Für eine Jury aus Sprachwissenschaftlern der Technischen Universität Darmstadt ist „Klimahysterie“ das Unwort des Jahres 2019. Wenn die „Anti-Natalisten“ Kinderlosigkeit mit dem Schutz des Klimas begründen und Greta Thunberg explizit zur Panik auffordert, soll das nicht hysterisch sein?

„Klimahysterie“ wurde vor wenigen Tagen zum „Unwort des Jahres“ 2019 erklärt. Begründet wird die Entscheidung damit, dass „Klimaschutzbemühungen und die Klimaschutzbewegung diffamiert und Debatten diskreditiert (würden)“. Dabei ist das Gegenteil der Fall. Wenn jeder, der apokalyptische Aussagen und Szenarien hinterfragt, jetzt der „Klimahysterie“ angeklagt wird, dann geht es wohl vor allem darum, Debatten abzuwürgen. Das Unwort wird damit im neuen grünen Weltbild zum Instrument für die Exkommunikation.

Von der Antike bis in die Neuzeit deuteten viele Religionen und Glaubensrichtungen jede Naturkatastrophe oder Hungersnot als Vorzeichen der Apokalypse. Deutschland war und bleibt mit seiner romantischen Tradition besonders offen für dieses Denken. Martin Luther Zeit war seines Lebens von der Endzeit überzeugt: „Der letzte Tag ist auf der Schwelle“, die Welt würde „keine 100 Jahre mehr dauern“. Heute gibt es ständig neue und radikalere Angebote, Erklärungen und öko-fundamentalistische Weltbilder. Selbst Grünen-Vordenker Ralf Fücks warnt daher zu Recht vor einem „ökologischen Absolutismus“, eine Tendenz, die auch etwas mit „Hysterie“ zu tun hat.

Den Herausforderungen des Klimawandels erweist man mit bombastischen Weltuntergangsszenarien einen Bärendienst, denn sie fördern bei vielen Bürgern eher Widerstand als Akzeptanz. Bei vielen Linken und Grünen führt die Angst vor der Apokalypse zu einem „ökoritären Denken“, passend zum pessimistischen Zeitgeist. Der Schutz vor Menschen steht im Mittelpunkt dieses im Kern anti-humanistischen Denkens, auch wenn es rhetorisch freundlicher und zugleich alternativlos dargestellt wird. Wer davon ausgeht, dass die Welt bald untergeht, wird zu radikalen Lösungen neigen, die die Gesellschaft spalten.

Dass ausgerechnet Sprachwissenschaftler hier verallgemeinern und jede Kritik an den teils skurrilen, teils bedrohlichen Aktionen und Ideen – zum Beispiel von Extinction Rebellion – rund um den Klimawandel als Populismus deklarieren, ist ernüchternd. Wer Rechtsstaat und Demokratie, freiheitliche Lebensweise und soziale Marktwirtschaft wegen des vermeintlichen Weltuntergangs in Frage stellt, dem muss auch Hysterie vorgeworfen werden können. Es kommt auf den Kontext an: Das Wort kann frauenfeindlich genutzt werden, muss aber nicht per se so gebraucht und gedeutet werden.

Diese Entwicklung zum Moralisieren, zu Empörungskultur und Verengung der Meinungsfreiheit habe ich in meinem Buch „Die Angst-Unternehmer“ kommentiert. Die neue Polarisierung führt zu einem aggressiven Ton gegenüber Andersdenkenden bei Themen wie Klima oder Migration. Dialog- und Kompromissbereitschaft, die Grundpfeiler liberaler demokratischer Gesellschaften, stehen auf verlorenem Posten, auch durch solche Sprachverbote. Der Vorwurf der Unwort-Jury, „er (der Klimahysteriker) pathologisiert pauschal das zunehmende Engagement für den Klimaschutz als eine Art kollektiver Psychose“, zeigt, wie weit die ideologische Abschottung auch schon in der Wissenschaft vorgedrungen ist. Der diesjährige Begriff reiht sich dabei in eine lange Liste geprägter politischer Kampfbegriffe ein. „Umvolkung“ wäre eine bessere Wahl gewesen als „Klimahysterie“.

Dass dem Klima selbst wenig gedient ist, wenn durch Verbote der CO2-Ausstoß nur von A nach B verlagert wird, kommt in der Öffentlichkeit leider viel zu selten zur Sprache. Auch hier braucht es mehr Sachlichkeit in der Debatte. Die Gesellschaft darf sich nicht in ein Schlachtfeld zwischen Begrifflichkeiten wie „Klimahysteriker“ und „Gutmensch“ verwandeln. Die Auswirkung einer solchen Entwicklung auf liberale Demokratien ist heute viel zu häufig sichtbar, etwa in den Vereinigten Staaten oder in Großbritannien. Begriffe wie „Klimahysterie“ lähmen uns. Statt mit den Herausforderungen unserer Zeit beschäftigen wir uns mit uns selbst. Die beste Lösung ist aber effektive Sachpolitik: für unsere Gesellschaft und für das Klima.

Über den Autor: Oliver Luksic ist Mitglied des Deutschen Bundestages und dort Sprecher der FDP für Verkehr und digitale Infrastruktur. Der 1979 in Saarbrücken geborene Saarländer ist Absolvent der Grande Ecole IEP (Sciences Po) Paris mit den Schwerpunkten Europastudien, Volkswirtschaft und Politikwissenschaft und hat anschließend als Unternehmensberater gearbeitet.