Wechselwirkungen durch Chemikaliencocktails aus der Nahrung können unbekannte gesundheitliche Folgen haben, warnen Umwelt- und Verbraucherschützer seit Jahren. Sie wollen jetzt drastische Maßnahmen durchsetzen, weil diese Risiken niemals systematisch untersucht wurden.

Die Gesundheits- und Umweltrisiken von Pestiziden werden derzeit nur isoliert betrachtet. Umwelt- und Verbraucherschützer werfen Aufsichtsbehörden, Herstellern und Anwendern seit Jahren vor, dass diese Ansatzweise unrealistisch sei: Meist würden in einer Saison mehrere dieser „Ackergifte“ ausgebracht und so fänden sich regelmäßig Rückstände all dieser Chemikalien in der Nahrung. Niemand weiß, heißt es weiter, welche Auswirkungen diese „Giftcocktails“ haben und niemand kann ausschließen, dass sich ihre Wirkungen gegenseitig verstärken oder dass es zu ganz neuen, vorher unbekannten Neben- und Wechselwirkungen kommen kann.

„Studien zur Wechselwirkung mehrer Wirkstoffe existieren kaum. Solange diese Daten nicht vorliegen, sind die Risiken kaum absehbar,“ heisst es etwa bei Greenpeace. „Beim Umgang mit Pestiziden muss daher generell das Vorsorgeprinzip, das heißt, das Ziel der Vermeidung gelten.“

Auch Bio-Pflanzen voller Pestizide

Immer mehr Forschungen an Pflanzen belegen mittlerweile, dass praktisch alle Früchte und Gemüse nicht nur mit Pestiziden aus der Landwirtschaft belastet sind, sondern auch selbst welche bilden. Das trifft auch auf Nutzpflanzen aus ökologischer Züchtung und Bio-Anbau zu. Auch Bio-Kartoffeln bilden das giftige Solanin, Bio-Tomaten Tomatin, Bio-Bohnen Lectine, Bio-Kichererbsen Lathyrogen, Bio-Soja hormonell wirksame Isoflavone, Bio-Bananen produzieren Amylasen und selbst Biogewürze enthalten Giftstoffe: So kann das Myristicin aus Muskatnüssen und Petersilie Fehlgeburten auslösen.

Auch die Wechselwirkung dieser pflanzeneigenen Chemikalien miteinander ist vollkommen unerforscht. Wie die Salonkolumnisten aus Kreisen der Grünen erfuhren, will die Fraktion der Grünen/Europäische Freie Allianz daher in der nächsten Legislaturperiode gemeinsam mit der Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament sowie eNGOS wie Greenpeace und Friends of the Earth eine Initiative starten, um die potenziellen Wechselwirkungen solcher Chemikalien zu minimieren und dabei das Vorsorgeprinzip anzuwenden.

Gigantischer Menschenversuch

Die Anregung geht auf die Spitzenköchin Sarah Wiener zurück, die von den österreichischen Grünen auf den zweiten Listenplatz für die Europawahl gesetzt wurde. Ihr Einzug ins Europaparlament gilt daher als sicher. Wiener gilt als absolute Gegnerin von Chemie im Essen: „Diese Gifte reichern sich überall an, im Blut, in der Umwelt und in allen Lebewesen.“ Es gebe „nicht einen einzigen Grund“, für Chemikalien im Essen zu sein, sagte sie vor einiger Zeit bei einer Buchvorstellung.

Wiener fordert daher, dass in einem ersten Schritt Kochbücher vom Markt genommen werden sollen, die nach 1970 erschienen sind. Gleiches soll für Online-Portale gelten. Sie sollen Rezepte mit exotischen Zutaten vom Netz nehmen. Der Upload von Rezepten soll mit einem Upload-Filter gestoppt werden, der auf bestimmte Gemüse, Früchte und Gewürze reagiert.

