Schönsein gegen Rechts
Worte und Argumente sind die mächtigsten Waffen des Parlamentarismus – auch und gerade im Kampf gegen Extremisten. Unglücklicherweise setzen Politiker wie Johannes Kahrs weder das eine noch das andere vernünftig ein.
Wir sind mehr! Das ist das aktuell meistgelikte Argument gegen Rechtsextremismus in Deutschland. Herzlichen Glückwunsch. 1933 ff. waren übrigens die Nazis mehr. Dadurch waren sie keinen Deut besser oder mehr im Recht – aber wen interessiert schon die Geschichte, wenn es um Nazis geht?
Zumal wir dank Johannes Kahrs inzwischen ein weiteres Argument hinzugewonnen haben. Wir sehen besser aus. „Hass macht hässlich“, rief der SPD-Politiker den Abgeordneten der AfD entgegen, und weil ihm der Aphorismus so gut gefiel, verwendete er ihn gleich mehrfach. Es ist schön, wenn Politiker, Journalisten, Werber und andere, die mit der Sprache arbeiten, sich für Wortspiele begeistern können. Erst recht für eingängige. Manchmal ist es trotzdem nicht schlau, dieser Versuchung zu erliegen. Gerade, wenn es – wie derzeit – eben nicht darum geht, den krassesten Spruch rauszuhauen.
In der Dauererregung dieser Tage müssten die Parteien der Bonner und Berliner Republik – also CDU, SPD, FDP und Grüne – für eine von Vernunft, Mäßigung und Lösungsorientierung geprägte politische Mitte werben. Dazu würde gehören, sich intensiv mit den politischen Ideen jener auseinanderzusetzen, denen Mäßigung und Mitte ein Graus sind. Den Ideen der links-nationalen Aufstehen-Initiative also, und erst recht den Ideen der rechts-nationalen, selbst ernannten Alternative für Deutschland. Für diese anstrengende Auseinandersetzung sind viele Politiker und Publizisten zu faul und sich zu fein. Stattdessen sonnen sie sich in der Selbstgewissheit, zur gutaussehenden Mehrheit zu gehören. Das ist ein gewichtiger Grund dafür, dass der Lärm der Dauerempörten so gewaltig werden konnte. Die Rede des Johannes Kahrs ist trotz oder gerade wegen ihres Erfolgs in den sozialen Netzwerken ein Paradebeispiel dafür, wie man keinen einzigen der Menschen erreicht und überzeugt, die Politiker wie Johannes Kahrs eigentlich zu überzeugen versuchen müsste.
lach, davon hätte ich gerne ein foto ? https://t.co/8M1InOiBS6
— Johannes Kahrs (@kahrs) 12. September 2018
Für das Wortspiel „Hass macht hässlich“ und die Forderung, die AfD-Abgeordneten sollten einfach mal in den Spiegel schauen, lässt Kahrs sich unter seinesgleichen abfeiern (siehe Tweet). Alle anderen aber beleidigt er damit. Im inhaltlichen Teil seiner Rede liefert er darüber hinaus einen weiteren Beleg für die Unfähigkeit, sich ernsthaft mit der Politik der AfD auseinanderzusetzen. Kahrs behauptet, die AfD tue nichts für Rentner, wolle stattdessen aber die Verteidigungsausgaben erhöhen. Letzteres ist für einen Vertreter einer Regierungsfraktion, die den Wehrbeauftragen des Bundestages stellt, in diesem Zusammenhang ein untaugliches Argument. Denn dass Deutschland zu wenig Geld für seine Verteidigung ausgibt, ist keine Feststellung von Nazis und Kriegstreibern, sondern Konsens zumindest unter sämtlichen Verteidigungsexperten dieses Landes.
Dass die AfD nichts für Rentner tun will, ist sogar glatt gelogen. Im Gegenteil fordert die AfD eine Stabilisierung des Rentenniveaus, abschlagsfreie Renten ab 45 Arbeitsjahren und staatliche Zuschüsse zu Niedrigrenten – finanziert aus Steuermitteln. Und direkt danach erklärt die AfD in ihrem Bundestagswahlprogramm unverblümt, woher sie das Geld dafür nehmen will: „Auch aus diesem Grund ist die derzeitige Migrationspolitik sofort zu beenden. Die zur Zeit dort mobilisierten jährlichen Milliardenbeträge, mit steigender Tendenz für die Zukunft, müssen in die Stabilisierung der Alterssicherung der deutschen Bevölkerung umgelenkt werden.“ Steuergeld für deutsche Rentner statt für syrische Flüchtlinge – das ist der platte Zusammenhang, gegen den ein Sozialdemokrat argumentieren müsste. Umso mehr, als es ein Zusammenhang ist, mit dem man im Jahr 2018 in Deutschland Stimmen gewinnen kann.
Die AfD ist nicht neoliberal
Das AfD-Programm enthält viele solcher Zusammenhänge, die gerade für Linke und Konservative echte politische Herausforderungen darstellen. Die AfD ist für den Mindestlohn; für eine auf sieben Prozent begrenzte Mehrwertsteuer; für die Wiedereinführung der Wehrpflicht; gegen CETA, TISA und TTIP; für Begrenzung von Zeit- und Leiharbeit. Und in ihrem Programm steht: „Kinder dürfen nicht länger ein Armutsrisiko sein.“ Zu viele Politiker gerade aus linker und konservativer Ecke haben es sich wegen solcher und anderer Punkte angewöhnt, das AfD-Programm zu ignorieren oder falsch darzustellen. Doch so oft sie es sich auch anders wünschen mögen: Die AfD ist keine neoliberale Bonzenpartei, die Klientelpolitik für Reiche macht. Sie verspricht, den deutschen Arbeiter vor der bösen Welt da draußen zu schützen. Sie bietet sich also genau für den Job an, für den sich traditionell CDU, SPD und Linke verantwortlich fühlen.
Daher hätte Johannes Kahrs die dringende Aufgabe, sozialdemokratische Sozialpolitik eindeutig von jener abzugrenzen, die die AfD anbietet. Wenn ihm das Motiv Hass so wichtig ist, dann hätte er darlegen können, dass es Angst vor Veränderung ist, die Parteien wie die AfD stark macht und antreibt – und dass Hass eine einfache, aber völlig untaugliche Form ist, mit Angst umzugehen. Und dann hätte er darlegen können, was genau die SPD und die Berliner Republik zu bieten haben, um ihren Bürgern die Angst zu nehmen und den Hass zu besiegen.
Für all das hatte Johannes Kahrs im Bundestag eine ganze Rede lang Zeit. Er hat sie nicht genutzt. Stattdessen hat er mit dem Zeigefinger auf von Bürgern dieses Landes gewählte Abgeordnete gewiesen und sie als hässlich beleidigt. Eine Republik, die von solchen Politikern verteidigt wird, darf durchaus nervös werden. Aber keine Sorge: Wir sind mehr.
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Siehe zum Thema auch: „Reichstag im Bundestag“