Im Interview warnt Nahost-Experte Thomas von der Osten-Sacken vor den Folgen, die ein US-Abzug aus Syrien für die Region hätte.

Salonkolumnisten: Wie wird sich der Rückzug der USA auf die Lage im Nahen-Osten auswirken?

Thomas von der Osten-Sacken: Erst einmal ist das ja eine Ankündigung von Donald Trump gewesen. Sie wurde bereits relativiert. Statt von einem Abzug innerhalb von 30 Tagen ist nun von einem Abzug innerhalb der kommend en Monate die Rede. Trump hat, wie sein Vorgänger Barack Obama, keine Strategie für Syrien und seine Politik richtet deshalb viel Schaden in der Region an.

Salonkolumnisten: Das Kalifat des Islamischen Staates (IS) existiert nicht mehr. Hat Trump nicht Recht, wenn er die Mission der USA als abgeschlossen ansieht?

Von der Osten-Sacken: Das Kalifat ist, bis auf eine unzugängliche Region an der Grenze zwischen dem Irak und Syrien, Geschichte.  Eine sehr blutige allerdings: Städte wie Mosul oder Raqqa liegen in Trümmern, Millionen Menschen leben weiter als Binnenvertriebene im Irak oder Syrien, an eine Normalisierung kann nicht im entferntesten gedacht werden. Und das heißt ja auch nicht, dass der IS geschlagen ist. Er hat sich in eine Guerilla-Organisation transformiert, so wie es Al Qaida früher war und verübt in der Region noch zahlreiche Anschläge. Und wenn sich die Gelegenheit bietet, wird er sich erneut Territorium erobern und sein Kalifat neu errichten. Und ich fürchte ein Abzug der Amerikaner wird so ein Szenario befördern

Salonkolumnisten: Wie haben die Menschen in Nordsyrien auf Trumps Ankündigung reagiert?

Von der Osten-Sacken: Sie haben Angst. Bislang war Nordsyrien, das unter der Herrschaft der PKK-Schwesterorganisation PYD steht, eine der Regionen Syriens, in der man vergleichsweise normal leben konnte. Nordsyrien ist zwar nicht das sozialistische Paradies, für das es viele deutsche Linke halten, vielmehr gibt es auch dort Repression gegen Opposition und mit der Demokratie ist es auch so eine Sache, aber es lebt sich dort immer noch besser als in den anderen Teilen Syriens die unter der Herrschaft Assads oder islamistischer Gruppen wie Al-Kaida stehen. Gehen die Amerikaner, werden Assad, die Russen und Iraner oder aber die Türken kommen.

Salonkolumnisten: Assad ist der Sieger.

Von der Osten-Sacken:  Trump hat mit seiner Rückzugsankündigung eine Botschaft gesendet: Wer sich mit dem Westen verbündet, wird irgendwann fallen gelassen. Wer eine Partnerschaft mit Russland und dem Iran eingeht, kann sich darauf verlassen, dass sie auch in schweren Zeiten zu einem stehen. Der Westen kann viel davon reden wie wichtig Freiheit und Demokratie sind – wieder einmal ist den Menschen im Nahen Osten klar geworden, dass das nur warme Worte sind, die nichts bedeuten. Für seine Werte steht der Westen hier in der Region nicht ein. Er tat es nie, wie auch der Umgang mit den Kurden schon in den 70er-Jahren beweist: Damals ließen die USA die irakisch-kurdische KDP von einem Tag auf den anderen fallen.  In Westeuropa waren die USA dagegen nach dem zweiten Weltkrieg eine verlässliche Schutzmacht, die sich auch wirtschaftlich engagierte. Das war wichtig, damit sich nach dem Krieg stabile Demokratien entwickeln konnten. Im Nahen Osten aber auch in Afghanistan schafft der Westen mit seiner Politik vor allem Fluchtgründe. Assads Ziel ist ja, inzwischen hat es sich herumgesprochen, immer gewesen, möglichst viele sunnitische Araber aus Syrien zu vertreiben. Das wird auch langfristig Folgen haben.

Salonkolumnisten: Alles wie 2015?

