Grölen und Pöbeln für die Demokratie oder was ist eigentlich Parlamentarismus?

Ein Parlament gibt sich Regeln. Doch darüber hinaus lebt es von ungeschriebenen Gesetzen, denen sich die Abgeordneten verpflichtet fühlen. Altmodisch (oder verfassungsrechtlich) spricht man hier vom Gewissen, das die Volksvertreter leitet. Tatsächlich geht es jedoch um mehr: Unabhängigkeit, Anstand und Zivilität der Volksvertreter. Diese Normen lassen sich nicht gesetzlich festschreiben, sie sind vielmehr Teil der politischen Kultur einer Nation (oder auch nicht). Ungeschriebene Regeln werden freiwillig eingehalten – aus Respekt vor dem Gemeinwesen, der Öffentlichkeit, der gemeinsamen Aufgabe und dem politischen Gegner. Demokratie ist schließlich staatsbürgerliche Veranstaltung oder wie Ernst-Wolfgang Böckenförde es formulierte: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist.“

Im Angesicht der politischen Auseinandersetzungen unserer Zeit drohen diese einfachen politischen Grundregeln in Deutschland verloren zu gehen. Besonders eindringlich hat dies die letzte Bundestagsdebatte gezeigt. Offenbar gibt es in weiten Teilen des Hohen Hauses eine unstillbare Sehnsucht nach Weimarer Verhältnissen. Reichstag im Bundestag. In den vergangenen Tagen wurde das Wagnis eingegangen, die Grundlagen des freiheitlichen Staates zu verlassen. Hat sich auch schon jemand gefragt, was danach kommt?

Im Deutschen Bundestag gibt es Parteien, die den Konsens der freiheitlichen Demokratie nicht teilen. Das ist, aus demokratischer Sicht, sehr unerfreulich und es stellt sich die Frage wie man darauf reagieren soll. In Teilen der SPD (und nicht nur dort) scheint sich in diesen Tagen die Linie durchzusetzen, dass man beherzt in einen Überbietungswettbewerb mit den rechtsradikalen Populisten einsteigt. Let’s party like it’s 1932. Die Parteivorsitzende, die sich nie zu schade ist, ein Gentleman aus Hamburg und auch der gescheiterte Kanzlerkandidat haben sich hier jüngst besonders hervorgetan. Billiger Applaus war ihnen sicher. In den sozialen Netzwerken haben sie munter mobilisiert und sich von ihren Anhängern für ihren Wagemut feiern lassen. Antifaschisten!

Duma als Vorbild?

Wir stehen am Scheideweg. Möchten wir die Dignität des Bundestages wahren oder gehen wir Richtung russische Duma oder ukrainische Rada oder anderer Krawallanstalten. Wenn uns die liberale Ordnung etwas wert ist, darf die Präsenz demokratiefeindlicher Parteien im Parlament nicht dazu führen, dass wir mit ihnen lustvoll in einem Überbietungswettbewerb an Schmähung und Beschimpfung einsteigen. Dafür ist niemand gewählt, es löst kein einziges politisches Problem, es unterminiert das Vertrauen in den Bundestag und es zerstört die nach 1945 mühsam und mit alliierter Hilfe aufgebaute zivile Kultur Deutschlands. Sollten sich Demokraten wirklich an der Zerstörung des Erbes von 1949 und 1989 beteiligen?

Wer hier in Deutschland ein Parlament vermisst, in dem sich alte Männer deftig prügeln, der wird sich gefreut haben: wir sind auf einem guten Weg. Da hat zuletzt nicht mehr viel gefehlt. Erst kommt die beleidigende Rhetorik, dann fliegen die Fäuste. Carl Schmitt für Arme, Herbert Wehner für Hilfsschüler. Wer setzt den ersten Schlag? Wem hingegen an einer zivilen – durchaus auch heftigen – inhaltlichen Auseinandersetzung liegt, der sollte seine demokratischen Volksvertreter zur Zurückhaltung mahnen. Nicht nur Bonn, auch Berlin ist nicht Weimar. Mit Saalschlachten gewinnt man keine Debatte.

Eskalation, Regelbruch und letztlich auch Gewalt sind in der Politik leider immer eine Option. Doch diesen Weg in den Abgrund sollten wir anderen überlassen. Gelassene Zivilität im Umgang und harte Auseinandersetzung in der Sache sind die Markenzeichen selbstbewusster Demokraten. Darauf gilt es sich zu besinnen.

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Siehe zum Thema auch: „Schönsein gegen Rechts“