„Etwa ab den 1970er Jahren begann in Europa das Kochen mit exotischen Zutaten aus Übersee“, erläuterte Wieners Pressesprecherin Anna Razio-Frey in einem Telefonat mit den Salonkolumnisten. „Da wurden Obst- und Gemüsesorten nach Europa eingeführt, die zuvor kaum ein Europäer je gegessen hatte. Die enthalten Giftstoffe, die für den Stoffwechsel der meisten Europäer vollkommen unbekannt sind. Das war ein gigantischer Menschenversuch, über dessen Folgen wir völlig im Dunkeln sind. Niemand kann ausschließen, dass die zunehmenden Fälle von Zivilisationskrankheiten, die wir heute sehen, darauf zurückzuführen sind, dass hier Wechselwirkungen von exotischen Inhaltsstoffen mit denen der regionaltypischen Pflanzen auftreten. Wir beobachten beispielsweise eine beängstigende Größenzunahme von Generation zu Generation. Da kann man vermuten, dass hormonelle Wechselwirkungen im Spiel sind, etwa durch eine verstärkende Wirkung, wenn man Soja und Kartoffeln in der Nahrung miteinander kombiniert.“

Dass diese Effekte denkbar sind, bestätigt schon ein Blick in die Rote Liste der zugelassenen Arzneimittel: Gut zwei Drittel aller zugelassenen Medikamente stammen aus Pflanzen oder werden nach deren Vorbild synthetisiert. Inhaltsstoffe von Pflanzen sind pharmakologisch hoch aktiv und können den Blutdruck beeinflussen, Nerven und Gehirn dauerhaft schädigen, Sehkraft und Konzentrationsfähigkeit schwächen, Übelkeit und Darmlähmungen auslösen sowie Krebs verursachen.

Sarah Wiener kocht regional und „ohne“

Bei einer Beschränkung auf Rezepte mit traditionellen Gerichten und Zutaten würde auch die Rückbesinnung auf regionale Produkte gefördert. „Wir brauchen keine exotischen Zutaten, um lecker zu kochen“, heißt es aus Wieners Büro, das ankündigte, Wiener werde ihren bislang 16 Büchern jetzt eine neue Buchreihe mit dem Serientitel „Sarah Wiener kocht ohne“ hinzufügen. Geplant sind zunächst drei Bände: Sarah Wiener kocht ohne Chemie, Sarah Wiener kocht ohne Gene und Sarah Wiener kocht ohne Physik. „Statt immer exotischere Gerichte zu kreieren, sollten wir uns auf die althergebrachten Schätze aus regionalem Anbau zurückbesinnen und z. B. mehr Steckrüben, Graupen, Leinsaat, Kohl und Bohnen verwenden“, so Razio-Frey. „Man kann auch aus traditionellem Gemüse und Getreide schmackhafte Gerichte herstellen. Dabei läuft man dann auch nicht Gefahr, durch exotische Pflanzeninhaltsstoffe zu Schaden zu kommen. Das Gleiche gilt für Obstsalate. Sie müssen nicht Ananas, Papaya und Gojibeeren erhalten. Es ist auch eine ungehörige kulturelle Appropriation, die traditionellen Obstsorten der Polynesier zu verzehren. Wir empfehlen stattdessen einen Obstsalat z.B. nur aus alten Apfelsorten. Da erleben Sie eine Geschmacksexplosion, die der von Ananas, Mango und Papaya in Nichts nachsteht!“

Die grüne Bundestagsabgeordnete Renate Künast unterstützt die Idee: „Das ist ein neues Betätigungsfeld für EFSA und das BfR,“ heisst es in einer Stellungnahme aus ihrem Büro. „Da wir nach einem Wahlsieg alle Pestizide und Genpflanzen verbieten und die Risikoforschung in die Hände von Industrie-unabhängigen Organisationen der Zivilgesellschaft legen werden, fällt in den öffentlichen Einrichtungen ein Großteil der Aufgaben weg. Mit der Begutachtung von Rezepten könnten wir die Arbeitsplätze dort erhalten. Und wir sind ziemlich sicher, dass Kochbuchverlage wesentlich weniger Mittel zur Verfügung haben, um Einfluss auf die Bewertungen zu nehmen, als etwa Monsanto.“

