Homosexualität abzulehnen, weil das in der Bibel steht, wird als moralische Begründung kaum noch akzeptiert. An Gottes Stelle tritt deswegen immer wieder die Natur. Doch die ist keine moralische Instanz. Außerdem sind gleichgeschlechtliche Paarungen in der Natur allgegenwärtig.

Homosexuelle dürfen in Deutschland künftig heiraten. So hat es der Bundestag beschlossen. Auf der einen Seite ist der Jubel groß, andere hingegen sind entsetzt. „Es ist unglaublich, da wird im Deutschen Bundestag darüber entschieden, ob widernatürliche Verbindungen, Mann mit Mann und Frau mit Frau, legitimiert werden“, steht in einem Leserbrief, der am 1. Juli in der Braunschweiger Zeitung abgedruckt wurde. In einem anderen Leserbrief heißt es, Kinder hätten „das natürliche Recht auf Eltern mit heterosexuellem Vorbild“.

Zwar sind Leserbriefe in Tageszeitungen ganz sicher kein repräsentatives Abbild der Bevölkerung, aber die hier zum Ausdruck gebrachten Überzeugungen sind durchaus noch immer verbreitet. Laut einer repräsentativen Umfrage der Antidiskriminierungsstelle des Bundes aus dem Jahr 2015 stimmten 18,3 Prozent der 2013 befragten Personen der Aussage „Homosexualität ist unnatürlich“ voll oder eher zu.

So unterschiedlich die einzelnen Befragten und die zitierten Zeitungsleser sein mögen, eines haben sie gemeinsam: Sie haben unrecht. Homosexuelles Verhalten ist in der Natur nicht nur nachweisbar, es ist allgegenwärtig, ja normal im Wortsinne. Wenn Verhaltensforscher danach suchen, werden sie eigentlich immer fündig, bei jeder Spezies, die sie unter die Lupe nehmen.

Die schwulsten Tiere sind Giraffen

Bei 1500 Arten wurden gleichgeschlechtliche Paarungen mittlerweile beobachtet. Das beginnt bei unseren nahesten Verwandten, den Menschenaffen, und reicht über Haus- und Nutztiere wie Katzen, Schweine und Schafe bis zu Vögeln. Selbst miteinander kopulierende männliche Käfer sind keine Seltentheit.

Die „schwulsten“ Tiere überhaupt sind Giraffen. Hier sind homosexuelle Begattungen häufiger als heterosexuelle. Bei einer Studie fanden bis zu 94 Prozent aller beobachteten Paarungen zwischen Männchen statt. Bei den grundsätzlich sexuell sehr aktiven Bonobos hingegen sind es vor allem die Weibchen, die hauptsächlich aneinander interessiert sind. Auch sie betätigen sich häufiger gleichgeschlechtlich als mit Männchen.

Bei Schafen sind nicht nur bis zu zehn Prozent der Böcke an anderen Böcken interessiert. Sie sind es sogar exklusiv – zum Ärger der Züchter. Lust auf Abwechslung? Meh.

Menschliche Homosexualität ist nichts Ungewöhnliches oder gar Widernatürliches. Im Gegenteil: Ein ausschließlich heterosexuelles Säugetier wäre ausgesprochen bemerkenswert. Das gibt es eigentlich nur im Iran.

Das Beispiel zeigt: Die Unauffälligkeit von Homosexualität in manchen menschlichen Gesellschaften ist keine Folge von Moral, sondern von Angst, Scham und nicht selten Repression. Das macht es auch so schwer, die natürliche Häufigkeit einzuschätzen. Fragen nach der Sexualität werden nicht immer wahrheitsgemäß beantwortet. Da es aber kontraproduktiv wäre, das Suchfenster einer Porno-Seite zu belügen, liefern solche Internetsuchen verlässlichere Daten als Umfragen. Demzufolge dürfte der Anteil menschlicher Homosexualität weltweit bei etwa fünf Prozent liegen.

Die Natur kennt keine Moral

Bei der „Ehe für alle“ geht es aber gar nicht mehr um die Sexualität, mögen manche einwenden. Sondern um das Adoptionsrecht. Gleichgeschlechtliche Partnerschaften sind von Natur aus unfruchtbar und sollten es deswegen auch bleiben. Das sehen einige homosexuelle Schwäne aber offenbar etwas anders, weswegen sie sich entweder zur Fortpflanzung kurzzeitig ein Weibchen ins gemeinsame Nest holen (und nachher wieder rauswerfen) oder einfach Eier aus anderen Nestern stehlen.

Die Ablehnung der Homosexualität hat eine lange Tradition. „Wenn jemand bei einem Manne liegt wie bei einer Frau, so haben sie getan, was ein Gräuel ist, und sollen beide des Todes sterben“, heißt es bei Leviticus 20, 13. Da es aber heutzutage immer weniger akzeptiert wird, Menschen mit dem Verweis auf den aus einem uralten Buch herausgelesenen Wunsch eines übernatürlichen Wesens zu diskriminieren, tritt häufig die Natur an die Stelle Gottes. „Hätte die Natur gewollt, dass…“ ist eine dieser Floskeln, die ein naturreligiöses Verständnis offenbaren. So wird auch nicht selten begründet, warum neue Technologien wie etwa die Gentechnik abzulehnen sind.

Es ist allerdings unsinnig, moralische Urteile daran festzumachen, ob ein Verhalten „natürlich“ ist. Die Natur kennt keine Moral. Wenn aber nun weder Gott noch Natur herangeführt werden können, um die Abneigung gegenüber Homosexuellen zu begründen, wäre es vielleicht einfach an der Zeit, die Suche nach neuen Gründen einzustellen.

 

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