Mullahs‘ little helper
Deutschland entsagt den iranischen Protestierenden einmal mehr die Unterstützung. Ohne die könnte es aber bald sehr eng werden.
Seit rund zwei Wochen demonstrieren mutige Iraner und Iranerinnen auf den Straßen. Gründe gibt es dafür reichlich. Vor allem die miserablen ökonomischen Zustände sind es, die für Unruhe sorgen. Besonders präsent ist die Forderung nach einem Ende des iranischen Expansionismus und die Rückbesinnung des Staates auf sein eigenes Staatsgebiet – und seine Bürger und Bürgerinnen. Die Parole “Nicht Syrien, nicht Gaza, mein Leben für den Iran” spricht eigentlich für sich.
Zu Gast bei Freunden
Bloß die Deutschen glauben es einmal mehr besser zu wissen. Omid Nouripour, MdB der Grünen, sieht lediglich “sozioökonomische Missstände” als Triebfeder. Dass der Tenor der Demonstranten die Absetzung der Islamischen Republik als solche fordert, lässt er unter den Tisch fallen. Doch auch andere deutsche Institutionen sind nicht viel hilfreicher. Wie die BILD berichtete, war Ayatollah Mahmud Schahrudi – von 1999 bis 2009 Justizchef des Iran – seit dem 21. Dezember vergangenen Jahres in in einer niedersächsischen Privatklinik behandelt worden – auf Geheiß des Auswärtigen Amts. Während seiner Regentschaft hat Schahrudi mindestens 2000 Todesurteile unterzeichnet, gegen Minderjährige, Vergewaltigungsopfer, Angehörige religiöser Minderheiten und Homosexuelle. Nun floh er vor laufenden Ermittlungen der Generalbundesanwaltschaft (GbA) – mit dem Linienflug zurück nach Teheran. Auch das, so darf man vermuten, mit voller Kenntnis deutscher Würdenträger. Noch-Außenminister Sigmar Gabriel, der Schahrudi den Aufenthalt in Deutschland garantiert haben soll, hat dafür bereits angekündigt, seinen iranischen Kollegen Jawad Zarif „bereits nächste Woche“ einladen zu wollen.
Nicht nur Deutschland wurde durch die Iran-Proteste auf dem falschen Fuß erwischt: In Europa fürchtet man bereits das Ende gewinnbringender Geschäfte und den Verlust eines liebgewonnenen Partners. Was die von Federica Mogherini getwitterte Phrase “We will continue to monitor the situation” eigentlich meint: “Wir gucken mal, wie lange ihr noch durchhält.”
Trotz mangelnder Unterstützung aus dem Ausland haben die Iran-Proteste nach wie vor kein Ende gefunden. Noch scheinen sich die Protestierenden in ihrer Ablehnung des Regimes einig zu sein. Doch sobald sich die ersten Straßenkämpfe mit den Sicherheitsbehörden in einen handfesten bewaffneten Konflikt transformieren, wird sich zeigen, ob und unter welchem Banner sich die Protestierenden sammeln.
Es bleibt kompliziert
Wenngleich die Proteste in der Stadt Mashhad – einer Hochburg konservativer Kräfte – ihren Anfang nahmen, wird sich die Suche nach dem alle einenden Oppositionsführer schwierig gestalten. Einerseits sind die Proteststrukturen aus dem Jahr 2009 zerstört, andererseits sind es diesmal vor allem untere Mittelschichtsangehörige und Unterschichtsangehörige, die auf die Straße gehen. Zusätzlich dürften sich bald auch die ersten Widersprüche in den Reihen der iranischen Protestierenden offen zeigen. Nicht-persische ethnische Minderheiten machen rund 40 Prozent der Gesamtbevölkerung aus und haben oftmals eine lange Geschichte der Unterdrückung und Verfolgung hinter sich. Eine, die oft bis vor die Zeit der Islamischen Republik zurückreicht – aber bis heute andauert.
So forderte die überwiegend arabisch sprechende, sunnitische Bevölkerung in der nordwestlich gelegenen Region Khuzestan rasch nach der Ausrufung der Islamischen Republik 1979 die Unabhängigkeit – und wurde prompt durch den iranischen Sicherheitsapparat zusammengeschossen. Auch heute existiert mit der “Ahwaz Liberation Organisation” (ALO) eine arabisch-nationalistische Gruppierung, welche die Abspaltung vom Iran fordert. Selbst wenn unter der mehrheitlich persischen Bevölkerung im Iran Solidarität und Empathie für die arabische Minderheit vorherrschen sollte, sind Konflikte vorprogrammiert: Die ALO kämpfte während dem Iran-Irak-Krieg auf der Seite Saddam Husseins, der Ahwaz als Teil des Irak für sich beanspruchte.
Auch in den kurdischen Gebieten des Iran brodelt es schon länger. Zwischen 2004 und 2011 lieferte sich die kurdische PJAK (Partei für ein Freies Leben im Iran) andauernde Scharmützel mit iranischen Revolutionsgarden. Die PJAK gilt als iranisches Äquivalent zur PKK – auch die PJAK hat ihren Rückzugsort in den nordirakischen Qandil-Gebirgen. Während die PJAK mittlerweile vermehrt in der Türkei an der Seite der PKK kämpft, ist die PDKI (“Demokratische Partei Kurdistan-Iran”) bis heute in der überwiegend kurdischen Region Mahabad aktiv. Nach 1979 hoffte die PDKI auf die kurdische Autonomie – eine Hoffnung, die mit der Bombardierung Mahabads ein jähes Ende fand. Auch auf die PDKI werden persische Nationalisten nicht gut zu sprechen sein, sie kämpfte im ersten Golfkrieg auf der Seite Saddam Husseins.
