Wie kommt es, dass sich die Deutschen in Umfragen begeistert von der Energiewende zeigen, aber deren konkrete Projekte, wie Windparks und Stromtrassen, vor Ort so erbittert bekämpft werden?

Zeit, einen Energiewende-Kongress einzuberufen und eine Forsa-Umfrage in Auftrag zu geben, dachte sich die „Welt“ im Verbund mit dem Stromkonzern EnBW. Allerdings werden in den Fragen schon die Antworten vorweggenommen, sodass man ein optimistisches Ergebnis präsentieren kann: Die Deutschen seien nach wie vor überzeugte Energiewendehälse – und dafür auch zu allerlei Verzicht bereit. Pünktlich zum Martinstag berichtet die „Welt“, wie die Deutschen ihren Mantel zu teilen bereit sind.

Gut gefragt ist halb gewonnen

Allerdings sind die Fragen, auf welche über tausend „repräsentative“ Bürger da antworten durften, größtenteils Suggestivfragen, auf die der fehlbare Mensch, weil er vor sich und der Gesellschaft nun mal besser dastehen möchte als er im Wirklichkeit ist, den Erwartungen gemäß antwortet. Diese werden mittels Medien, Schule, Kirche und Politik zuverlässig an den Einzelbürger durchgeschaltet: Wir müssen „das Klima“ und „die Umwelt“ retten. Die Energiewende ist eine gute Sache. Und wir müssen deswegen anders leben.

Und so kommen Aussagen zustande wie jene, dass man wegen „Umwelt“ und „Klima“ auf Plastiktüten verzichte (aber daher an der Supermarktkasse immer neue, in der Fertigung energieaufwendigere Stoffbeutel kauft, weil die persönliche Stoffbeutel-Sammlung leider zu Hause sedimentiert und nie greifbar ist, wenn man sie braucht). Oder dass man inzwischen doch häufiger den einen oder anderen Weg mit dem Rad fahre statt mit dem Auto (aber nur, wenn es nicht eilt, wenn es nicht regnet, wenn keine Kleinkinder oder schweres Gepäck – etwa ein Einkauf in Stofftaschen – zu befördern sind, und wenn der Öko-Hofladen meines Vertrauens zwei Straßen weiter liegt, was in der deutsch-grünen Suburbia eher selten der Fall ist). Auch fliegen die Repräsentativen laut Selbstauskunft angeblich weniger; man muss nur auf die Überlastungs-Zustände an deutschen Flughäfen schauen, um dieser Aussage mit einigen Zweifeln zu begegnen.

Umgekehrt geben die Leute freiwillig eben nur ungern zu, nichts „für die Umwelt“ tun zu wollen oder getan zu haben – obwohl es gute Gründe gibt, der von oben auferlegten Definition dessen, was gut „für die Umwelt“ sei, gesunde Skepsis entgegenzubringen. Doch offen zu sagen, man mache da lieber nicht mit, das ist so exotisch, wie in einer Befragung zuzugeben, regelmäßig Internet-Pornos zu schauen oder kleine Kinder zu hauen.

Städter lieben Windmühlen

Deswegen besteht eben kein Widerspruch zwischen kollektiver deklamatorischer Verzichtsbereitschaft und dem Befund, dass konkrete Vorhaben der Energiewende-Industrie auf massiven Widerstand stoßen. Denn erst, wer sich tatsächlich betroffen fühlt, sagt auch ehrlich, was er von der erneuerbaren Energiewirtschaft vor der eigenen Haustür hält.

Da hierzulande die Mehrheit der Bevölkerung in Städten lebt, entscheiden auch urbane Mehrheiten über die Lasten, welche das Land zu tragen hat: „Acht von zehn Befragten äußern gegenüber dem Neubau einer Windkraftanlage ‚weniger große’ oder ‚gar keine‘ Bedenken: Schließlich bildet die repräsentative Umfrage ab, dass 75 Prozent der Deutschen in Städten leben und damit Windparks kaum direkt erleben“, kommentiert die „Welt“ dieses Gratis-Umweltbewusstsein.

Das Erstaunliche an dieser Umfrage ist ihr Kleingedrucktes. Zum Beispiel die Tatsache, dass in einem Land, in dem die Kernenergienutzung systematisch als gefährlich und menschenfeindlich diffamiert wird, immerhin 12 Prozent der Befragten trotzdem dafür sind – offenbar Mutige, die es wagen, gegen die Lehrmeinung und öffentliche Erwartung zu votieren. Nicht auszudenken, was passieren würde, hätten wir hierzulande eine sachliche und unaufgeregte Berichterstattung über die Vor- und Nachteile der Kernenergie – oder gar über die Rolle, die sie in einer CO2-armen Energiewirtschaft spielen könnte.

Was die Leute wirklich meinen

Statt aus der Forsa-Umfrage die große Energiewende-Affirmation herauszulesen, könnte man ihre Ergebnisse also auch kritisch interpretieren. Demnach sagen die Bürger nämlich eigentlich etwas anderes: Wasch mich, aber mach mich nicht nass; Energiewende-Projekte immer gerne – außer vor meiner Haustür; ich bin uneingeschränkt dafür, aber Gottseidank stellt sich diese Frage erst gar nicht für mich; Wohlfühl-Verzicht „fürs Klima“ ist prima, aber bitte nicht so ganz genau nachhaken.

