In Ratgebern mahnen Umweltverbände zum Verzicht auf den Konsum vieler Fischarten. Sie seien in ihrer Existenz bedroht. Die aktuellen Daten zum Zustand der Bestände zeichnen allerdings ein anderes Bild.

Folgt man dem aktuellen Fischratgeber, den Greenpeace im Dezember 2016 veröffentlichte, dann bleibt der Teller des umweltbewussten Fischessers ziemlich leer. Mit Ausnahme von Karpfen, Hering und Afrikanischem Wels sind alle aufgeführten Fischarten (insgesamt 47!) dick mit roter Signalfarbe markiert. Das bedeutet: „Finger weg, nicht nachhaltig!“

Da eine solche Pauschalaussage selbst für Greenpeace zu absurd sein dürfte, sind in kleinerer Schrift unter den großen Artennamen Ausnahmen von Beständen aufgeführt, um die es dann doch nicht so schlecht steht. Doch es dominiert der Eindruck einer rot eingefärbten Broschüre mit der Botschaft: Hände weg vom Fisch!

Kein Artensterben auf der Pizza

Ebenfalls rot markiert ist der Thunfisch. Den mögen die Deutschen besonders gern. Mit einem Konsum von mehr als 70.000 Tonnen pro Jahr steht er auf Platz vier der beliebtesten Speisefische hierzulande. „Alle lieben Sushi, alle lieben Thunfisch, auch natürlich auf der Pizza und auf dem Salat und im Sandwich. Leider ist einer der größten und edelsten Fische unserer Meere mittlerweile ganz stark dezimiert. Und vor allem der Blauflossen-Thun, der sogenannte Rote Thun ist auch vom Aussterben bedroht“, erklärt Sandra Schöttner dem Deutschlandfunk.

Was die Meeresexpertin von Greenpeace dabei allerdings nicht erwähnt, ist die Tatsache, dass weder Pizza noch Salat oder Sandwich etwas mit dem Problem zu tun haben. Denn in den beliebten Dosen aus dem Supermarkt steckt kein sündhaft teurer Blauflossen-Thun, sondern zumeist Echter Bonito. Das ist streng genommen gar kein echter Thunfisch, er ist aber mit dieser Gattung sowie mit den Makrelen eng verwandt. Der Bonito, auch Skipjack genannt, macht weltweit knapp 60 Prozent der als Thunfisch gehandelten Fänge aus. Vor allem aber ist er nicht überfischt.

Anders ist das beim majestätischen Roten Thun, der bis zu viereinhalb Meter groß wird. Er gilt als stark gefährdet. Daher wird er seit einigen Jahren besonders geschützt. Das scheint sich auszuwirken: „Die Bestände erholen sich gut“, sagt Dr. Christopher Zimmermann, Leiter des Thünen-Instituts für Ostseefischerei in Rostock.

„Bis an die Grenze“ oder optimal genutzt?

Dass es einigen Fischbeständen nicht gut geht, ist unbestreitbar. Allerdings ist die Gegenüberstellung von mit gutem Gewissen konsumierbaren und angeblich bedrohten Arten unsinnig. Denn entscheidend ist nicht die Art, sondern der Bestand. „Bei fast allen Arten gibt es Bestände in gutem und in schlechtem Zustand“, erklärt Zimmermann. Eine Ausnahme ist der europäische Aal. Dessen einziger Bestand ist in schlechtem Zustand, weswegen die Art vom Aussterben bedroht ist – was laut Zimmermann allerdings nicht auf Überfischung zurückgehe, sondern auf menschliche Einflüsse auf den Lebensraum der Aale.

In welchem Zustand sich die Fischbestände der Welt befinden, lässt sich am besten anhand der Daten der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) einschätzen. Laut den aktuellsten Zahlen (2013) ist etwa ein Drittel der globalen Fischbestände überfischt. „Etwa zehn Prozent befinden sich dabei außerhalb sicherer biologischer Grenzen“, erklärt Dr. Gerd Kraus, Leiter des Thünen-Instituts für Seefischerei in Hamburg.

