Soeben ist Hannes Steins Roman „Der Weltreporter“ erschienen. Im Selbstinterview stellt er sich knallharten Fragen.

F: Herr Stein, Sie haben einen neuen Roman geschrieben …
A: Das gebe ich zu, ja.

F: Wie kommen Sie dazu? Wo nehmen Sie die Chuzpe her, sich auf dieselbe Bühne zu stellen, auf der ein Nabokov gestanden hat? Eine George Eliot? Ein Grimmelshausen? Ein Kafka?
A: Das frage ich mich auch jedes Mal. Meine Entschuldigung ist, dass ich dieses Mal eine neue literarische Form erfunden habe.

F: Aha?
A: Ja. Mein erster Roman, „Der Komet“, war eine Uchronie. Eine Was-wäre-gewesen-wenn-Geschichte. (Was wäre gewesen, wenn der Erzherzog Franz Ferdinand lebendig aus Sarajewo zurückgekehrt wäre, es also keinen Ersten Weltkrieg gegeben hätte?) Mein zweiter Roman – „Nach uns die Pinguine“ – war eine Detektivgeschichte über eine Leiche in einem verschlossenen Raum. (Angesiedelt allerdings in einer postapokalyptischen Welt.) Beides nur mäßig originell, vom Blickwinkel des Genres her gesehen. Uchronien gab es ja schon vorher, und Detektivgeschichten auch. Aber der „Weltreporter“ …

F: Nun?
A: … ist ein Episodenroman, der aus lauter bunt erlogenen Reisereportagen besteht.

F: Und das nennen Sie neu? Gemogelte Reisereportagen, das gibt’s doch schon seit Karl May.
A: Gewiss, aber nicht solche! Mein neuer Roman entführt die geneigte Leserin nicht in den Wilden Westen, sondern nach Utopia. Und in ein Restaurant, in dem eindeutig die Grenzen des guten Geschmacks verletzt werden. Und in die Münchner Rätemonarchie …

F: Bitte wohin?
A: In den brasilianischen Dschungel, wo Ludwig VII. – ein schwarzer Nachfahre des berühmtesten Bayernkönigs – gerecht und weise über eine Gemeinschaft von Anarchisten regiert.

F: Verstehe. Es handelt sich um einen postmodernen Roman.
A: Nein, um einen vormodernen! Mein Modell waren die Geschichten von Sindbad dem Seefahrer. Aus den Geschichten von Sindbad stammt auch das Motto, das ich dem Ganzen vorangestellt habe: „So ließ ich mich denn dahintreiben auf jenem Strome, bald durch weite, bald durch enge Höhlungen im Gestein.“ Die Form des Romans ist klassisch orientalisch. Eine große, reich verzierte Schachtel außenrum – drinnen dann kleine Schachteln, ebenfalls reich verziert – und in manchen der kleineren Schachteln verbergen sich noch wieder kleinere. Denken Sie an die Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht.

F: Also haben Sie doch keine neue Form erfunden.
A: Neu ist, dass meine Märchen als Parodien daherkommen. Parodien auf literarische Reportagen – eine journalistische Form, die ich sehr liebe. Wahrscheinlich kann man nur das gut parodieren, was man liebt.

F: Die größte Schachtel – um bei Ihrer etwas klobigen Metapher zu bleiben –, also die Rahmenerzählung von „Der Weltreporter“ ist eine Liebesgeschichte.
A: Ja. Boy meets girl. Oder genauer, Mann mittleren Alters trifft junge Frau. In einer Bar. Während draußen Ausgangssperre herrscht. Wir befinden uns nämlich mitten in einer Seuche.

F: Dann haben Sie den Roman also im Hauruck-Tempo nach dem Ausbruch von Covid 19 in den Laptop gehackt?
A: Keineswegs. Als ich das Manuskript abgab, kannte ich weder das Wort „Corona“, noch hatte ich je von der Stadt Wuhan gehört.

F: Dann sind Sie also ein Hellseher?
A: Nein, nur jemand, der sich ein bisschen in der Geschichte auskennt und weiß, wie sehr Seuchen ihren Verlauf beeinflusst haben. Die Vereinigten Staaten – mein Vaterland – würde etwa ohne die Malariamücke und ohne das ebenfalls von Mücken übertragene Gelbfieber gar nicht existieren. Übrigens ergibt die Seuche, die ich in „Der Weltreporter“ schildere, wissenschaftlich überhaupt keinen Sinn. Euer Dr. Christian Drosten würde wahrscheinlich die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Meine Seuche stammt nicht aus dem Reagenzglas, sondern aus einer berühmten Schauergeschichte von Edgar Allen Poe: „Der rote Tod“.

F: Warum schildern Sie überhaupt eine Seuche?
A: Ich brauchte sowas wie ein apokalyptisches Hintergrundrauschen für meine Liebesgeschichte. Allerdings spielt die Seuche für den Plot des Romans dann doch eine entscheidende Rolle. Aber das stellt sich erst ganz am Schluss heraus.

F: Die vorletzte Reise des Romans – wir wollen nicht zuviel verraten – malt die Vision einer Erde aus, auf der es keine Menschen mehr gibt. Sie haben es wohl mit den Weltuntergängen?
A: Das können Sie so sehen, ja. Mein erster Roman handelt vom Weltuntergang, der nicht stattgefunden hat: Das grauenhafte XX. Jahrhundert fällt aus. In meinem zweiten Roman haben wir den Dritten Weltkrieg schon hinter uns. In diesem Roman ist der Weltuntergang zu etwas Alltäglichem geworden, zu etwas, an das man sich gewöhnt hat wie ans Wetter.

F: Herr Stein, sind Sie ein Optimist oder ein Pessimist?
A: Das weiß ich nicht. Ich kann es wirklich nicht beantworten. Ich habe versucht, einen Roman zu schreiben, der alles zusammen ist – zum Schreien komisch und abgrundtief verzweifelt, furchtbar traurig und so leicht, dass er über jede Traurigkeit einfach hinwegschwebt. Ob mir das gelungen ist, können nur meine Leserinnen beurteilen.

F: Warum reden Sie eigentlich immer von Leserinnen? 
A: Weil ich Realist bin. Männer und Romane? Ich rechne nicht mit männlichen Lesern.

Zum Buch

Seit 11. Februar online und in jeder gut sortierten Buchhandlung erhältlich: „Der Weltreporter – ein Roman in zwölf Reisen“. Galiani Berlin, 341 S., 22 Euro.