Judith Sevinç Basad schämt sich nicht
Die Berliner Journalistin und Salonkolumnistin Judith Sevinç Basad zeigt in ihrem Buch „Schäm Dich“ nicht nur die Folgen von Cancel Culture, Queertheorie und Wokeness auf, sondern führt ganz nebenbei auch in deren Geschichte und philosophische Grundlagen ein.
Was lange nur im Umfeld einiger geisteswissenschaftlicher Studiengänge, Szenetreffs und Independent-Medien Bedeutung hatte, bestimmte in den vergangenen Monaten die öffentlichen Debatten der Republik. Neben Corona waren die Auswirkungen von Cancel Culture, Queertheorie und die Wokeness der „Social-Justice-Warriors“ das bestimmende Thema. Ein paar flapsige Bemerkungen über die Klima-Ikone Greta setzten den Comedian Dieter Nuhr unter Druck, Bücher, in denen Autoren den Großteil ihrer Leser als Rassisten beschimpfen finden reißenden Absatz.
Tausende junger, meist akademisch gebildeter, Menschen sind „woke“, erwacht, und ähneln in ihrem Eifer den Zeugen Jehovas, deren Magazin „Erwachet“ schon woke war, als man in Berkley noch mit einem Sombrero auf dem Kopf Karneval feierte, am Morgen noch dasselbe Geschlecht hatte wie am Abend zuvor und damit Eindruck schinden konnte, nach zehn Bieren Sonette von Shakespeare auswendig zu können. Das ist lange her. Das Tragen eines Sombreros gilt mittlerweile als kulturelle Aneignung, Shakespeare als alter, weißer, frauenfeindlicher Rassist und Geschlechter werden gelesen, haben aber mit Biologie nichts mehr zu tun und sind so frei zu wählen wie die verschiedenen Sorten veganer Sojashakes.
Wie konnte es zu all dem kommen? Was hat den Westen bloß so ruiniert und warum wünscht man sich bei all dem Wahnsinn, wohlhabende Upperclasskids würden sich wieder mehr für Cabriolets interessieren, anstatt allen mit einer Mischung aus Hass und Besserwisserei auf die Nerven gehen?
Antworten auf all diese Fragen liefert Judith Sevinç Basad in ihrem Buch „Schäm Dich“.
Sie zeigt auf, wie die Gedanken postmoderner Philosophen wie Michel Foucault und Jacques Derrida im Laufe weniger Jahrzehnte zu einer Ideologie geformt wurden, die keine Debatte mehr zulässt, keine Erkenntnisse anerkennt, den Rassismus neue Triumphe feiern lässt und Unterwerfung und Scham fordert. Und wie dieses Denken längst Teile unseres Alltags bestimmt, weil es von der Politik und vielen, vor allem öffentlich-rechtlichen, Medien übernommen wurde.
Basad beschreibt eine Ideologie, die mit der Behauptung Karriere gemacht hat, nicht nur alle Weißen sondern auch Aufklärung und der Westen seien „strukturell rassistisch“, Männlichkeit per se toxisch und Frauen immer unterdrückt. Sie zeigt auf, dass es den Aktivisten nicht um die Verbesserung der Lebensumstände von Migranten oder Frauen geht oder um mehr Toleranz gegenüber Transsexuellen, sondern um einen Kulturkampf: „Die Welt soll in »Gut« und »Böse«, in Täter und Opfer, in Privilegierte und Nicht-Privilegierte, in Weiße und Schwarze, Mann und Frau, Deutsche und Migranten, Heterosexuelle und Queers eingeteilt werden.“, schreibt sie.