Diskussionsbedarf

Nicht alle sind indessen überzeugt. In einer ungewöhnlich schroffen Stellungnahme wies Testbiotech, das von den größten Ökohandelsketten Deutschlands finanzierte Institut für unabhängige Folgenabschätzung in der Biotechnologie, die Thesen zurück. „Wir halten es für wichtig, auf falsche Gleichsetzungen wie pflanzliche Inhaltsstoffe = Chemie oder Solanin = Gift zu verzichten. Natürliche Pflanzengifte, entstanden durch die Prozesse der Evolution, können den Mechanismen und Molekülen der synthetischen Chemie nicht gleichgesetzt werden. Ersteres kann und muss nicht durch die EU reguliert werden!“ Testbiotech verweist auf den grundsätzlich unterschiedlichen feinstofflichen Informationsgehalt dieser Moleküle, ein Faktum. das aus der homöopathischen Forschung seit 200 Jahren bekannt sei.

Der französische Gentechnik- und Homöopathieforscher Gilles-Eric Séralini, der 2015 von der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) für seine mehrfach zurückgezogenen und widerlegten Studien mit dem Whistleblowerpreis ausgezeichnet wurde, unterstützt dagegen solche Verbotsforderungen. Er sagte im MDR-Magazin Fakt, es gehe nicht an, dass sich in Pflanzen „Gifte befinden, deren Langzeitwirkung nicht untersucht wurde. Was in der Tat Auswirkungen auf die Mengen hat, die von der Bevölkerung unbedenklich aufgenommen werden dürfen. Die Gesamttoxizität wird manchmal bis zu einem Faktor von eintausend unterschätzt. Das ist wissenschaftlich gesehen ein Fehler! Und zwar ein Fehler, der die öffentliche Gesundheit gefährdet!“

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Harald Ebner, Sprecher der Partei für Gentechnik, Ackergifte und eurythmische Pflanzenzucht, sagte in der gleichen Sendung, Hinweise auf versteckte Gifte und deren unbekannte Wechselwirkungen müssten ernst genommen werden. Es herrsche in der Tat „dringender Handlungsbedarf, solche Stoffe dann auch für die Zeit, wo wir es nicht wissen, vom Markt zu nehmen. Weil wir den Menschen und der Umwelt im Prinzip da was zumuten, was wir ihnen nicht zumuten dürfen!“

Foodwatch zeigte sich von dem Vorstoß Wieners überrascht. „Viel wichtiger wäre es, die Kochbücher und Rezeptportale daraufhin zu überprüfen, ob nicht ernährungsphysiologisch bedenkliche Empfehlungen hinsichtlich Fett-, Zucker- und ganz allgemein Kaloriengehalt darin enthalten sind. Gerade traditionelle Rezepte leiten oft zu Kalorienbomben und Völlerei an, von der wir heute wissen, dass sie extrem gesundheitsschädlich ist“, heisst es in einer Stellungnahme, die den Salonkolumnisten vorliegt.

Da für die entsprechende Initiative mit einer deutlichen Mehrheit im Europaparlament zu rechnen ist, haben sich namhafte Kochbuchverlage schon jetzt dazu entschlossen, in einem ersten Schritt Bücher über Molekulares Kochen und Fusion-Küche aus dem Sortiment zu nehmen, um dem Vorsorgeprinzip Rechnung zu tragen. Letzter Verkaufstag solcher Titel ist heute, 1.4. Hinsichtlich der Online-Portale hat die Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) im Europäischen Parlament bereits ihre Unterstützung zugesagt. Der „Arbeitskreis Upload-Filter“ der Fraktion wird dem Parlament demnächst einen Vorschlag vorlegen.