Eine verwertbare Aussage über die Energiewende-Bereitschaft der Deutschen ist folglich mit Umfragen, die keine kritischen Fragen stellen, nicht zu ermitteln. Denn die Autoren der Forsa-Studie erlagen bereits beim Fragen-Formulieren dem Irrtum, dass Plastiktütensparen, sporadischer Autoverzicht in Städten mit genug Alternativen, oder Energiespar-Gerätekauf die Energiewende voranbrächten. Eine passende Antwort auf die nach wie vor ungelösten Großprobleme der Energiewende sind jedoch diese Praktiken allesamt nicht.

Energiewende-Probleme im toten Winkel

Die tatsächlichen Probleme der Energiewende – die im wesentlichen als Stromwende exekutiert wird – werden nämlich in der Befragung gar nicht berührt. Das sind erstens ihre exorbitanten Kosten, zweitens die ökologischen Kollateralschäden insbesondere der Windkraft und der Biomasse-Verstromung, und drittens das stetig wachsende Risiko für die Stabilität elektrischer Netze.

Kernenergie und Kohle, die einst sicheren Banken unserer Stromwirtschaft, werden per Verbot aus dem Netz genommen. Doch Windkraft und Solarstrom produzieren keine gesicherte Leistung, so viel man auch nach neuestem Regierungsbeschluss davon installiert. Landläufig gesprochen: in Flautephasen ist es irrelevant, ob drei Windräder null Megawatt produzieren oder dreitausend. Doch Politik und Bürger bejubeln den Zuwachs von drei auf dreitausend.

Daraus folgt: entweder bauen wir zum Ausgleich Stromspeicher im Industriemaßstab – das wird extrem teuer, und ist genau deswegen weit und breit nicht in Sicht. Oder die Lösung heißt Nachfragesteuerung – ehrlicher  ausgedrückt: partielle geplante Netzabschaltungen, wenn es eng wird.  Diese Lastabwürfe kontrolliert zu bewerkstelligen, ist eine der Funktionen der eifrig propagierten Smartgrids, sogenannter „intelligenter Stromnetze“, über die allerdings weniger gern gesprochen wird.

Die dritte Lösung heißt: ein fossiler Schatten-Kraftwerkspark sorgt für das Backup der unzuverlässigen Erneuerbaren. Die Erneuerbaren-Lobbyisten sprechen an dieser Stelle gerne von modernen, flexiblen Gasturbinen-Kraftwerken, ohne aber die  Nachteile dieser Idee zu diskutieren: zum Beispiel die Tatsache, dass sich für Gaskraftwerke wegen ihrer hohen Betriebskosten im Standby-Betrieb kein Investor findet; dass der benötigte Kraftwerkspark noch gar nicht gebaut ist und auch nicht verfügbar sein wird, wenn Deutschland das letzte Kohlekraftwerk schließt; dass es sich ebenfalls um eine fossile Lösung handelt; und dass der Brennstoff für die rettenden Kraftwerke größtenteils aus einem Land im Osten Europas stammen wird, das bekannt dafür ist, in Nachbarländern einzumarschieren, Cyber-Hacks auf sensible Infrastrukturen durchzuführen und seine Kunden über den Gaspreis politisch gefügig zu machen.

Der ultimative Energiewende-Fitness-Test

Um die Bürger auf den Energiewende-Ernstfall vorzubereiten und ihre Bereitschaft zur Unterstützung dieses Vorhabens zu testen, müsste man also  in einer Umfrage folgende Fragen stellen:

„Sind Sie bereit, um des Klimaschutzes willen Strom- und damit zusammenhängend auch Wassersperren in Kauf zu nehmen? Haben Sie Vorräte an Wasser und Lebensmitteln zu Hause, die Ihren Bedarf, inklusive Hygiene, über mehrere Tage hinweg decken? Besitzen Sie ein Notstromaggregat? Würden Sie auf Ihr Auto auch dann verzichten, wenn Sie es gerade dringend brauchen, der Zielort weiter weg liegt als 10 Kilometer, und der Bus nur dreimal am Tag fährt? Wären Sie bereit, aufgrund EEG-Umlage und einer zukünftigen Speicher-Umlage einen Euro für die Kilowattstunde Strom zu bezahlen? Wären Sie bereit, sich persönlich mit einem Energiewende-Soli an der Entschädigung und Umsiedlung von lärmgestressten Windkraftanlagen-Anrainern zu beteiligen? Sind Sie bereit, neben einem Windpark mit 25 Anlagen von der Höhe des Kölner Doms Urlaub zu machen? Möchten Sie Putin und seinem Geheimdienst Einfluss auf unsere politischen Entscheidungen zubilligen?“

Erst wer diese Fragen mit einem herzhaften „Ja“ beantwortet, ist wirklich fit für die Energiewende. Der Rest – und ich vermute, dass dies die überwältigende Mehrheit ist – lebt nach wie vor, gemeinsam mit unseren Entscheidern und unserer Umfrage-Industrie, im Klima-LaLa-Land.