Was sich so in meinem Notizbuch angesammelt hat – 6. Dezember 2019

Die Hochwasser in Venedig, so konnte man lesen, würden immer höher – deswegen habe die Stadt kürzlich die größte Überschwemmung seit mehr als 50 Jahren erlebt. Die Alpengletscher, so kann man ebenfalls lesen, gingen in einem nie dagewesenen Ausmaß zurück – und geben dabei interessante von Menschen hergestellte Gegenstände preis. Im letzten Winter fuhren Reporter ins schöne oberbayerische Tal der Jachenau, parkten auf dem Dorfplatz und berichteten dann live von einem Ort, der von der Außenwelt abgeschnitten sei. Sollte man in der Journalistenausbildung nicht vielleicht doch versuchen, wenigstens minimale Grundkenntnisse auf dem Gebiet der Logik zu vermitteln?

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Als vor rund 30 Jahren die Menschen auf der Berliner Mauer tanzten und die herbeigeeilten Reporter erste Straßeninterviews machten, konnte man gut beobachten, wie sehr sich die Sprache in einer Diktatur von der in einer Demokratie unterscheidet. Viele Menschen klagen heute darüber, dass man seine Meinung nicht frei äußern könne, und tatsächlich ist der Druck, mit dem Gesellschaft und Medien sozial erwünschtes Verhalten einfordern, beträchtlich. Doch das ist nichts im Vergleich zu dem, was die Menschen in der Diktatur aushalten müssen. In der Demokratie droht bei Verstößen gegen den Kanon der Political Correctness „nur“ die – meist vorübergehende – gesellschaftliche Ächtung. In der Diktatur dagegen kann ein falsches Wort das ganze weitere Leben zerstören. Die Folge ist, dass Menschen in freien Gesellschaften oft sorglos drauflos plappern und ihre Gedanken erst beim Sprechen weiterentwickeln. Die Denkpausen werden dann mit Füllwörtern wie „äh“ und „also“ überbrückt, nicht zu Ende gedachte Formulierungen mit abschwächenden Hinzufügungen wie „irgendwie“ „sozusagen“ oder „ich sag‘ mal“ ergänzt. In der Diktatur wird dagegen jedes Wort gedanklich dreimal geprüft, bevor es ausgesprochen wird. Das führt zu viel größerer Präzision und Dichte der Sprache, aber auch zu einer gewissen Starrheit. Interviewten nun die Reporter am 9. November 1989 Westdeutsche oder Berliner aus dem Westen der Stadt, riefen die Dinge wie „Wahnsinn!“, „Unglaublich!“ oder redeten unzusammenhängend und brachen mitten im Satz ab, um ungehemmt zu jubeln. Ostdeutsche dagegen neigten dazu, stockend, aber druckreif Sätze hervorzubringen wie: „Ich – würde – dieses – Ereignis – positiv – beurteilen.“ Nur kein falsches Wort und keines zu viel.

30 Jahre später wurde nun im Deutschlandfunk der 1988 in Stralsund geborene Rapper Hendrik Bolz interviewt. Er sprach sehr interessant über sein Aufwachsen in Ostdeutschland und seine Sicht auf die deutsche Einheit. Und er tat dies, vermutlich ohne sich dessen bewusst zu sein, in gänzlich westdeutscher Sprache: Seine Aussagen wimmelten nur so von Füllwörtern wie „also irgendwie“, „quasi“, „meinetwegen“ usw. Die Deutsche Einheit ist zumindest auf dem Gebiet der Sprache viel weiter fortgeschritten als angenommen wird.

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Ich habe ein problematisches Verhältnis zu Mobiltelefonen. Eigentlich habe ich nichts gegen sie, manchmal sind sie sehr praktisch, andererseits bimmeln sie immer dann, wenn man sie nicht braucht. Und ich brauche sie selten, denn meistens bin ich im Büro oder zuhause, wo ich leicht per Festnetz zu erreichen bin, oder ich fahre Auto oder bin in Besprechungen, wo ich ohnehin nicht telefonieren kann und will. Folglich brauche ich das Mobiltelefon kaum, und wenn ich es mal brauche, funktioniert es nicht, weil die Batterie leer ist oder die Mobilfunkgesellschaft mal wieder den Vertrag gekündigt hat, weil man mit mir nicht genug Geld verdienen kann. Manche Freunde bringt das schier zur Verzweiflung, weil sie sich gar nicht mehr vorstellen können, dass man nicht ständig mit dem Telefon in der Jackentasche herumläuft. Als ich einem dieser Freunde kürzlich mitteilte, dass ich gerade wieder einmal ein funktionierendes Handy habe, antwortete er trocken, er habe statt dieser Nachricht eigentlich eher mit einem Blogeintrag zu dem Thema gerechnet. Dieser Erwartung werde ich gerne gerecht mit einem Hinweis auf Johannes Gross, der schon vor zwei Jahrzehnten feststellte, dass viele, die ständig mit ihren Mobiltelefonen hantieren, damit zwar gerne den Eindruck erwecken möchten, sie seien sehr wichtig, tatsächlich aber beim Betrachter den gegenteiligen Effekt erzielen, denn, so schrieb Gross, wer immer erreichbar sein müsse, gehöre zum Personal.

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Ein Beispiel dafür, dass viele Werbeleute offensichtlich nicht in der Lage sind, sich in die Wahrnehmung der Kunden hineinzuversetzen, sind die Werbeplakate für Sonderverkäufe im Einzelhandel. Seit einigen Jahren gibt es nirgendwo mehr einen Schlussverkauf. Stattdessen scheinen alle Geschäfte in den Salzhandel eingestiegen zu sein.

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Seit Jahren ziehen Bußprediger durchs Land, die einem erzählen, früher seien die Lebensmittel viel gesünder gewesen. Man habe gewusst, was man esse, während heute die „Lebensmittelindustrie“ (der Begriff soll wohl schon suggerieren, es handele sich dabei um die Mafia) versuche, die Konsumenten mit rätselhaften Zusatzstoffen hinterhältig zu vergiften. Für diese Prediger und ihr Publikum mag die Geschichte des Hamburger Schlachtermeisters Kord Struve aus dem 17. Jahrhundert interessant sein, der in der ganzen Stadt für seine besonders guten Leberwürste gelobt wurde. Nach seinem Tod fand man sein geheimes Rezept. Es lautete: „Nehmt Leber für Eure Leberwurst!“

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In der „Welt“, auf ihrer Internetseite immer für einen lustigen Fund gut, lese ich die Schlagzeile „Die Welt, die wir kennen, geht dem Ende entgegen.“ Das soll wohl alarmierend wirken, doch es ist ein Satz von ewiger Gültigkeit: Er war immer wahr, er ist wahr und er wird wahr bleiben bis zum Ende der Tage. Er ist damit nicht alarmierend, sondern banal. Doch es sagt viel über unsere Zeit aus, dass er als alarmierend interpretiert wird.