Darüber, dass Spaniens Zentralregierung gestern so ziemlich alles falsch gemacht hat, was sie falsch machen konnte, müssen wir nicht reden. Das wird den Katalanen aber auch nicht helfen: Ihr „Referendum“ schadet ihnen massiv. Auf Unterstützung der EU können sie nicht hoffen.

Krisen, so heißt es, bringen in manchen Menschen das Beste zum Vorschein. Seit gestern wissen wir jedoch auch, dass das nicht für jede Krise gilt: Katalanische Unabhängigkeitsreferenden etwa bringen in vielen Menschen eher das Allerschlimmste hervor.

Wer das nicht glaubt, der möge sich einmal in den sozialen Medien umtun. Im Bekanntenkreis des Autors befanden die Befürworter der katalanischen Unabhängigkeit sich klar in der Mehrheit oder waren zumindest die lautstärkere Gruppe. Und wie es so ist in abgeschlossenen Gruppen mit gleicher Grundmeinung, drehte die Erregungsspirale sich mit jedem neuen Newsflash immer schneller und hysterischer. Von spanischer „Diktatur“ war da die Rede, von Tyrannei und davon, dass die Weltöffentlichkeit jetzt nicht den Fehler Chamberlains wiederholen und tatenlos zusehen solle, wie ein wehrloses Volk einfach überrollt werde. Im Ton also gerade so, als sei die Demokratisierung Spaniens nie passiert, als stünde Franco in Barcelona wieder ante portas und als ginge es den Katalanen nicht um Kulturpflege und Steuerhoheit, sondern um nichts Geringeres als den Erhalt der Menschenrechte.

Es sei daher erlaubt, die Drehzahl der Diskussion hier in gebotener Kürze wieder zu reduzieren.

Nachvollziehbare Skepsis

Auf den ersten Blick scheint eine katalanische Unabhängigkeit nicht die schlechteste Idee zu sein: Die meisten von uns waren schon mal in Barcelona, und jemanden zu finden, der die Stadt nicht mag, wird ein hartes Brot. Der FC Barcelona, die Restaurants und Kneipen, der Markt, das Olympiagelände, der Hafen, die Innenstadt, die Museen und natürlich die Sagrada Familia – was für eine Stadt! Was für eine Kultur! Es ist verständlich, dass die Katalanen darauf genauso stolz sind wie auf ihr bewundernswertes Festhalten an der eigenen Sprache selbst unter den Widrigkeiten des Franco-Regimes, das Abweichungen auch linguistischer Natur nicht dulden konnte. Man kann auch nachvollziehen, dass die Katalanen der Madrider Zentralregierung vor dem Hintergrund dieser durchaus rezenten Geschichte mit gesunder Skepsis gegenüberstehen. Wer würde es ihnen verdenken?

Doch sollte daraus nicht abgeleitet werden, dass die Unabhängigkeit in der gestern dargebotenen Form die Lösung aller Probleme wäre. Dem aktuellen, nunja, Plan für einen Staat Katalonien fehlt es nämlich bei aller emotionalen Unterfütterung spürbar an logischer und legaler Tiefe: Auf mangelnde Gesprächsbereitschaft in Madrid reagierte man, indem man loslegte und ein Referendum ansetzte – wohl nur, um etwas Druck aufzubauen. So einfach kann das sein.

Nun lebt Politik jedoch von der Bereitschaft und der Fähigkeit, strategisch zu denken und vorausschauend zu handeln. Beides hat sich im gestrigen Referendum nur bedingt wiedergefunden, denn was die katalanische Regionalregierung unter Ministerpräsident Carles Puigdemont sich von ihrem Politstunt konkret verspricht, bleibt Objekt der Spekulation. Sicher, es gibt die Unabhängigkeitserklärung, mit der wir jetzt (trotz bescheidener Wahlbeteiligung) minütlich rechnen müssen. Schon jetzt ist aber klar, dass die das Papier nicht wert sein wird, auf dem sie steht. Denn so schwer es fällt, sich ein Szenario vorzustellen, in dem Spanien die katalanische Unabhängigkeit akzeptiert – dass es eine einseitige Unabhängigkeitserklärung hinnimmt, kann man getrost ausschließen. Was die Frage aufwirft: Was wollte Puigdemont mit dem Referendum erreichen?

