Die Grünen wollen eine „offene und faire Debatte“ um Gentechnik in der Landwirtschaft, melden die Medien. Das klingt wie eine Revolution. Eine Portion Skepsis ist angebracht.

Die neue Parteispitze der Grünen – Annalena Baerbock und Robert Habeck – hat ein Grundsatzpapier ausarbeiten lassen, um eine „vierte Phase“ der Parteientwicklung einzuleiten (Phase I bis III waren „Protest“, „Projekt“, und „Spagat“). Ein Name für Phase IV ist noch nicht gefunden, aber das Manifest klingt, als solle er „der große Sprung“ lauten.

Über das Papier schreibt beispielsweise „Spiegel Online“: „Die Vorsitzenden wollen ihre Position zum Einsatz der Gentechnik in der Landwirtschaft hinterfragen. Man müsse sich überlegen, ob neue Technologien nicht auch helfen könnten, die Versorgung mit Nahrungsmitteln gerade dort zu garantieren, wo Klimawandel für immer weniger Regen sorge. Man wolle auch über den Einsatz von Gentechnik zur Bekämpfung von Krankheiten eine ‚offene und faire‘ Debatte führen.“

Das klingt zunächst einmal wie eine Revolution, denn der Begriff „Gentechnik“ rangiert bei Grünen gleichauf mit dem Schreckenswort „Atomkraft“. In grünen Kreisen Gentechnik zu propagieren, ruft heutzutage den gleichen Skandal hervor wie eine Tante, die sich in den 60er Jahren an einer Sonntagskaffeetafel in Anwesenheit von Bürgermeister und Pastor offen zur Prostitution bekennt. Zu diesem Thema „Offenheit“ zu fordern, hat Erdrutschqualität.

Skepsis ist angebracht

Oder doch nicht? Im Papier, aus dem auch „Focus“ leider nur selektiv zitiert, wird der „Debatte“, die da kommen soll, bereits im nächsten Satz eine enge Grenze gesetzt. Dort steht: „Das hieße jedoch, die in marktschädlichen Oligopolen organisierten Konzerne so zu regulieren, dass sie in neuer Form am Ende der Allgemeinheit, also zum Beispiel auch den Kleinbauern des Südens dienen.“ Im Klartext: Erst wenn BASF, Bayer, Syngenta und andere zerschlagen sind, kann man daran gehen, über die mögliche Anwendung grüner Gentechnik zu reden. Da die grüne Parteispitze nicht zu wissen scheint, dass es für derartige „regulatorische“ Eingriffe in die Struktur von Konzernen, womöglich noch ausländischen, in der Marktwirtschaft keine rechtliche Handhabe gibt (gleiches gilt für die von Habeck kürzlich geforderte „Zerschlagung von Facebook“), bedeutet das dann wohl ein Verschieben der Debatte auf den St. Nimmerleinstag. Realpolitik klingt anders.

Die „Kleinbauern des Südens“ haben glücklicherweise Besseres zu tun, als darauf zu warten, dass die „Großintellektuellen des Nordens“ den Kapitalismus zerschlagen und ihre Grundsatzdebatten geführt haben. Gerade melden nigerianische Forscher, dass sie in Zusammenarbeit mit lokalen Farmern ganz und gar ohne Beteiligung von „Oligopolen“ oder NGO-Betreuern u.a. eine Augenbohnensorte entwickelt haben, die dank eingebauter Resistenzgene nicht mehr vom Maruca-Zünsler befallen wird. Jetzt kommt es nur noch darauf an, dass grüne und linke Aktivisten des Nordens davon absehen, Nigeria unter Druck zu setzen und dem Land durch die üblichen Angstkampagnen Steine in den Weg zu legen.

