Heiko Maas ist der Star der neuen Regierung. Er beendet eine seit Schröders Zeiten fürs Land und die SPD fatale Lebenslüge. Deshalb gibt es nun parteiinternen Gegenwind. Er hat jede Unterstützung verdient.

Eines der schlagenden Argumente gegen die Große Koalition lautete, dass sich Deutschland ein „weiter so!“ nicht leisten könnte. Dem war wenig entgegenzusetzen. Doch dann, während endloser Verhandlungen über sogenannte Koalitionsverträge, tat Sigmar Gabriel Deutschland den Gefallen sich gegenüber seinen eigenen Genossen (und einem Mann mit Bart) so im Ton zu vergreifen, dass er sich für die folgende Regierung disqualifizierte (eine tief schürfende Analyse der Meriten seiner Politik erspare ich dem Leser – er ist in diesem Zusammenhang nur am Rande relevant). Und so kam es, dass Heiko Maas, eher blasser Justizminister der vorigen Großen Koalition, nun das Amt des Außenministers bekleidet. 

Die Konvention gebietet, dass man neue Minister nach ihren ersten hundert Tagen im Amt beurteilt. Hier möchte ich jedoch eine begründete Ausnahme machen. Denn bereits heute steht fest: Heiko Maas ist der Star der neuen Regierung. Er ist ein Revolutionär im Auswärtigen Amt. Denn Maas hat  – ohne dies vorher an die große Glocke zu hängen – mit Dogmen  der deutschen Außenpolitik gebrochen, die letztlich in der Ära Genscher verwurzelt sind. Zugleich hat er sich gegen eine Russlandpolitik gestellt, die seit Gerhard Schröders „Männerfreundschaft“ mit Wladimir Putin in der SPD (und darüber hinaus) sakrosankt war. Der Ex-Kanzler hatte sich als illegitimer Erbe Willy Brandts und seiner Ostpolitik etabliert und sein Vermächtnis wurde in direkter Thronfolge von Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel im Auswärtigen Amt fortgeführt. Die Lebenslüge dieser Politik lautet, dass Frieden in Osteuropa nur in enger Partnerschaft mit dem Kreml möglich sei. Das Gegenteil ist wahr: Spätestens seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine 2014 offenbarte sich, dass es nicht um die Freundschaft mit Putin, sondern um die Eindämmung seines Einflusses geht. Hier liegt der Schlüssel zum Frieden in Europa. Doch weder Steinmeier noch sein Nachfolger Sigmar Gabriel rangen sich zu einer neuen Russlandpolitik durch. Sie trugen – zähneknirschend – den Kurs der Kanzlerin mit, die in ihrer unprätentiösen Art seit dem Sommer 2014 wenigstens ein Minimum an westlicher Reaktion organisierte. Mehr oder weniger heimlich unterminierten sie mit ihren Besuchen in Moskau, ihrem erhobenen Zeigefinger („Dialog!“) und ihrer anti-westlichen Rhetorik („Säbelrasseln der NATO“) den Kurs des Westens. So weit, so schlecht.

Außenpolitik ohne Floskeln

Auftritt Heiko Maas. Ohne viel Federlesen hat er die Positionen des Ostpolitikbetons kassiert. Bei ihm gibt es plötzlich Außenpolitik, die ganz ohne Floskeln („Gesprächsfaden darf nicht abreißen“) auskommt, keine Candle-Light-Dinner in Sankt Petersburg benötigt und sich auf die Analyse der Wirklichkeit beschränkt. Maas hat verstanden, dass Russland kein Partner ist, der an der Lösung internationaler Probleme interessiert ist. Vielmehr benötigt das Regime Putins den Konflikt mit dem Westen und die zahlreichen großen und kleinen Kriege in seiner Nachbarschaft und darüber hinaus, um von seinem innenpolitischen Versagen abzulenken. Moskau will keinen Frieden in Syrien und der Ukraine. Unter Heiko Maas hat sich das Auswärtige Amt endlich diesen Konsens internationaler Beobachter zu eigen gemacht. Damit prescht der Außenminister auch an der Kanzlerin vorbei, der ewigen Zauderin, die gelegentlich das Richtige tut, sich aber in der Regel scheut, es öffentlich zu begründen. Wenn Maas seinen Kurs fortsetzt, dann könnte er tatsächlich ein Vakuum füllen und sich als Vertreter einer lang vermissten deutschen Sicherheitspolitik etablieren. Aktuell wäre noch hinzuzufügen, dass Maas nicht nur gegenüber dem Kreml, sondern auch gegenüber den Vertretern der Palästinenser Klartext redet. Damit gelingt ihm auch eine Neupositionierung der deutschen Nahostpolitik, die bisher auf Kritik an der Autonomiebehörde und ihrer Politik weitgehend verzichtete. 

Doch zurück zu Russland:  Als der Außenminister auf Dienstreise weilte, schlug das sozialdemokratische Ostpolitikbeton zurück: Ralf Stegner, Manuela Schwesig und Stephan Weil traten in die Fußstapfen von Steinmeier und Gabriel und forderten ein Ende des kritischen Kurses gegenüber dem Kreml. Im Parteivorstand der SPD ist die Russlandlobby noch ebenso stark vertreten wie in der CSU und in Teilen der FDP (über die Linke und die AfD lohnt es sich hier nicht zu reden – sie sind stets treu auf Moskauer Linie). Schon seit längerem war die Rücksichtnahme auf Gerd Schröder oder Matthias Platzeck vielen in der SPD unangenehm. Sie stand unübersehbar im Widerspruch zur Freiheitstradition der Partei. Doch in der Führung wagte niemand den entscheidenden Schritt. Heiko Maas hat den Bruch mit einer vermeintlichen Tradition gewagt. Er wird dafür in den kommenden Wochen von den üblichen Verdächtigen aus Niedersachsen kritisiert werden. Entscheidend ist jedoch, dass es sich hier nicht primär um eine innerparteiliche Auseinandersetzung handelt.

Gut für Europa und das Land

Hier geht es um mehr als die SPD. Es lohnt sich, Heiko Maas zu verteidigen, weil er deutsche Außenpolitik zurück auf vernünftige Gleise führt. Das ist sein Verdienst, das weit über die unvermeidliche Klärung in der SPD hinausweist. Heiko Maas kann sich um deutsche Außenpolitik verdient machen, indem er die Phrasen des Ostpolitikbetons der Genossen hinter sich lässt, sozialdemokratische und deutsche Außenpolitik den Herausforderungen der Zeit anpasst und mit seinem Realitätssinn sogar das Potenzial hat, die mutlose Kanzlerin vor sich her zu treiben. Wenn er Kurs hält, dann wird Heiko Maas Ansprechpartner für den französischen Präsidenten Emmanuel Macron, mit dem er seine Überzeugungen teilt. In turbulenten Zeiten könnte er sich in der europäischen und atlantischen Sicherheitspolitik als der deutsche Vertreter etablieren, der die Zeichen der Zeit verstanden hat. Damit wäre viel gewonnen – für die SPD, Deutschland und Europa.

Heiko Maas hat als Außenminister eine kleine Revolution gewagt. Wir sollten ihn unterstützen.