Er mag damit kalkuliert haben, dass Ministerpräsident Rajoy die Polizei losschicken, harte Tatsachen schaffen und schockierende Fernsehbilder in Kauf nehmen würde. Das hat funktioniert, und wie gewünscht erhob sich überall in Europa (sehr berechtigte) Kritik am überzogenen Polizeieinsatz. Der Politikwissenschaftler Ian Bremmer hatte mit seinem auf Twitter angebrachten Hinweis, dass Rajoy das Referendum am besten einfach ignoriert hätte, wohl nicht unrecht, auch wenn diese Diskussion jetzt natürlich müßig ist.

Doch konnte Puigdemont nicht ernsthaft davon ausgehen, Rajoy international so sehr bloßzustellen, dass sich europaweit eine politische Mehrheit für die katalanische Sezession finden würde. Denn auch wenn weit und breit Informierte und Interessierte in den sozialen Medien empört vom „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ blökten: Die politische Großwetterlage hat sich, natürlich, überhaupt nicht verändert.

Somit bleibt die Tatsache, dass eine Sezession ohne Einverständnis der spanischen Regierung einerseits illegal und andererseits unklug ist. Sie ist illegal, weil Spanien anders als suggeriert eben keine Diktatur ist und nicht der oppressive Irak zum katalanischen Kurdistan. Das bedeutet nicht, dass es nicht durchaus große Unterschiede zwischen kastilischer und katalanischer Kultur geben kann, die eine Zweistaatlichkeit möglicherweise rechtfertigen. Nur bedingen diese Unterschiede aus sich heraus noch kein Recht zur einseitigen Herstellung dieser Zweistaatlichkeit.

Die EU kann das nicht belohnen

Daher ist der Schritt auch unklug: Denn neben der Sprachfrage möchte Katalonien vor allem seine Wertschöpfung im eigenen Land behalten, die jedoch vom Status quo nicht unwesentlich profitiert. Zwar führt das Land reichlich Geld in den Rest Spaniens ab, doch wäre ein neuer Staat Katalonien zunächst einmal von allen Märkten abgeschnitten und natürlich auch kein Mitglied der EU, wie diese heute erneut unterstrichen hat. Das würde bei einer einseitigen Abspaltung auch so bleiben, denn Spanien hätte überhaupt keinen Grund, ein Beitrittsgesuch zu unterstützen, genau wie auch die EU vor dem Hintergrund des Brexit schlecht beraten wäre, mit der Brechstange vorgetragenen Separatismus unnötig zu belohnen. Das Maß an Selbstbetrug, das die katalanische Regionalregierung hier im Glauben an „pragmatische“ Lösungen seitens der EU an den Tag legt, kann es mit dem der britischen Brexiteers daher durchaus aufnehmen.

Darüber, was Puigdemont erreichen wollte, kann weiterhin nur spekuliert werden. Die Bereitschaft Madrids, mit ihm in irgendeiner Form in Gespräche einzutreten, dürfte jedenfalls auf null gesunken sein, seine Verhandlungsmasse hat sich nicht vergrößert, sondern entscheidend reduziert. Ihm bliebe nur noch die einseitige Sezession, die Spanien zwar mutmaßlich nicht militärisch verhindern wird, die Katalonien jedoch als abgeschotteten Pariastaat zurücklassen würde. Welchen Dienst er den Katalanen damit erwiesen hat, darüber würden diese sich im vom spanischen Diktat befreiten Katalonien gewiss sehr bald an der Wahlurne eine Meinung bilden.