Was sich so in meinem Notizbuch angesammelt hat – 2. Februar 2018

Bei der ohne Zweifel wichtigen Diskussion um die Bedeutung von Verschwörungstheorien wird meistens übersehen, dass es zwei Arten von Verschwörungstheorien gibt, die man unbedingt voneinander unterscheiden sollte: Falsche und richtige.

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Nur durch pausenloses Arbeiten, erklärte Elisabeth Noelle-Neumann sehr bestimmt in kleiner Runde, könne man wirklichen beruflichen Erfolg haben. Pausen, Urlaub, Freizeit, Familie, Privatleben, das alles müsse konsequent zurückgestellt, der beruflichen Tätigkeit vollkommen untergeordnet werden. Nach einigen Sekunden betretenen Schweigens antwortete ihr Mann, Heinz Maier-Leibnitz, Professor der Kernphysik, Erbauer des ersten deutschen Forschungsreaktors, ehemaliger Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft und nur deswegen nicht Nobelpreisträger, weil er auf die Auszeichnung zugunsten seines Schülers Rudolf Mößbauer verzichtet hatte: „Also wenn ich mir das so anhöre, dann wundere ich mich, dass aus mir was hat werden können.“

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„’Zu unserer Politik gibt es keine Alternative’ beteuert der Politiker, wenn die Öffentlichkeit eine diskutiert. ‚Das ist kein Thema’ ruft er, wenn von eben diesem die Zeitungen voll sind. Die empörte Ablehnung des Diskurses, die die dummen Formeln aussagen, wird nicht übel- sondern hingenommen.“ Wer hat’s geschrieben und wann? Es war Johannes Gross am 7. September 1984. Manche Argumentationsmuster der Regierenden mögen ärgerlich sein, doch sie sind lange nicht so neu und unerhört, wie diejenigen behaupten, die ihre Legitimation auf die Empörung darüber zu gründen versuchen.

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Wenn man eines fernen Tages einmal wirklich ernsthaft die Geschichte des Aufkommens populistischer Bewegungen am Anfang des 21. Jahrhunderts in der westlichen Welt aufarbeiten sollte, wird man sich mit der jahrzehntelangen Banalisierung der Politik durch führende Massenmedien bei gleichzeitig maßloser Selbstüberschätzung und Selbstbezogenheit weiter Teile des Medienbetriebes beschäftigen müssen. In Talkshows unterhalten sich großenteils Moderatoren mit anderen Moderatoren, weil sie diese anscheinend für die interessantesten Menschen halten. Politische Redaktionen finden es offensichtlich angemessen, Künstler und Schauspieler über Fragen der Energieversorgung diskutieren zu lassen. Auf den Gedanken, zu einem solchem Thema einen Ingenieur oder Physiker einzuladen, kommen sie in der Regel nicht. In Amerika hielt kürzlich eine Talkshowmoderatorin bei einer Preisverleihung eine fulminante Rede, und landauf, landab glauben nun Journalisten allen Ernstes, sie habe sich damit für das Präsidentenamt qualifiziert. Da darf man sich nicht wundern, wenn die Bürger, denen auf diese Weise Politik vermittelt wird, irgendwann beginnen, nicht die kompetentesten Fachpolitiker, sondern die besten Showmaster zu wählen. Hätte es schon vor 70 Jahren die heutigen Massenmedien gegeben, wäre nicht Konrad Adenauer der erste Bundeskanzler geworden, sondern Heinz Rühmann.

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Eine kirchliche Akademie hatte mich eingeladen, etwas über die Stellung des Christentums in der Gesellschaft zu sagen. Ich berichtete von der Erosion des Glaubens in Deutschland, von der sinkenden Zahl der Kirchenbesucher, dem Rückzug christlicher Bräuche aus dem Alltag. Alles hieb- und stichfeste Befunde, leicht nachzuprüfen. Meine Gastgeber, sehr nette und gebildete Leute, hörten sich das alles geduldig an. Dann sagten sie mir mit ganz heiterer Gewissheit: „Das glauben wir nicht.“

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Egal ob von koalitionsverhandelnden Parteien erhoben oder von Interessengruppen, Stiftungen, Umweltschutz-, Menschenrechts- oder karitativen Organisationen, von Gewerkschaften oder Wirtschaftsverbänden – mindestens 99 Prozent aller politischen Forderungen beginnen mit dem Halbsatz: „Wir fordern mehr Geld für…“. Wenn es darum geht, anderer Leute Geld auszugeben, kennen die Phantasie und die Skrupellosigkeit anscheinend keine Grenzen.

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Es täte ihr leid, sagte Tante Christa etwas beschämt bei der Familienfeier, der Kuchen sei wohl etwas trocken geraten. „Och, mit Kaffee geiht dat.“ antwortete Tante Minna fröhlich mampfend. Mir scheint das ganz allgemein ein kluges Lebensmotto zu sein.

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Durch die Presse ging vor einigen Tagen eine Welle zur Schau getragener Empörung: Die Automobilindustrie habe mit Tierversuchen die Schädlichkeit von Autoabgasen untersucht. Ein paar Tage später noch größere Empörung: Es habe auch Versuche mit Menschen gegeben. Wissen die Leute denn gar nicht, was sie da schreiben? Es mag ja sein, dass in dem konkreten vorliegenden Fall die Versuche falsch angelegt waren. Aber generell gilt: Jedes Produkt, das potentiell gesundheitsschädlich ist, wird getestet, ob man will, oder nicht. Die Frage ist nur, wie es getestet wird: Wenn es keine Tierversuche geben darf, wird das Produkt ohne vorherige Absicherung an Menschen getestet. Und wenn es keine kontrollierten Labortests mit freiwilligen Versuchspersonen geben darf, dann gibt es als zwangsläufige Folge den unkontrollierten Feldversuch mit Menschen, die nichts davon wissen und sich nicht dagegen wehren können. Es ist verständlich, dass viele Bürger diese Konsequenzen ihrer Haltung zu Laborversuchen nicht überblicken. Bei Journalisten ist es schon weniger verständlich. Dass aber auch die Bundeskanzlerin, die es als Naturwissenschaftlerin besser wissen muss, glaubt, in den Chor der demonstrativ Empörten einstimmen zu müssen, enttäuscht einen trotz allem auch nach 12 Jahren noch. Ein wirklicher Grund zur Empörung wäre es, wenn die Hersteller solche Versuche nicht unternehmen würden.

 

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Thomas Petersen berichtet in der Reihe „Mein Books of Kells“ in unregelmäßigen Abständen über das, was sich über die Jahre in seinem Notizbuch angesammelt hat. Die „Mein Book of Kells“-Reihe kann hier nachgelesen werden.