall“ vor den Waffen und Armeen des Warschauer Pakts. Aber war Bastian selbst Agent? Nur eines ist sicher: Bastian war wie die anderen Generale für den Frieden – ob gewollt oder ungewollt – ein wichtiger Teil der psychologischen Kriegsführung der Sowjetunion, sprich: der Beeinflussung der Friedensbewegung und der Öffentlichkeit in der Bundesrepublik und in anderen europäischen Ländern. (Zur Erinnerung: Die Mitglieder der Friedensbewegung in der DDR wurden bespitzelt, drangsaliert und teilweise eingesperrt.)

Aber die Geschichte ist ja noch nicht zu Ende. Im September 1992 vereinbarten die grünen Abgeordneten der Deutschen Bundestags – darunter Gert Bastian – eine beschleunigte Einsichtnahme in die Stasi-Akten der Gauck-Behörde. Bastian war nicht glücklich darüber, er wollte lieber „das ganze Zeug“ verbrennen. Drei Wochen später, kurz vor der Einsichtnahme, erschoss er seine Lebensgefährtin Petra Kelly im Schlaf und richtete sich danach selbst. Auch hier bleibt das Motiv letztlich im Dunklen.

AUF MÜNCHHAUSENS KUGEL

Und noch einer: Seit einem Jahr äußert sich regelmäßig, wenn auch mit geringerer Präsenz in den Medien, der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Generalmajor a.D. Harald Kujat, zum russischen Krieg gegen die Ukraine. Und da auf Münchhausens Kanonenkugel noch Platz zu sein scheint, behauptet Kujat gerne immer Folgendes: Die Ukraine und die USA seien Schuld am Krieg, Angela Merkel habe Recht gebrochen, Russland wolle verhandeln, Russland könne man vollauf vertrauen, und es sei sinnlos, Waffen an die Ukrainer zu liefern, weil sie gar nicht damit umgehen könnten. Man könnte dem entgegnen, dass Russland 2021/22 über 100.000 Soldaten an der Grenze zur Ukraine aufmarschieren ließ und damit am 24. Februar 2022 in das Land einfiel; man nennt das eine Invasion. Zu behaupten, die Ukraine hätte schuld am Krieg, liegt somit auf dem gleichen Verschwörungs- und Verdrehungslevel wie die Behauptung von Nazi-Deutschland, Polen habe den 2. Weltkrieg verursacht. Des Weiteren hat Russland den Minsker Vertrag nach nur drei Tagen gebrochen, nicht Angela Merkel. Warum sollte man also Russland trauen? Außerdem hat Russland jüngst zum soundsovielten Male kundgetan, dass es nicht verhandeln wolle. Und man kann über die Ukrainer sagen, was man will: Auch wenn deutsche Generale sonderbarerweise das Gegenteil behaupten – die ukrainischen Soldaten lernen sehr schnell am neuen Kriegsgerät. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass sie um ihr Leben und für die Freiheit ihres Landes kämpfen müssen.  

Ebenso interessant wie diese schon notorisch gewordene Rosstäuscherei ist die Tatsache, dass Harald Kujat seit der Gründung der Denkfabrik „Dialog der Zivilisationen“ im Aufsichtsrat der Institution sitzt. Sie kennen diese Denkfabrik nicht? Nun, gegründet wurde sie von dem Putin-Vertrauten Wladimir Jakunin, finanziert wird sie von unbekannten russischen „Mäzenen“, und was sie eigentlich macht, bleibt unklar und somit, wie Kujats Rolle, Gegenstand vernunftgeleiteter Phantasie.

DER SCHMITT-ADEPT

Kommen wir zurück zu Erich Vad: Auffallend ist, dass auch er seit Beginn der russischen Invasion nicht müde wird, vor Waffenlieferungen an die Ukraine zu warnen. Die Begründungen: Entweder würde das zu einem dritten Weltkrieg führen, oder – jetzt dürfen Sie mal raten! – es sei eh sinnlos, da komplexe Waffensysteme wie der Kampfpanzer Leopard nur nach jahrelanger Ausbildung bedient werden könnten. Er investiert auch einige Energie darin, Putin lautere Absichten zuzubilligen, selbst wenn deutlich wird, dass zivile Ziele in der Ukraine mit Absicht beschossen und zerstört werden.

Vad ist schon vor dem Krieg durch mehr oder weniger krakeelende Forderungen aufgefallen: So forderte er zur Bekämpfung der Corona-Pandemie den Einsatz der Bundeswehr im Inneren; der damaligen Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen warf er, wie auch der gesamten militärischen Spitze, Führungsversagen vor und plädierte für eine Wiedereinführung der Wehrpflicht.

