„Im Westen nichts Neues“ hat bei der Oscar-Verleihung abgeräumt. Preiswürdig ist aber nur die Machart, nicht die Botschaft des Films.

Um es gleich vorweg zu sagen: Ich gönne „Im Westen nichts Neues“ jeden einzelnen Oscar, den er gewonnen hat – ein guter Freund von mir saß auch im Dolby-Theatre und gehörte zu dem Team, das den Oscar für das beste Szenenbild gewonnen hat. Glückwunsch! Dennoch habe ich ein Problem mit dem Stoff und das hat weniger mit dem Film zu tun, sondern mit der Botschaft, die damit verknüpft ist. 

Als das Buch 1929 erschien und zu einem Klassiker der Weltliteratur wurde, hatte es eine zweifellos wichtige Funktion. Der Roman hat den Krieg entzaubert, entheroisiert, den Deutschen ihre „Hurra“-Stimmung ausgetrieben. Zehn Jahre später, als der Zweite Weltkrieg ausbrach, war die Situation schon eine andere. Für eine ARD-Dokumentation über die Mobilmachung der deutschen Heimatfront 1939 haben mein Co-Autor Wolfgang Brenner und ich etwa 20 Zeitzeugen interviewt. Alle haben übereinstimmend berichtet, dass von Kriegsbegeisterung in jenem September keine Spur war. „Die Menschen waren geschockt und schwiegen“, so der Eindruck. Die Deutschen hatten Remarque gelesen und ihre Lektion gelernt. Dennoch hat der Roman den Zweiten Weltkrieg nicht verhindert, was viel über die Begrenztheit von Kultur aussagt.

Heute ist die Stimmung wieder eine andere. Statt Hurrapatriotismus hat sich ein „Hurrapazifismus“ breit gemacht, wie es Wolf Biermann mal so schön formuliert hat. Selbst bekennende Nazis behaupten voll Inbrunst, dass sie gegen den Krieg seien – wie seinerzeit Goebbels, den wir selbstverständlich auch in unserer Doku hatten. Krieg ist scheiße! Das weiß jeder. Insofern kommt der Film dem Versuch gleich, möglichst viele offene Türen einzutreten oder – um im Bild zu bleiben – einzuschießen. Selbst wir, die wir schwere Waffen für die Ukraine fordern – und denen man ständig Kriegsgeilheit unterstellt – sind selbstverständlich für den Frieden. Nur haben wir eine andere, realistischere Vorstellung davon, wie man ihn erreicht. Man muss Putin zur Kapitulation zwingen, so wie es Churchill und Roosevelt mit Hitler getan haben. Wagenknecht & Co wollen keinen Frieden, sie wollen Ruhe – Friedhofsruhe. Sie interessieren sich nicht für die Opfer. Sie sind weitgehend empathiebefreit. Vergewaltigungen sind für Wagenknecht nur „Übergriffe“, keine Verbrechen, wie sie bei „hart aber fair“ zum Besten gab.

Im Film wird abweichend vom Roman der Eindruck erweckt, dass der Waffenstillstand auf ein Initiative des Zentrumspolitikers Matthias Erzberger, gespielt von Daniel Brühl, zurückging. Das stimmt zum Teil. Allerdings ist die Rolle geschönt und die Franzosen kommen dabei ziemlich schlecht weg. Erzberger war noch kurz davor ein Anhänger des Siegfriedens und spielte bei der sogenannten Judenzählung im kaiserlichen Heer eine fragwürdige Rolle. Man darf annehmen, dass viele die Botschaft so interpretieren: Lasst uns heute einen neuen Erzberger nach Moskau schicken, auch wenn das Regisseur Berger sicherlich nicht so gemeint hat (der Film war zu Kriegsbeginn längst abgedreht). Darauf kann man nur folgendes antworten: Der Westen hat diesen Krieg nicht begonnen und an Friedensinitiativen hat es nicht gemangelt. Wieviele Erzbergers sollen noch zu Putin pilgern, um ihm diesen Krieg auszureden?

So betrachtet, gehört der Film nach Russland – dann macht der Titel auch geographisch wieder Sinn: Im Westen nichts Neues! Doch das wird in absehbarer Zeit nicht passieren – außer als propagandistischer Hinweis darauf, dass die „notwendige Entmilitarisierung und Entnazifizierung“ ein deutsches Thema und kein russisches sei, wo der Krieg immer noch als „heiliges“ Mittel zur Erschaffung eines großrussischen Reiches gesehen wird. Hier im Westen jedoch kommt einem die Botschaft eher wie ein ödes Selbstvergewisserungs-Ritual vor: Hat sich Deutschland gewandelt? Leiden wir noch unter Heroisierung und Kriegsverherrlichung? Natürlich nicht! Was für eine Frage? Man kann diese Selbstkasteiung jeden Abend in irgendeiner Talkshow verfolgen. Ein überflüssiges Ritual, denn wer den Ukrainer mit seiner Zigarette gesehen hat, wie er nach seinem „Slawa Ukraini“ niedergemäht wurde, empfindet keine Faszination, nur Abscheu. Trotzdem braucht es Helden wie ihn, um den Krieg zu beenden.

Was also macht den Film preiswürdig? Seine Machart ja, seine Botschaft nicht! Er ist eher ein Stück effektvoll in Szene gesetztes Museum ohne zeitkritischen Wert und fügt sich nahtlos in die Oscar-Philosophie ein, wo man immer filmische Gewissensberuhigung als preiswürdig erachtet hat. In diesem speziellen Fall: Absolution für die gepeinigte deutsche Seele durch die Academy of Motion Picture Arts and Sciences. Das tut gut. Früher haben wir die brutalsten Kriege vom Zaun gebrochen. Heute machen wir wenigstens noch die brutalsten Filme darüber. Insofern: Im Westen nichts Neues!