Was passiert, wenn die Regierung mit dem Volk diskutieren will, aber ihren Job nicht ernst nimmt? Das Volk checkt die Fakten selbst. Unsere Autorin hat sich angesehen, wie das Umweltministerium Energiepolitik darstellt.

Es kommt wieder etwas Bewegung in die klima- und energiepolitische Diskussion. Im Westen tobt die Braunkohlen-Kontroverse, und der Bundesrechnungshof nörgelt über Geldverschwendung bei der Energiewende-Förderung. Nach Jahren des Schweigens und Desinteresses wagen sich neuerdings einige Nuklear-Ketzer hervor und sagen, man solle doch noch einmal kritisch über das 2011 beschlossene deutsche Kernenergie-Verbot nachdenken. Und wie es der Teufel will, kündigt ausgerechnet jetzt die Klima- und Atomausstiegs-Kanzlerin ihr persönliches Laufzeitende an. Ironischerweise wird sie‘s nicht länger machen als das letzte deutsche Kernkraftwerk.

Diskutieren à la BMU

Das ist gefährlich, dachte sich offenbar das SPD-geführte Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit. Damit niemand auf falsche Gedanken kommt, verbreitete es am vergangenen Dienstag auf den sozialen Netzwerken einen hausgemachten „Faktencheck“ über die Kernenergie und kündigte an, dass das Volk darüber auch mit dem zuständigen Staatssekretär Jochen Flasbarth diskutieren dürfe, allerdings nur auf Twitter, und nicht ohne klarzustellen, dass es eigentlich gar nichts zum Diskutieren gebe:
„Mit Atomkraft gegen den Klimawandel? Höchste Zeit, diese und weitere gängige Behauptungen einem Faktencheck zu unterziehen. Und es bleibt dabei: Bis spätestens 2022 wird in Deutschland das letzte Atomkraftwerk abgeschaltet.“
Was dann kam, ließ einen daran zweifeln, ob wir es hier mit einer Bundesbehörde zu tun haben, der unter anderem auch die Oberaufsicht über unsere Kernkraftwerke obliegt, oder nicht vielmehr mit einem Fall von Urkundenfälschung. Denn es sah eher so aus, als betreibe Greenpeace unter missbräuchlicher Verwendung staatlicher Hoheitszeichen in einer Bundesliegenschaft eine Anti-Atom-Flugblatt-Druckerei.

Grüne Häkchen, rote Kreuzchen

Garniert mit grünen Häkchen, präsentierte uns das Ministerium, was wir zu denken haben:

„Atomstrom ist keineswegs CO2-neutral“, „Unsere Stromversorgung ist sicher“, „Deutschland produziert Strom im Überfluss“. Und es versah mit einem fetten roten Kreuz, was man besser nicht denken sollte: „Atomkraft hilft beim Klimaschutz“, „Ohne AKWs gehen die Lichter aus“.

Dabei bediente sich das BMU des beliebten Tricks, Aussagen zu falsifizieren, die in dieser Form gar nicht gemacht wurden. Denn niemand behauptet, die Kernenergie sei „CO2-neutral“ – selbst die Erneuerbaren sind es nicht. Auch sagt niemand, ohne Kernkraftwerke säßen wir im Dunkeln; dieses historische Verdienst gebührt allein dem aus heutiger Sicht prähistorischen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Filbinger, der bekanntlich gesagt hat, ohne das (nie gebaute) KKW Wyhl gingen im Ländle die Lichter aus.

Doch heute sind wir näher dran am Notstromfall als damals, wie jeder Lastverteiler – würde ihn das Ministerium denn mal fragen – bestätigen könnte: Noch gehen bei uns die Lichter nicht aus. Aber weil das Energiewende-Endsieg-gewisse Deutschland beabsichtigt, der Kernenergie auch noch die Braunkohle hinterherzuschmeißen, wird es eng mit der gesicherten Leistung.

Es bleiben dann nur mehr Pumpspeicher, Wasserkraft und Biomasse-Verstromung nebst (noch zu errichtender) Gaskraftwerke als Backup-Struktur für die wetterabhängigen Wind- und Solarkraftwerke – viel zu wenig, um die in Flautewochen und bei Dunkelheit fehlende Erneuerbaren-Leistung zu ersetzen. Was die Erneuerbaren bedauerlicherweise häufig tun – Strom zu produzieren, wenn keiner ihn braucht – bejubelt das BMU hingegen als „Strom im Überfluss“.