Besonders hat es ihm Carl Schmitt angetan, unbenommen der herausragendste Staats- und Völkerrechtler des 20. Jahrhunderts, aber eben auch ein Kronjurist und Vordenker des Dritten Reiches. Vad hat sogar ein Buch über Strategie und Sicherheitspolitik – Perspektiven im Werk von Carl Schmitt verfasst. Das ist an sich noch nichts Besonderes. Schmitt fasziniert schon seit hundert Jahren Freund und Feind mit seiner kalten Rationalität, den schwertscharfen Sätzen und der gelegentlich berauschenden wie betäubenden Begrifflichkeit. Man konnte das zum Beispiel auch an dem Politikwissenschaftler und Ideengeschichtler Herfried Münkler sehen, der in den ersten Monaten des Kriegs noch Verständnis für geopolitische Großraumordnungen, Reichsideen und Einflusssphären artikulierte und erst nach einer Denkpause im Frühjahr von dieser bedauerlichen Art Parteinahme für Putins Recht, Land und Menschen zerstörender Machtpolitik entschieden Abstand nahm. Erich Vad hingegen ist ein echter Schmitt-Adept geblieben. Denn er findet bei ihm nicht nur die großmachtsüchtigen Rechtsbegriffe, sondern auch die Illiberalität, die dubiose Sympathie für Autokraten und Diktatoren. Schmitt propagierte ein politisches Denken, das nicht von völkerrechtlichen Normen, sondern vom innenpolitischen Ausnahmezustand und der selbstverständlichen Option zwischenstaatlicher Gewalt- bzw. Machtausübung ausging. Dieses Denken beschrieb Vad einmal in einem Beitrag für das Magazin Sezession. Herausgegeben wird die Zeitschrift vom Institut für Staatspolitik, dem sehr rechten Thinktank mit Sitz auf dem Rittergut Schnellroda. Schmitts Gedankenwelt, schreibt Vad,  „steht im Gegensatz zur idealistischen Utopie einer weltweiten Entfaltung der Menschenrechte, eines friedlichen Ausgleichs der Kulturen und Zivilisationen sowie freizügiger, offener und multikultureller Gesellschaften“. Und Vad weiter: „Anders als viele hoffen, sind gerade diese Gesellschaftskonzepte potentielle Konfliktherde. Eine Gefahr, der man nicht durch moralische Appelle begegnen kann, sondern nur durch Gefahrensinn, politischen und militärischen Realismus und durch rationale Antworten auf die konkreten Herausforderungen der Lage.“ Nichts gegen Gefahrensinn und Realismus in der Politik – im Gegenteil. Aber im schmittgetränkten Realismus von Vad fehlt der Sinn für etwas, das jeden Realismus unterfüttern sollte: nämlich Ideale wie Freiheit, Souveränität, Selbstbestimmung, Pluralismus. Bei Vad ist ein universalistisches Konzept wie das der Menschenrechte nur ein Teilzeitprojekt, das Autokratien, wenn es ihnen nach größerer Macht gelüstet, außer Kraft setzen dürfen.

Man kennt das: Solche „rationalen Antworten auf die konkreten Herausforderungen der Lage“ glauben Illiberale wie Vad nur bei scheinbar starken, von nicht allzu vielen Rücksichten und Kompromissen tangierten Regierungen für möglich zu halten. (Das klingt wie ein Echo aus der „Konservativen Revolution“ der zwanziger Jahre, für die der bürgerliche Parlamentarismus nur Erstarrung, Nihilismus und Dekadenz bedeutete.) Vad dürfte Putins Regime, dem an einem „friedlichen Ausgleich der Kulturen und Zivilisationen“ sowie bürgerlichen Idealen nicht gelegen ist, dazu rechnen. Aber auch hier irrt sich Vad. Er übersieht den unter Putin wieder entfesselten räuberischen Führer-Charakter Russlands, der nur Unterwerfung kennt und diese bei seinen „geliebten“ abtrünnigen Nachbarn reihenweise exekutieren will. Das eigene Volk hat Putin ja schon unterworfen. Ebenso seine Sympathisanten und falschen Ehrenmänner in anderen Staaten. Diese glauben sich irrtümlicherweise aber noch unabhängig und stark in ihrem feuchten Traum.

Vads Agieren hat nicht nur einen propagandistischen Zweck, der die westeuropäische Sicherheit relativiert, sondern auch einen innenpolitischen: Es ist unübersehbar, dass Sahra Wagenknecht ihn als Lockvogel für eine sozial-nationalistische Bewegung braucht, als Posterboy für die antiwestlichen Demokratieverächter in Deutschland mit einer Schwäche für ein mächtiges, autokratisches Russland, das sich mit einem chauvinistischen, antiamerikanischen Deutschland verbündet und „GERUSSIA“-Flaggen schwenkt.

Für einen Frieden brauche es Russland, sagte Vad am 25. Februar auf der Bühne. Er traf auf Resonanz: Die Demonstranten riefen „Drushba“ (russisch für „Freundschaft“).