Ob Fußball oder Politik: Man sollte seinen Blick lieber auf die Ware richten als auf deren Verkäufer. Denn die präsentieren häufig wohlverpackten Unfug – und schaden damit bisweilen sogar unserer Demokratie. Darüber ärgert sich Daniel Killy.

Die Szenerie war gespenstisch: Nachdem der Journalist den Gouverneur der türkischen Provinz Urfa bei einer improvisierten Pressekonferenz in der türkischen Grenzstadt Akçakale gefragt hatte, woher seine Informationen stammten, dass syrische Flüchtlinge vor kurdischen Kämpfern fliehen, ließ eben jener İzzettin Küçük den Journalisten – und zwei weitere Kollegen – auf das Polizeipräsidium abführen. Das war 2015 an der syrischen Grenze, zwar an der Peripherie, aber gerade deswegen im Herzen des Reiches von Sultan Erdogan. Die Behauptung des Gouverneurs war gewesen, dass die Menschen „nicht vor dem IS“ fliehen, sondern „vor der PKK und PYD und vor den amerikanischen Bombardements“.

Das damalige Opfer des Unrechtsstaats hieß Deniz Yücel; er sollte ja bekanntermaßen noch intensivere Erfahrungen mit der Erdoğanschen Lesart von Demokratie und Pressefreiheit machen dürfen. Nun ist Akçakale ein Kaff von 25.000 Einwohnern, geteilt und dazu noch seines alten Namens Tell Abyad beraubt, am Rande eines semi-diktatorischen Systems – von Berlin weiter entfernt, als es die 2654 Kilometer Luftlinie jemals ausdrücken könnten – und Küçük kein Posterboy einer Musterdemokratie, dennoch spielte sich unlängst im Herzen der deutschen Hauptstadt eine ähnliche Szene ab.

Adil Yiğit hat eine bewegte Vergangenheit im linksradikalen türkischen Milieu. Er lebt heute als freier Journalist in Hamburg. Yiğit hatte ein T-Shirt an, auf dem zweisprachig zu lesen war: „Pressefreiheit für türkische Journalisten“. Zunächst hatte er das unter einer Strickjacke verborgen und in der zweiten Fotografen-Reihe gesessen. Er war ordnungsgemäß akkreditiert. Als er in der ersten Reihe gegen Ende der Pressekonferenz mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, Angela Merkel und Regierungssprecher Steffen Seibert Fotos machte, entstand Unruhe. Yiğit wurde aufgefordert, das T-Shirt auszuziehen und sich nach hinten zu begeben. Als er sich weigerte, wurde er abgeführt.

In Berlin, bei einer Pressekonferenz der Kanzlerin. Auf deutschem Boden, auf dem er sein Recht auf Meinungsfreiheit geltend gemacht hatte. Angela Merkel schaute versteinert, der Sultan grinste – und Seibert verkaufte die Ungeheuerlichkeit später mit glattgeföhntem Vokabular: „Wir halten es bei Pressekonferenzen im Kanzleramt wie der Deutsche Bundestag: keine Demonstrationen oder Kundgebungen politischer Anliegen. Das gilt völlig unabhängig davon, ob es sich um ein berechtigtes Anliegen handelt oder nicht“, erklärte er per Twitter.

Dieses Statement erinnert in seiner Substanz ein wenig an Oliver Bierhoff und dessen Verklausulierung des Fußball-Gaus bei der WM in Russland: „Ich glaube, die Tatsache, dass Mesut und Ilkay die Fotos gemacht haben, hat die Mannschaft nicht so sehr beschäftigt.“ Und weiter: „Wir haben Spieler bei der deutschen Nationalmannschaft bislang noch nie zu etwas gezwungen, sondern immer versucht, sie für eine Sache zu überzeugen. Das ist uns bei Mesut nicht gelungen. Und insofern hätte man überlegen müssen, ob man sportlich auf ihn verzichtet“, sagte Bierhoff der „Welt“, um dann sogleich bei „Bild“ zurückzurudern: „Es tut mir leid, dass ich mich da offenbar falsch ausgedrückt habe und diese Aussagen missinterpretiert werden. Sie bedeuten in keinem Fall, dass es im Nachhinein falsch gewesen sei, Mesut mitzunehmen. Was ich sage ist, dass wir im Vorfeld der WM vor der Frage standen, ob er aus sportlichen Gründen mitfährt. Wir haben uns bewusst für ihn entschieden. Und dazu stehen wir auch.“

Seibert und Bierhoff haben eines gemein: Ihre Aussagen, egal welchen Inhalts, scheinen auf den ersten Blick überzeugend. Abgesehen davon, dass Bierhoff sich binnen kürzester Zeit widersprochen hat, klingt alles bei ihm plausibel und wohlgesetzt. Völlig unabhängig davon, was die innere Wahrheit solcher Sätze ist. Gleiches bei Seibert: Ist es schon eine Demonstration oder Kundgebung, ein T-Shirt auf einer Pressekonferenz zu tragen, und wenn ja, ist es das Kopftuch der Erdogan-treuen Journalistin im Plenum nicht auch?

Unter dem Grinsen des Despoten

Es wird etwas mit rhetorischem Nachdruck und der Korrektheit eines Versicherungsvertreters verkauft, dessen Inhalt nicht mal die Halbwertzeit einer Eintagsfliege hat. Aber egal, das versendet sich schon.

Nein, es ist eben nicht egal, dass bei einer Pressekonferenz einer deutschen Regierung auf deutschem Boden ein Journalist unter dem Grinsen des Despoten von deutschen Beamten abgeführt wird. Und es ist ebenso wenig egal, das hinterher mit einem Allgemeinplatz zu rechtfertigen. Gleiches gilt auch für das Geschwätz von Bierhoff: Aus Angst, im Fall Özil gegen die Political Correctness zu verstoßen, wird schlicht das Gegenteil der Ursprungsaussage heraus posaunt. Genauso schwungvoll – aber in seiner Nichtigkeit genauso irrelevant.

Unter dem Strich bleibt bei der Aussage beider Marketing-Experten, ob sie nun die Ware Fußball oder Politik verkaufen, ein extrem schaler Nachgeschmack. Erdoğan-Fan Özil wird mit Glacé-Handschuhen angefasst, Erdoğan-Gegner Yiğit abgeführt.

Vielleicht sollte man zukünftig mehr auf die Inhalte als auf die Fönfrisuren jener alerten Paladine achten.