Zudem:  Warum ist von allen Technologien, die die moderne Biologie kennt und anwendet, ausgerechnet die „Gentechnik“ so ein Fetisch?  In dem Papier steht tatsächlich, sie könne „theoretisch sogar den Tod überflüssig machen“? Kein ernsthafter Wissenschaftler behauptet solch einen Unsinn, der geradewegs aus den 80er Jahren zu stammen scheint, als die gerade neu entwickelte Gentechnik von Befürwortern wie Gegnern völlig überhöht wurde. An dieser Epoche scheint das Papier auch sonst in seiner gedanklichen und sprachlichen Unschärfe anzuknüpfen. So steht dort z. B., Gentechnik könne „Krankheiten ausrotten oder heilen“ (kann nach fast vier Jahrzehnten Gentechnik jeder Arzt und Apotheker bestätigen) und Grüne sprächen sich „gegen Genveränderungen bei Lebensmitteln aus“ – was immer das genau bedeuten soll.

Gentechnik ist eines von vielen Werkzeugen der Biologie, die dazu beitragen können, Lösungen für medizinische Probleme oder für Anpassungen von Nutzpflanzen an Schädlingsdruck, klimatische Veränderungen usw. zu finden und so Krankheit, Hunger, Armut und Elend zurückzudrängen – nicht mehr und nicht weniger. Andere Werkzeuge dafür sind Hochdurchsatzscreeningmethoden, das Internet, künstliche Intelligenz, Robotik und die Kryoelektronenmikroskopie, um nur einige zu nennen; ganz zu schweigen von Methoden wie Genome Editing, Gentherapie und Immuntherapien oder Züchtungsmethoden wie Mutationszucht, Hybridisierung, CRISPR-Cas, CMS, cis-Genetik, Klonen und Smart Breeding. Jede dieser Zuchtmethoden verändert Pflanzengene, mal mehr, mal weniger. Warum soll ausgerechnet über eine dieser Techniken ein „Dialog“ geführt werden, zumal diese eine weltweit als sicher und effizient erkannt ist und akzeptiert und angewandt wird? Warum ist diese Technik bei Eingriffen ins menschliche Erbgut akzeptiert, nicht aber bei der Anwendung auf pflanzliche Genome? Wo bleibt der Ruf, die „marktschädlichen Oligopole“ bei Landmaschinen, Computerchips und im Buchhandel zu regulieren?

Das Papier gibt darauf keine Antwort, aber wer die grünen Manifeste zur Gentechnik der letzten Jahrzehnten gelesen hat, kennt sie: Wenn es um „Lebensfragen“ geht, heißt es gern, der Mensch soll nicht Gott spielen. Aber was heißt das überhaupt? Wo fängt „Gott spielen“ an? Bei Kleidung und Autos? Wenn Gott gewollt hätte, dass wir uns mit 100 km/h durch das norddeutsche Schmuddelwetter bewegen, hätte er uns Gazellenbeine und ein regendichtes Fell gegeben!

Das Papier trieft auf jeder Seite von moralischer Überhöhung und der Überzeugung, die „Welt in Unordnung“ vor einem unmittelbar bevorstehenden Untergang retten zu müssen und zu können. Es geht – wie immer bei den Grünen – ums große Ganze, um die ganzheitliche Betrachtung der Welt, an der alles gemessen werden muss: Wir wenden uns gegen Frachtschiffe mit geringerem Schadstoffausstoß, weil erstens auch die untergehen können, weil sie zweitens von Oligopolen betrieben werden, weil drittens auch Segelschiffe von A nach B kommen und man viertens in einer gerechten Welt keinen Welthandel braucht.

Vorschläge für eine Debatte

Ein paar Zeilen weiter stolpert man über die Formulierung: „Damit unsere Gesellschaft über diese Fragen einen Konsens herstellen kann, müssen wir vor allem Wege finden, wie wir eine offene und faire Debatte führen können.“ Noch ein Tabubruch: Die Grünen geben erstmals zu, dass sie nicht wissen, wie man eine „offene und faire Debatte“ führt!

Die allerdings ist nicht so schwer zu erlernen.

Erstens: Die grüne Parteispitze müsste sich anderen Meinungen überhaupt erst einmal aussetzen und zuhören, statt diese Positionen systematisch auszugrenzen und als „unmoralisch“ zu diskreditieren. Echtes, aktives Zuhören heißt, den anderen ausreden zu lassen und ihn verstehen zu wollen. Offene und faire Debatte würde auch bedeuten, es zuzulassen, dass eigene Positionen in Frage gestellt werden und dass auch Grüne argumentieren müssen.