Wie unterschiedlich dieselben Fakten ausgelegt werden können, verdeutlichen die rund 60 Prozent der Bestände, die laut FAO „fully exploited“, also vollständig verwertet werden. Greenpeace und andere Verbände machen daraus „bis an die Grenze genutzt“ – ein Grund zur Sorge. In den Worten der bereits erwähnten Greenpeace-Meeresexpertin sind „rund 90 Prozent unserer weltweiten Speisefischbestände entweder überfischt oder bereits am Rande der Überfischung“. Beim WWF werden die voll genutzten Bestände in ähnlicher Weise angeführt.

Das ist schon verwunderlich, denn hierbei handelt es sich um den angestrebten Idealzustand – zumindest aus wirtschaftlicher Perspektive, die im Blick hat, dass Fisch eines der weltweit am meisten gehandelten Grundnahrungsmittel ist, das die Ernährung von hunderten Millionen von Menschen sichert. „Fully exploited“ bedeutet optimale Nutzung: maximaler Ertrag bei stabilen Beständen. Statt die Zahlen zu besorgniserregenden 90 Prozent zusammenzurechnen, könnte man also auch sagen, dass bereits bei 60 Prozent der Bestände das Ziel einer nachhaltigen Befischung erreicht wurde. Das eigentliche Problem besteht in diesem Fall darin, dass das Wachstumspotenzial der Fischproduktion durch Fischerei damit auf die etwa zehn Prozent der Bestände beschränkt ist, die als „underfished“ eingestuft sind.

Überfischung ist nicht gleich Überfischung

Bei den überfischten Beständen hingegen müssen die Fangquoten gesenkt werden, um sie nachhaltig zu bewirtschaften. Diese Bestände stehen allerdings keinesfalls alle vor dem Zusammenbruch. „Von Wachstumsüberfischung spricht man, wenn Fische gefangen werden, bevor der Bestand sein volles Wachstumspotenzial entfalten konnte“, erklärt Gerd Kraus. Das habe vor allem wirtschaftliche und weniger biologische Folgen: Der Bestand verliere an wirtschaftlicher Produktivität.

Darüber hinaus gibt es noch die Rekrutierungsüberfischung und die Ökosystemüberfischung. Diese Begriffe bezeichnen Fangverhalten, das Ökosysteme im Meer beschädigt und Fischbestände potenziell stark dezimiert. „Dass eine Art wegen Überfischung ausgestorben wäre, hat es in den vergangenen 100 Jahren aber nicht gegeben“, stellt Kraus klar. Bei Überfischung in Europa gehe es zumeist um Wachstumsüberfischung, die vor allem ein wirtschaftliches Problem und keine biologische Bedrohung darstelle.

„Überfischung ist niemals gut, aber sie ist nicht zwangsläufig eine ökologische Katastrophe“, so Kraus. Das Problem ist: Jeder benutzt den Überfischungs-Begriff, der in sein Weltbild passt und dabei hilft, seine Botschaft zu verbreiten. Und bei Greenpeace ist das eben die simplifizierte Kritik an angeblich leergefischten Meeren.

Und wie steht es um die Bestände vor unserer Haustür? In der Ostsee sind laut dem Thünen-Institut Thun- und Schwertfische überfischt. Ebenso der Dorsch, der jedoch als Kabeljau in der Barentssee oder im östlichen Beringmeer nachhaltig bewirtschaftet wird. „Auch den meisten europäischen Wildlachsbeständen geht es nicht gut, weil sie als Beifang dezimiert werden und Konkurrenz durch Lachse bekommen haben, die aus Aquakulturen entkommen sind“, sagt Christopher Zimmermann.

Beide Thünen-Experten empfehlen, sich beim Kauf von Fisch an das blaue Nachhaltigkeitssiegel MSC (Marine Stewardship Council) zu halten. „Nachhaltiger Fisch-Einkauf ist unglaublich kompliziert. Für den Verbraucher sind die Fakten kaum zu überblicken. Da hilft ein solches Siegel“, sagt Kraus.

Einen Überblick über den Zustand der weltweiten Fischbestände bietet das Thünen-Institut auf dem Portal „Fischbestände Online“. Der ist zwar weniger übersichtlich und eindeutig als rotgefärbte Fischratgeber, dafür aber auch seriöser.

 

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