Den kursierenden Aufruf „Scientists for Future“, mit dem sich tausende Wissenschaftler hinter die „Fridays for Future“-Bewegung stellen, findet unsere Autorin gefährlich. Hier antwortet sie den Initiatoren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Ich würde Ihren Aufruf gerne unterschreiben, denn ich bin Ökomodernistin und will aktiv etwas gegen die Erderwärmung tun.

Doch ich werde ihn nicht unterschreiben. Denn in ihm steht ein Satz, der mich als Technikhistorikerin und Osteuropa-Historikerin zu dem Schluss kommen lässt, dass Sie nicht eine Lösung für die Erderwärmung und die Reduzierung des CO2-Ausstoßes suchen, sondern Ihr tatsächliches Ziel eine gesellschaftliche Großtransformation ist, die mit Zwangsmaßnahmen gegen die individuelle Entfaltungsmöglichkeit und Freizügigkeit von Menschen verbunden sein wird:

„Dieser Wandel bedeutet unter anderem: Wir führen mit neuem Mut und mit der notwendigen Geschwindigkeit erneuerbare Energiequellen ein. Wir setzen Energiesparmaßnahmen konsequent um. Und wir verändern unsere Ernährungs-, Mobilitäts- und Konsummuster grundlegend.“

Ich bin der Auffassung, dass eine erfolgreiche Klimastrategie technologieneutral auf „100 Prozent CO2-arm“, aber nicht auf „100 Prozent Erneuerbar“ setzen sollte. Zu einer 100 Prozent low-carbon-Strategie würde aber vor allem die Kernenergienutzung gehören, so sehr sich der deutschsprachige Raum in einer Sonderwegs-Entwicklung dagegen auch wehrt.

Nur energiedichte Formen der Stromerzeugung werden den Anforderungen einer CO2-armen Industriegesellschaft genügen. Sie werden weder Wasserstoff-Elektrolyse, noch Synthese umweltfreundlicher Treibstoffe, noch Elektromobilität, noch C02-arme Stahlproduktion (um nur einige Eckpunkte einer low-carbon-Industriegesellschaft zu nennen) im erforderlichen Ausmaß ins Werk setzen können, wenn Sie allein auf Niedrigenergie-Formen wie Windkraft und Sonnenenergie setzen. Die erneuerbaren Bandenergien (Wasserkraft und Biomasse) bringen wiederum hohe ökologische Kollateralschäden und/oder Opferbilanzen mit sich, die weit über denen der Kernenergie liegen.

Zwangsweise radikal

Andernfalls riskieren wir eine Gesellschaft, die zwangsweise radikal auf lokale Wertschöpfungs- und Mobilitätsmuster zurückgeworfen wird. Nur eine solche Gesellschaft ist zu 100 Prozent erneuerbar versorgbar. Das ist der Forschungsstand AUCH bei Befürwortern von 100 Prozent EE, die aber diese soziale Transformation wollen. Ich verweise hier auf die Publikationen der Heinrich-Böll-Stiftung, in deren Beirat Europa/Transatlantik ich Mitglied bin: Radical Realism for Climate Justice. A Civil Society Response to the Challenge of Limiting Global Warming to 1,5 *C, insbes. Sean Sweeney, Another Energy is Possible, Heinrich Böll Foundation, 2018 (Publication Series Ecology vol. 44.2).

Wenn Sie mit dem Prestige von Wissenschaftlern einem politischen Aufruf Durchschlagskraft geben wollen, dann müssen Sie auch den Stand der Forschung berücksichtigen.

Ich möchte eine solche Transformation NICHT anstreben. Denn ich will nicht in einer autoritären Postwachstums-Gesellschaft leben, um in einer klimatisch (vielleicht) geretteten Welt zu leben, sondern ich will eine liberale, demokratische Industriegesellschaft, die den Anforderungen der Zukunft genügt. Jene Gesellschaftsform, die Sie da affirmieren, wird keine Industriegesellschaft sein können. Ich vermisse eine selbstkritische Reflexion darüber, ob eine solche Umformung ohne Zwangsmaßnahmen und Gehirnwäsche überhaupt ins Werk gesetzt werden kann. Sie anzustreben, wird nur Leid und neue Probleme erzeugen – lassen Sie sich dies von einer Spezialistin für eine Region sagen, die mit Projekten zur Formatierung „Neuer Menschen“ und radikal gewandelter Gesellschaften im 20. Jahrhundert traumatische Erfahrungen gemacht hat. Ich will auch nicht in einem flächendeckend zur Energie-Installationslandschaft umgeformten Land leben, nur um den Anforderungen der deutschen Fixierung auf Erneuerbare Energien als einzigen Weg zum Klimaschutz zu genügen.

Ich halte die Verengung der Lösungswege auf Erneuerbaren-Wirtschaft, Lebensreform, Große Transformation daher für eine Sackgasse. Und ich prophezeie diesem Aufruf, dass er über die Grenzen unserer deutschsprachigen Diskurse hinaus aus genau diesem Grunde keinerlei Relevanz haben wird. In Osteuropa oder Asien, aber auch in anderen westeuropäischen Ländern werden sich viele WissenschaftlerInnen daher einem solchen  verengten Aufruf nicht anschließen. Dort setzt man auf Kernenergie im Verbund mit EE als komplementäre low-carbon-Strategie. Schweden und Frankreich haben gute CO2-Bilanzen aus einzig diesem Grunde. Ich würde Ihnen daher empfehlen: Kernenergie und Carbon Capture and Storage (CCS) müssen rein in eine gute Klimastrategie und rein in diesen Aufruf. Dann bin ich an Bord.

Ihre Anna Veronika Wendland