Ob die Parteispitze nicht weiß, dass es in Deutschland Dutzende von Fachleuten mit Kenntnissen in der Grünen Gentechnik gibt, die von grünen Gentechnikexperten und -sprechern in Partei und Fraktion in den sozialen Medien gesperrt sind? Und die sich deswegen zum Teil in eigenen Facebookgruppen organisiert haben? Die „Sünde“ dieser Menschen: Sie haben grüne Positionen mit Argumenten zu kritisieren oder zu widerlegen versucht. Mit dem Aussperren anderer Meinungen aber kann kein Dialog gelingen, geschweige denn eine „offene und faire Debatte“.

Damit sind wir bei Stufe zwei, die schon schwerer zu bewältigen ist. Es gilt, den Gedanken zuzulassen, dass nicht jeder, der sich für grüne Gentechnik einsetzt, automatisch ein schlechter Mensch und/oder ein gekaufter Agent von Big Ag ist.

Drittens wäre es für eine offene und faire Debatte förderlich, wenn die Partei es unterlassen würde, zu ihren Veranstaltungen ominöse „Experten“ wie z. B. Vandana Shiva einzuladen, die nachweislich mit falschen Zahlen und falschen Tatsachenbehauptungen agieren.

Viertens wäre es hilfreich, für die geplante Debatte Wadenbeißer der eigenen Partei wie Renate Künast oder Harald Ebner ruhig zu stellen, die auf ominösen Tribunalen mit Impfgegnern und Esoterikern paktieren, um Gentechnik zu dämonisieren, oder die dem BfR unterstellen, von Monsanto „gekauft“ zu sein und die konventionelle Landwirte als „Giftmischer“ und „Brunnenvergifter“ denunzieren.

Fünftens könnte es ein Anfang sein, sich für den Goldenen Reis einzusetzen, denn da sind keine „Oligopole“, nicht mal mittelständische Unternehmen im Spiel. Der Goldene Reis ist ein Paradebeispiel für den Einsatz grüner Gentechnik, der den „Kleinbauern des Südens“ und ihren Kindern nutzt, ohne dass ein kapitalistisches Unternehmen daran verdient. Was die grüne Hypermoral hier angerichtet hat, hat der indische Pflanzenforscher Devang Mehta kürzlich hier beschrieben.

Man darf gespannt sein, wie ernst das Dialogangebot der Grünen gemeint ist. Es ist anzunehmen, dass kein Befürworter moderner Pflanzenzucht eine Einladung ausschlägt. Es liegt also ganz in grüner Hand, ob es dazu kommt oder nicht und ob der Dialog tatsächlich offen und fair verläuft.

Falls es nicht passiert, dürfte es der Welt außerhalb Deutschlands und Europas herzlich egal sein. Dort entscheiden sich von Monat zu Monat immer mehr Bauern für Saatgut, das mit Methoden der modernen Biologie verbessert worden ist: Die neuen Pflanzen brauchen weniger Ressourcen, sind von Natur aus resistent gegen Krankheiten und Schädlinge, sind besser an klimatische Veränderungen angepasst und bescheren den Landwirten ein stetiges und höheres Einkommen. Im Süden des Planeten gibt es nicht nur in Nigeria lokale Forschungseinrichtungen, die die umliegenden Regionen mit besseren lokalen Sorten versorgen. Über kurz oder lang werden dort auch kleine Firmen entstehen, um einen Markt zu versorgen, der für Großkonzerne derzeit uninteressant ist. Neue Marktteilnehmer entstehen und dann werden die Karten irgendwann neu gemischt, wie es in der Marktwirtschaft so üblich ist. Die Grünen mögen sich für den Nabel der Welt halten, aber sie sind es längst nicht mehr. Phase IV könnte nach Protest, Projekt und Spagat durchaus auch Pleite heißen.