In den südöstlichen Gebieten des Iran, in Belutschistan und Sistan, gibt es ebenfalls länger schon separatistische Tendenzen. An der Grenze zu Pakistan und Afghanistan konnten sich mehrere sunnitische Terrororganisationen etablieren, allen voran die “Jundallah” – die “Soldaten Gottes”, die der Iran seit 2007 als “Staatsfeind Nummer Eins” und als verlängerten Arms Pakistans sieht: 2005 wurde auf den Wagen des damaligen Präsidenten Mahmud Ahmadinejad ein Attentat verübt, 2009 jagte sich ein Selbstmordattentäter in einer schiitischen Moschee in der Belutschistan Provinz in die Luft. Es wird angenommen, dass die Jundallah ein Ableger in den 1980ern gegründeten “Baluchistan Autonomist Movement” ist, welches während dem Iran-Irak-Krieg durch Saddam Hussein unterstützt wurde.
Von nichts kommt nichts
Die zentrale Lehre des syrischen Bürgerkriegs hat Erich Kästner lange vor meiner Zeit ausgesprochen: “Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.” Saudi-Arabien oder Pakistan werden es sich wohl kaum entgehen lassen, eine sunnitische Rebellion in den Grenzgebieten zu entfachen – um ihren Erzfeind Iran zu destabilisieren. Auf Destabilisierung folgt – das ist die zentrale Lehre aus dem syrischen Bürgerkrieg – immer auch Chaos und Interessenskollision. Um diesen fatalen Entwicklungen zuvorzukommen, sollten westliche Staaten – allen voran die USA – militärisches Know-How für die Protestierenden bereitstellen, um ein Vakuum gar nicht erst entstehen zu lassen.
Deutschland sollte in der Zwischenzeit zumindest darüber nachdenken, die über Jahre hinweg hofierten “Iran-Experten” auszutauschen. Wenn ein Adnan Tabatabai im Deutschlandfunk davon spricht, dass “politische Veränderungen nicht zu erwarten”, die “Gewaltsituation sehr undurchsichtig” sei und er nicht wisse, “wer da auf der Straße ist”, sollte man sich vielleicht fragen, ob er tatsächlich ein Experte ist – oder nicht doch vielmehr ein plumper Iran-Lobbyist. Anderswo findet bereits ein Umdenken statt: Selbst linksliberale Trump-Gegner wie Bernie Sanders oder so mancher New York-Times-Kolumnist stellen sich ostentativ hinter die iranischen Protestierenden. Good Old Europe leider nicht.
Lift the Ban!
Selbst Donald Trump’s Tweets zum Iran klingen ungewöhnlich gesittet, haben aber – auch wenn der deutsche Rundfunk etwas anderes behauptet – nur einen geringen Effekt. Allerdings bieten sich weitere proaktive Wege an, um die Proteste zu unterstützen. Etwa wäre es eine Möglichkeit, Kommunikationswege für Protestierende im Iran offen zu halten und Firmen, die Technologie liefern, welche sich zur Zensur oder Unterdrückung der Kommunikation eignen, zu sanktionieren. Andrew Peek, frisch gekürter Mann für den Iran im State Department, plant bereits neue Sanktionen gegen die iranischen Einheiten, welche für die Niederschlagung der Proteste verantwortlich sind.
Richard Haass, Präsident des Council on Foreign Relations, schlug jüngst vor, Daten zu veröffentlichen, welche die Kosten des einzelnen Iraners für die Auslandseinsätze der iranischen Spezialeinheiten auflisten würden. Ein viel wichtigerer Schritt wäre allerdings die Aufhebung des Travel-Bans. Das Einreiseverbot für iranische Staatsbürger ist ein Unding an sich – die Aufhebung wäre ein wirkliches Signal an der Solidarität. Gerade im Rahmen iranischer Umsturzprozesse flohen viele Iraner ins Exil. Viele könnten auch in die USA fliehen – wenn Trump es nur zulässt.
Schlimmeres verhindern
Sollte der Iran Hizbollah-Truppen aus Syrien oder dem Irak ins Inland umquartieren, um die Aufstände niederzuschlagen, werden die Demonstrierenden militärisch unterlegen sein. Es bleibt abzuwarten, ob Zusammenhalt gegenüber den iranischen Söldnern die unterschiedliche Geschichte der Regimegegner überdauern wird – oder es zu ersten Spaltungen kommen wird. Fakt ist: Sie werden jede Form der Unterstützung benötigen.
Ob Säkularismus oder Sezessionismus: Das entscheidende Argument für die Unterstützung der Proteste ist nicht die Motivation der Demonstrierenden, sondern die Natur des Regimes: Der Iran ist der Hauptsponsor des weltweiten Terrorismus und mitverantwortlich für die kontinuierliche Barbarisierung in Syrien, Jemen und Gaza. Wer Frieden, Freiheit und Demokratie im Nahen Osten will, muss den Niedergang dieser Diktatur begrüßen – ganz gleich, ob die Proteste unter dem Banner der Frauenrechte, oder Ausdruck des Kampfes gegen Lohnungleichheit sind.