Und hier kommt das Volk

Doch hat das BMU wohl nicht mit dem Volk gerechnet, das es unter seinen Bedingungen zur Diskussion einlud. Etliche Bürgerinnen und Bürger nahmen die Einladung an – allerdings nicht in des Ministeriums Sinne. Denn das Volk hat den „Faktencheck“ des BMU einer, wie man im Kernkraftwerk sagen würde, strengen wiederkehrenden Prüfung unterzogen. Weniger vornehm ausgedrückt: es kam zu einem veritablen Fakten-Shitstorm.
Und das war nicht der erste. Denn die Bundesregierung ist bereits in der Vergangenheit mit kuriosen Eigenfakten auffällig geworden, so im Jahr 2016 mit einer Facebook-Traueranzeige über die 18.000 Opfer des Reaktorunfalls von Fukushima, die in Wirklichkeit beim
Großen Tohoku-Seebeben vom 11. März 2011 und dem darauffolgenden Tsunami umkamen.
In dieser Woche legte das Volk den Öffentlichkeitsarbeitern des Umweltministeriums unter anderem nahe, mal die einschlägigen Studien zum Thema zu lesen – darunter auch auf der Ministeriums-Webseite verlinkte. Diese Studien kommen nämlich, wie auch die sonstige Fachliteratur, übereinstimmend zu dem Schluss, dass Atomstrom keine CO2-Direktemissionen bewirkt. Mit Bezug auf die gesamte Produktionskette vom Uranabbau bis zur Steckdose steht Strom aus Kernkraftwerken ähnlich gut da wie Windstrom, und wesentlich besser als Solarstrom (nachzulesen auf Englisch hier S.7, oder gut verständlich in deutscher Sprache hier). Weil die Kernenergie einen ähnlichen carbon footprint aufweist wie Erneuerbare, wird sie vom Weltklimarat IPCC folgerichtig als eines der Instrumente für die Defossilisierung der Energiewirtschaft genannt – eine Tatsache, die das BMU lieber nicht so genau zur Kenntnis nehmen mag.

Achtsamkeits-Gedöns als Fakten-Ersatz

Doch wie antwortet nun das BMU der Volks-Schwarmintelligenz? Nicht etwa mit einer Diskussion der angeführten Studien, sondern mit Links auf Informationen einer Webseite namens „Time for Change“, die sich ausweislich ihrer Startseite auf Achtsamkeits-Prosa spezialisiert hat, und wo man unter vielem anderen Krimskrams auch Infos über Seelen-Reinkarnation geboten bekommt.

Dort werden die CO2-Emissionen von Kernstrom im Vergleich zu den in der Fachliteratur genannten Werten sechs- bis siebenfach höher veranschlagt. Die obskure Webseite verlinkt wiederum auf  einen „independent consultant“ in den Niederlanden. Offensichtlich wurden diese Angaben weder problematisiert noch überprüft, weil sie eben in den Kram passten. Das ist einfacher, als die im eigenen Hause ohne Zweifel vorgehehaltene Expertise zu nutzen oder dicke Studien renommierter Forschungsinstitute zu wälzen.

Womit wir wieder bei unserer Eingangs-Beobachtung wären: Wer oder was ist das Umweltministerium? Und wer kontrolliert eigentlich, was dieses Haus an Textproduktion verlässt? Es ist unter anderem letztverantwortlich für die atomrechtliche Aufsicht über kerntechnische Anlagen und deren Betreiber, welche in Auftragsverwaltung von den Bundesländern durchgeführt wird. Zu seinem Auftrag zählt jedoch weder, gegen jene Anlagen Stimmung zu machen, die es beaufsichtigen soll, noch, sich als NGO mit Bundesadler-Deko aufzuführen. Das Ministerium sollte folglich sein Social-Media-Team dahin schicken, wo es hingehört: zur Umwelthilfe, zum BUND oder zu Greenpeace, oder meinetwegen auch auf die Bäume im Hambacher Forst.