Von der Osten-Sacken:  Nein, es ist aus europäischer Sicht schon anders.  Syrien ist heute ein großes Gefängnis, aus dem die Menschen kaum entkommen können und wenn, dann nicht mehr Richtung Europa. An der Grenze zur Türkei steht eine von der EU mitfinanzierte Mauer. Die Türkei lässt kaum noch Menschen ins Land, die Stimmung in der Türkei ist dabei, sich gegen die Millionen Flüchtlinge zu richten. Und wer es nach Europa schafft, bleibt oft an seinen Rändern hängen. Ich bin zurzeit auf der griechischen Insel Lesbos. Von meinem Fenster aus kann ich die verschneiten Berge am türkischen Ufer sehen. Hier auf der Insel gibt es das Flüchtlingslager Moria. 6000 Menschen leben hier in Zelten. Das klingt erst einmal nicht schlimm, aber es ist jetzt im Januar kalt. Es regnet und es schneit. Die Menschen leben im Schlamm und wenn hier keine privaten Hilfsorganisationen aktiv wären, gäbe es um das Lager herum nicht einmal ein paar Duschen mit Warmwasser. Die Zustände in Moria sind schlimmer als in Flüchtlingslagern, die ich in der Türkei oder dem Nordirak kenne. Das Geld der EU versickert in der griechischen Bürokratie und die EU kann oder will nichts dagegen machen, denn sie braucht Griechenland, damit die Menschen nicht nach Mitteleuropa weiterziehen. Syrer schaffen es übrigens kaum mehr hierhin. In diesem Winter sind es vor allem Menschen aus Afghanistan, die in Moira ankommen. Und dass sie fliehen ist auch eine Reaktion auf das Versagen des Westens.

Salonkolumnisten: Auch aus Afghanistan zieht sich der Westen zurück.

Von der Osten-Sacken:  Und er hat es nicht geschafft, dort Strukturen aufzubauen, mit denen eine lebenswerte und gesicherte Existenz möglich ist. Ganz im Gegenteil verschlechtert sich dort die Situation fortlaufend. Ich habe mit vielen Flüchtlingen gesprochen, oft direkt nach ihrer Ankunft. Egal ob sie aus Afghanistan, dem Irak oder Syrien kamen – die meisten wollten nicht fliehen. Ihnen war klar, dass das Leben in Bottrop oder Emden für sie nicht angenehm werden wird. Aber sie mussten fliehen, weil unter der Herrschaft von Assad, der Taliban oder dem IS ein auch nur halbwegs gesichertes Leben nicht möglich ist. Erst wenn es gelingt, den Nahen Osten und Afghanistan wirklich zu stabilisieren, das heißt zu demokratisieren, wenn es gelingt, dass die Menschen in diesen Staaten eine Perspektive haben, wird die Fluchtbewegung nachlassen. Wenn das geschehen ist, werden auch viele Flüchtlinge aus Zentraleuropa zurückkehren.

Salonkolumnisten: Ein solcher Zustand scheint allerdings weit entfernt.

Von der Osten-Sacken:  Leider ja. Der Westen tut nichts, um die Lage in diesen Ländern zu verbessern. Es setzt sich immer wieder das falsche Stabilitätsdogma durch: Lieber ein Diktator, der sein Land im Griff hat, als eine demokratische Entwicklung, die immer auch Risiken birgt. Dabei wollen die Menschen dort – wie wir auch – in einem Rechtsstaat leben; sie wollen Bürger eines Landes sein, dass sie respektiert. Bei der Flucht nach Europa geht es nicht um Hartz-IV, es ist keine Einwanderung in die Sozialsysteme. Es ist vor allem eine Flucht hin zu Papieren, die etwas wert sind, zu Pässen von Ländern, die ihre Bürger schützen und anerkennen. Die Menschen fliehen vor allem vor der Willkür und der Perspektivlosigkeit in ihren Herkunftsstaaten.

Thomas von der Osten-Sacken ist freier Publizist und Geschäftsführer der Hilfsorganisation Wadi e.V. , die seit Jahren mit zahlreichen Projekten im Nahen Osten aktiv ist.