Liebe Frau Antje!
Unsere Autorin hat sich die Statements von Antje Grothus angesehen, einer Wortführerin des Widerstands gegen die Braunkohle im Revier und Trägerin einer Auszeichnung namens „Klimaheldin“. Es ist Zeit, ihr zu antworten – von Frau zu Frau und Mutter zu Mutter.
Antje Grothus: Persönliches Statement zu Ende Gelände 2018
Liebe Antje!
Sie sind Jahrgang 1964 und Mutter dreier Töchter. Ich bin Jahrgang 1966 und Mutter dreier Söhne. Sie wohnen in Buir am Rand des rheinischen Reviers. Ich wohne in Leipzig am Rand des sächsischen Reviers.
Doch aufgewachsen bin ich im äußersten Kölner Nordwesten. Wenn wir als Kinder aufs Feld rausliefen, dann hatten wir immer einen industriellen Horizont: hier die Kühlturmschwaden von Niederaußem, Frimmersdorf und Neurath, dort die Schlote der Bayer-Chemie, zum Rhein hin die Hallen der Ford-Werke. Unseren rheinischen Himmel durchkreuzten die filigranen Hochspannungsleitungen der RWE-Trassen. Man konnte die Leitungen singen hören, oder knistern. Das war Heimat, das gehörte dazu, genau wie der kölsche Zungenschlag der Menschen, Karneval und Schützenfest. Beim Schulausflug fuhren wir zur Braunkohle. Sie gehörte auch dazu. Das ist unser gemeinsamer Erfahrungsraum.
Doch unser Erwartungshorizont unterscheidet sich. Ich weiß nicht genau, was Sie gelernt haben, denn das steht nicht auf Ihrer Webseite. Ich arbeite in einem Forschungsinstitut und leite dort unter anderem Projekte zur Technik- und Umweltgeschichte. Ich beschäftige mich also aus beruflichen Gründen mit Natur und Technik, und ich habe deswegen auch längere Zeit an Orten gearbeitet, die Sie für einen noch größeren Horror halten als die Braunkohle – in Kernkraftwerken.
Sie bezeichnen sich als Kämpferin für eine wärmere, menschenfreundlichere Zukunft, gegen die Kälte der Großtechnik – ich habe die Großtechnik hautnah kennengelernt, bin mit Kraftwerkern in West- und Osteuropa zur Schicht gegangen. Im Leistungsbetrieb und in der Revision, tags, abends und nachts, an Ostern, im Advent und am Wochenende. Da habe ich, abgesehen von einigem technischem Wissen, auch viele menschliche Dinge gelernt: zum Beispiel über das Ethos von Leuten, die ihr Land mit Strom und Wärme versorgen, und darauf stolz sind. Aber auch über ihre Familien, ihr Leben jenseits des Werkstors, Sorgen, Ängste, Wut…
Sie sind, das lese ich auf Ihrer Webseite, eine Spezialistin für Sorgen, Ängste und Wut. Doch für meine Begriffe denken Sie viel zu groß. Um nicht zu sagen, größenwahnsinnig. Denn Sie geben ständig vor, für Menschen zu sprechen, die Sie nicht kennen und die Sie nicht gefragt haben. Ungeheure Mengen von Menschen zumal.
Sie sprechen nämlich nicht für sich, Ihre Familie, oder die paar tausend Demo-Wohlstandsbürgerkinder im „Hambi“, die bereits im Alter von 20 Jahren – ihrer eigenen Logik folgend – einfach infolge ihres Lebens als Westeuropäer einen derartigen CO2-Fußabdruck hinterlassen haben, dass sie eigentlich ab heute aufhören müssten zu atmen.
Sie sprechen nicht für sich und die jungen DemonstrantInnen, die nach der Revolutions-Spielwiese, genauso wie ihre grünen Vorgänger der 1970er Jahre, zu ihrem Studium, ihrer elternflankierten Karriereplanung, ihrem Erbe und ihren Einfamilienhäusern zurückkehren werden.
Sie sprechen nicht für sich und diese künftigen Lehrer, Medienleute, Anwältinnen, IT-Startupper, Energieunternehmerinnen, für die Subventionsritter und Politikerinnen der next generation, in deren Stipendienbewerbungen der Umwelt-Aktivismus willkommene credit points abwerfen wird.
Nein: Sie machen es ganz groß. Sie sprechen im Namen des globalen Südens und der kommenden Generationen, ohne in Kerpen-Buir wissen zu können, was dieser Süden will, und ohne heute zu wissen, was diese Generationen, sagen wir, im Jahr 2070 wollen werden, wenn wir beide nicht mehr sein werden: vielleicht werden sie, wenn sie Öl und Kohle adé sagen, für neue Leistungskernreaktoren optieren? So wie es in China bereits gemacht wird? Oder in Osteuropa?
Sie sprechen im Namen der ganzen Welt, ohne zu fragen, ob die das überhaupt möchte. Von wem wurden Sie zur Sprecherin gewählt? Sie sitzen allein als Vertreterin eines Aktivistenvereins in der Kohlekommission. Doch vielleicht würde die „Welt“ lieber die Kollateralschäden von Windkraftanlagenbau im Industriemaßstab diskutieren, oder die Schadstoffbilanz der PV-Platten-Produktion?
Oder vielleicht haben die „kommenden Generationen“, die ganze „Welt“ auch nur einen ganz bescheidenen Wunsch: bezahlbaren und sicher verfügbaren Strom als Währung der Zukunft – um Bildung, soziale Gerechtigkeit und technischen Fortschritt zu ermöglichen?
Stillstehende Windräder in Flautewochen und Solarparks in der Nacht werden diese Aufgabe nicht bewältigen können, denn bezahlbare Speichertechnologie gibt es auf absehbare Zeit nicht.
Oder vielleicht hat die „Welt“ auch genug vom deutschen Energiewende-Standort-Chauvinismus, der die Nachbarn mit Druck aus Berlin auf den deutschen Weg prügeln will, und sich die moralische Verbrämung dafür von „Klimaheldinnen“ wie Ihnen holt? Doch à propos Klimahelden. Warum kämpfen Sie nicht dafür, dass dieser Titel auch, sagen wir, der Belegschaft des deutschen KKW Grohnde verliehen wird? Die Kollegen halten immerhin den Block-Weltmeistertitel nicht nur in der Disziplin Stromerzeugung, sondern sogar in der Disziplin CO2-arme Stromerzeugung.
Ich finde das inkonsequent. Ich glaube, wir sollten mal reden: von Frau zu Frau, von Mutter zu Mutter, von Tagebaukante zu Tagebaukante. Gerne im rheinischen Revier, meiner Heimatregion. Gerne auf einem Podium Ihrer Wahl. Gerne mit der Jugend. Gerne über die Zukunft. Glück auf!
Ihre Anna Veronika
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