Integration heißt Entgegenkommen. Ein Artikel aus der „Sächsischen Zeitung“ zeigt, was möglich ist, wenn beide Seiten in Deutschland sich in der Mitte treffen: Bei ihrer Abneigung gegen Israel.

Sachsen, Sachsen, Sachsen: Spätestens seit 2014 erstmals die erzgebirgischen Funktionsjackenrentner mit Wirmer-Flaggen über den Dresdner Theaterplatz zogen, ist der Ruf des Freistaates arg ramponiert. Heute, mehr als drei Jahre später, gilt Sachsen mehr oder weniger als Inkarnation all dessen, was in Deutschland im Allgemeinen und im Osten im Besonderen schiefläuft.

Sicher ist dabei der eine oder andere auch nicht undankbar für die handliche Projektionsfläche, die Sachsen für alle etwaigen Vorurteile über die neuen Bundesländer so hergibt, die Probleme allerdings sind sehr real, und Ortsnamen wie Freital oder Heidenau, Clausnitz oder Bautzen erzählen ihre eigene Geschichte.

In all dem medialen und realweltlichen Elend sind positive Meldungen daher umso erfrischender. Die Story, die heute in der Sächsischen Zeitung lief, hätte so eine Meldung sein können: Ein junger Syrer aus der Nähe von Damaskus, dem Krieg entronnen, in Dresden angekommen. Er darf seine Frau nachholen, kann in Sachsen neu anfangen. Er findet Aufnahme in einem interreligiösen Kulturverein, einer Art Anti-Pegida, wird dort von einem Solisten der Sächsischen Staatskapelle zum Weihnachtsessen eingeladen. Kurzum, es liegt alles auf dem Tisch, was eine klassische Feelgood-Story so braucht. Es hätte so gut werden können.

Bar jeder Reflexion

Hätte. Denn der Artikel von Jane Jannke, der in der SZ tatsächlich über den Flüchtling namens Bashar Saleh erschien, ist von Feelgood so weit entfernt wie die Palästinensische Autonomiebehörde von demokratischer Kultur: Es geht um Salehs Identität und um sein Verhältnis zu Israel.

Man könnte, allerdings auf Kosten des eigenen Blutdrucks, ein kurzweiliges Partyspiel daraus machen, die vielen Auslassungen, Umdeutungen, Halb- und Unwahrheiten durchzuarbeiten und bloßzustellen, die den Artikel durchziehen. Die nonchalante Blauäugigkeit etwa, mit der die Autorin Salehs Kampf „für die Freiheit seines Landes“ registriert, obwohl er „noch nie einen Fuß auf palästinensischen (sic) Boden gesetzt“ habe. Die wohlwollende Akzeptanz der zugrundeliegenden Blut-und-Boden-Ideologie, die der Autorin Sätze wie „Wie schon seine Eltern wird Bashar als Flüchtling geboren“ bar jeder Reflexion aus der Feder fließen lässt. Saleh mag den Papieren nach vielleicht in Dresden wohnen, in Wirklichkeit hat er gemeinsam mit vielen Gleichgesinnten Domizil in einem grotesken Paralleluniversum bezogen, in dem die Rollen zwischen Gut und Schlecht, zwischen hoffnungslosen Palästinensern hier und der „rechtsgerichteten und ultraorthodoxen“ israelischen Regierung da, klar verteilt sind.

Es ist eine Welt voller eindeutiger Fronten und unbemerkter Widersprüche, eine Welt, in der die Schicksale der Palästinenser „paradoxerweise jenen der Juden in der europäischen Diaspora“ ähneln und Saleh „nicht gegen Juden oder Israel“ protestieren will, uns aber wissen lässt, „[d]er Zionismus ist das Problem“. In der derselbe Saleh über die Staatenlosigkeit seiner Landsleute klagen kann und die Autorin es schafft, Palästina zum Staat zu erklären („[s]eit 1988“) und andererseits die Nicht-Einbürgerung der palästinensischen Flüchtlinge in Syrien als gottgebene Normalität hinzunehmen, während die Zurückweisung des „Rückkehrrechtes“ durch Israel eine himmelschreiende Ungerechtigkeit darstellt.

Gejammere

Überhaupt wird viel gejammert bei Saleh und Jannke. Längst lebt hier „die fünfte Generation Palästinenser wie Gefangene im eigenen Land“, während die „Trumps und Netanyahus“, die „eigentlichen Terroristen“ nach Gusto schalten und walten können.

Die Liste ist endlos. Das Perfide am Jannkes Litanei ist jedoch nicht so sehr ihr Parforceritt durch das eigene Halbwissen, denn das bieten auch andere. Ihre Kunst liegt in der eleganten Verbindung von palästinensischer Selbstgerechtigkeit und deutschem Selbstmitleid. Denn natürlich findet Saleh erst in Deutschland, was er in Israel, Verzeihung: Palästina, nie gefunden hätte: Friedlichen Dialog und aufrichtige Diskussionen mit Menschen, die genau seiner Meinung sind. Beim „Bündnis Interkulturelles Dresden“ läuft er auf einem „Friedenskonzert“ dem Barenboim-Verschnitt Henrik Chaim Goldschmidt über den Weg, dessen israelisch-palästinensisches Middle East Peace Orchestra ihn ebenso als „guten“ Juden ausweist wie Micha Brumlik und den „jüdische[n] US-Historiker … Gershom Gorenberg“ ihre Kritik an der israelischen „Politik der Landnahme und Destabilisierung“.

Jeder nach seiner Façon. Gegen Israel

Notorische Miesepeter mögen bei solchen Formulierungen an Versuche der Schuldumkehr und -entlastung denken. Damit haben sie recht. Oder hätten Sie gewusst, dass „sich einst aus der jüdischen Agonie heraus Terror in Gestalt der frühen paramilitärischen Siedlergruppen in Palästina nährte“? Klar, dass Saleh und seine Crew da heute etwas dünnhäutig reagieren, zumal auch die besonderen deutsch-israelischen Beziehungen oder gar der Holocaust „nicht seine Geschichte“ sind. Nicht sein Bier, das versteht man in Deutschland. So etwas muss auch ausgesprochen, ja sogar akzeptiert werden dürfen, auch bei uns, in Deutschland, auch wenn das alles „aus der Sicht eines Volkes, das sich selbst gegen die Juden so schwer versündigt hat und wiedergutmachen will, schwer nachzuvollziehen“ ist und „und daher oft“, natürlich zu Unrecht, „unter Antisemitismus-Verdacht“ steht.

Keine Frage: Die Virtuosität, mit der die Autorin ein buntes Medley an deutschen Komplexen, arabischen Verkürzungen und gemeinsamen antiisraelischen Projektionen in einen übersichtlichen Text verpackt, verdient Anerkennung. Wenn ihr Artikel auch jedem, der von Israel mehr weiß als das, was er in unregelmäßigen Abständen der Meinungsseite der Süddeutschen entnimmt, als katastrophale, weil besonders gut gemeinte Dummheit erscheinen muss, so macht er doch auch Mut: Die Brücken, die zwischen Flüchtlingen und Deutschen gebaut werden müssen, sie sind oftmals kürzer als gedacht. Selbst in Dresden.