Social-Justice-Warriors
Die Social-Justice-Warriors haben sich in eine Ideologie verstrickt, die nichts mit der Realität zu tun hat.“ Dem syrischen Flüchtling, der durch seinen Schulabschluss fällt, weil ihm die Deutschkenntnisse fehlen, helfe es nicht, wenn sich ein weißer Manager für seine Hautfarbe schämt. Eine junge Türkin, die sich ein Universitätsstudium nicht zutraut, werde nicht mutiger, weil eine weiße Deutsche sich gerade »ihrer Privilegien bewusst« wird und einer polnischen Einwanderin, die einem unterbezahlten Job nachgeht, weil ihre Ausbildung in Deutschland nicht anerkannt wird, helfe es nicht, wenn ein Rundfunkredakteur fordere, dass weiße Männer häufiger ihren Mund halten sollen. „Die jungen Studenten, Journalisten und Politiker, die gerade mit verschwurbelten Begriffen um sich werfen, andere belehren und Sprechverbote fordern, scheren sich in Wahrheit nicht um das Leid der Armen und Ausgegrenzten.“
Judith Sevinç Basad räumt mit gerne wiederholten Mythen auf. Sie rechnet den legendären Gender-Pay-Gap von 19 Prozent auf realistische zwei herunter, denn sie berücksichtigt die Tatsache, dass Frauen seltener Studiengänge wie Maschinenbau wählen, die später in gut bezahlte Berufe führen und zeigt, dass die Geschlechter nicht ganz so sehr konstruiert sind, wie es die von der Philosophin Judith Butler inspirierten Queertheoretiker propagieren: Die behauptet, dass, die biologische Einteilung in Mann und Frau nur ein Ergebnis der Herrschaft von Heterosexuellen sei.
„»Mann« und »Frau« gibt es also nicht deshalb, weil es biologisch signifikante Unterschiede zwischen Frauen und Männern gibt, sondern weil der weiße Mann sich diese Kategorien ausgedacht hat, um besser seine ausbeuterischen Interessen zu verfolgen.
Neue deutsche Medienmacher
Natürlich gibt es auf unserer Welt Menschen, die sich biologisch weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zuordnen lassen. Die Zahl der sogenannten »Intersexuellen« beläuft sich weltweit jedoch nur auf 0,018 Prozent. Die biologischen Kategorien »weiblich« (XX-Chromosomen, weibliche Sexualorgane und Hormone) und »männlich« (XY-Chromosomen, männliche Sexualorgane und Hormone) stellen 99,982 Prozent der Weltbevölkerung dar. Sie sind also real und nicht »sozial konstruiert«.“
Für ihre Haltung hat Basad schon oft die Toleranz der Social-Justice-Warriors zu spüren bekommen: „Wie das konkret aussieht, wurde im Sommer 2020 auf Twitter deutlich. Dort schrieb ich, dass Transfrauen biologisch keine Frauen seien und biologische Tatsachen nicht transphob sein könnten. Die Antwort eines Users darauf beschreibt gut, wie nun diese Schmerz-Politik abläuft: »Was eine Frau ausmacht oder nicht, sollte nicht nur auf einen Punkt oder Sichtweise beschränkt sein«, schrieb er. »Wenn man Fakten so auf eine Sache reduziert, kann es sehr wohl transphob sein. Auch wenn du eine Person wie mich nicht als Frau ansiehst, darf ich dennoch die gleichen Privilegien genießen? Oder willst du ausgrenzen, dann ist es sehr wohl transphob.«“
Der Grund, wieso Aktivisten bei diesem Thema regelmäßig übergriffig werden, ist Judith Basad klar: „Die Behauptung, dass unübersehbare biologische Unterschiede – wie Hautfarben oder Geschlecht – eigentlich nicht existieren, ist so offensichtlich absurd, dass sie umso vehementer verteidigt werden muss.“
Basad leugnet an keine Stelle, dass es Probleme mit Homophobie, Sexismus und Rassismus gibt, dass Transsexuelle oft gefährdet sind und es bei der Gleichberechtigung der Frau noch immer erhebliche Defizite gibt. Aber sie hält mit Macht dagegen, dass all dies von einer kleinen Gruppe instrumentalisiert wird, um gegen eine aufgeklärte und demokratischen Gesellschaft zu kämpfen, Meinungen zu unterdrücken und eine autoritäre Ideologie zu verbreiten. Die Beispiele, die Basad für das Eindringen dieses Ideologiekomplexes in Medien und Politik anführt, sind erschreckend. Ob der mit öffentlichen Mitteln finanzierte Verein „Neue deutsche Medienmacher*innen“ oder ebenso hofierte wie aggressive Twitterstars wie QuattroMilf oder Malcolm Ohanwe: Die Protagonisten der Szene werden ernst genommen und ihr Einfluss wächst. Judith Sevinç Basad Buchs deckt den Wahnsinn auf, erläutert die theoretischen Hintergründe und legt Verbindungen offen. Es gibt keine Seite, auf der man nicht etwas dazu lernt. Und Spaß zu lesen, macht es auch noch.